Ralph Dutli: "Die Liebenden von Mantua"


"Über die Liebe und noch viel mehr"

Der 1954 geborene und in Heidelberg lebende Schweizer Autor Ralph Dutli beschäftigt sich in seinen Texten immer wieder gerne mit dem literarischen Kombinieren von geschichtlichen Ereignissen, Fakten und Fiktion. Während es in "Soutines Fahrt" das tragische Leben von Chaim Soutine war, das Ralph Dutli großartig in Szene gesetzt hat, ist es hier der Mythos um die 2007 in Mantua von Archäologen ausgegrabenen engumschlungenen Skelette aus der Jungsteinzeit, die dementsprechend die "Liebenden von Mantua" getauft wurden.

Dieser Roman ist viel, doch definitiv kein klassischer Roman. Und vor allem ist er kein Liebesepos, wie der Titel vielleicht vermuten lässt.
Ralph Dutli lässt hier ganz unterschiedliche Textformen aufeinanderprallen, Textformen und Ideen, die scheinbar ohne besondere Regeln aufeinander folgen und ineinander übergehen. Das macht die Rezeption dieses Textes als Roman nicht einfach. Wenn man allerdings bereit ist, sich auf den unscheinbaren Sog dieses Textes einzulassen, dann erlebt man als Reisender Außergewöhnliches.

Dieser Text ist sinnlicher Mantua-Führer, eine Meditation über berühmte Liebespaare der (Literatur)-Geschichte, ein Essay über Liebe, Zeit, Tod und Vergänglichkeit und ein Versuch, Erotik möglichst zurückhaltend und versteckt leben zu lassen. Dass das Ganze die übliche Form des Romans sprengt, versteht sich von selbst. Nichtsdestotrotz folgt man Dutli gespannt und gebannt von der ersten Seite bis zur letzten. Worterfindungen im Rahmen kluger, geistreicher und spritziger Sätze wechseln sich mit fast halluzinierenden Sprachergüssen ab und schaffen so die Plattform für jenen Teil des Romans, der einem erzählerischen Faden folgt.

Dieser rote Faden besteht darin, dass sich zwei mittlerweile nicht mehr junge ehemalige Studienfreunde in Mantua treffen. Der eine ein Schriftsteller, schwärmerisch und auf die Romantik fixiert, einen Roman über die "Liebenden von Mantua" in Vorbereitung. Der andere ein Journalist, nüchtern, trocken und vor allem skeptisch. Dieser soll einen Bericht über die Folgen des Erdbebens von 2012 schreiben.

Zum Austausch über die guten, alten Studientage kommt es letztendlich nicht, da der Schriftsteller vom Conte Ignoto entführt wird. Der Conte, ein reicher Graf und Nietzsche-Fanatiker, der von einer "idée fixe" besessen ist, nämlich der, eine neue Religion der Liebe zu gründen, die als Ausgangspunkt das Liebespaar aus der Steinzeit hat. Somit der Idee verfallen ist, dass die zwei Skelette in inniger Umarmung allemal wichtiger, ästhetischer und vor allem humaner wären, als das durch das im Christentum alles überschattende grausige Kreuz es je sein kann.

Hier lässt sich Ralph Dutli von einer fast abstrus unrealistischen Idee leiten, indem er den Conte bereits zum illegalen Besitzer der Knochen des Liebespaares werden lässt, der den Schriftsteller Manu aus einem einzigen Grund entführt hat: Er soll der Evangelist seiner neuen, allmächtigen Liebesreligion werden. Der Graf bedient sich nobler, kluger und raffinierter Tischgespräche sowie fabelhaft schmeckenden Essens, um den entführten Schriftsteller davon zu überzeugen, diese Rolle zu übernehmen.

Währenddessen versüßt sich der trockene Journalist die Zeit mit der erotisch-sinnlichen Archäologin Laura, die ihm die wichtigsten Sehenswürdigkeiten Mantuas zeigt.
Dann bricht plötzlich ein literarisch überzeichnetes Erdbeben über den Roman herein, in dem Ralph Dutli es statt Schutt und Asche Mord, Totschlag, Befreiungen und Verhaftungen regnen lässt, die selbst beim offensten Leser doch gar etwas zu unwahrscheinlich ankommen werden.
Da all das aber in einem Fleckenteppich verwebt ist, dessen verschiedenste Farben und Muster immer wieder gekonnt ineinander übergehen, sich gegenseitig anstoßen oder in Empfang nehmen, lässt man Dutli gerne gewähren.

Dieser wundervolle, hochliterarische Text ist vielleicht kein Roman, eine wirkliche Bereicherung des Lesers ist er allemal.
Absolute Empfehlung.

(Roland Freisitzer; 09/2015)


Ralph Dutli: "Die Liebenden von Mantua"
Wallstein Verlag, 2015. 250 Seiten.
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