Christian Hesse: "Damenopfer"
Erstaunliche Geschichten aus der Welt des Schachs
"15:10:01 Kasparow
zieht mit 10. ... Kd8 seinen König aus dem Schach und
'versinkt in tiefe Verzweiflung'." (11. Mai 1997)
Christian Hesse ist Mathematikprofessor an der Universität Stuttgart und
hat bereits einige
populäre Bücher über seinen Gegenstand wie zum Beispiel "Warum
Mathematik glücklich macht. 151 erstaunliche Geschichten"
veröffentlicht. Die Mathematik ist sich selber jedoch nicht
genug, Hesse frönt einer weiteren Leidenschaft, einem Spiel, in welchem
die Maschine dem Menschen mittlerweilen
über ist, und hat auch über Schach schon
etliche Artikel veröffentlicht. "Damenopfer" besteht im Wesentlichen aus
einer überarbeiteten Zusammenfassung solcher kürzerer
Texte. Das Vorwort und die letzten knapp fünfzig Seiten, die "Schach und
Mathematik" betitelt sind und schon mehr Mathematik als Schach
beinhalten, wurden extra für die vorliegende Ausgabe
geschrieben.
Christian Hesse ist übrigens im Schachspiel alles andere als ein
Dilettant - so konnte er 2010 dem damaligen Weltmeister Viswanathan
Anand
in einer Simultanpartie, die letzterer gegen neunzehn weitere Gegner
spielte,
mit Schwarz ein Remis abtrotzen.
Viele Schachfreunde können von einem Schlüsselereignis berichten, durch
welches sie ein für allemal dem königlichen Spiel verfallen sind. Bei
Hesse war es
anscheinend der legendäre
Weltmeisterschaftskampf Fischer gegen Spasski in
Reykjavik, der damals, 1972, durch entsprechende Berichterstattung in
den Medien für verbreitete Aufmerksamkeit sorgte, viele
Menschen erstmals und einige nachhaltig für Schach begeistern konnte.
"Als die Welt schachverrückt
wurde" heißt der Text, in dem der Autor die damaligen
Ereignisse, im speziellen die Anfälle und Launen des Herausforderers,
Revue passieren lässt. Ein wenig
bedauerlich mag es zwar sein, dass er dabei keine Gewinnpartie des
Siegers
bespricht, zumindest einen Zug aus einer solchen, der die Behauptung,
Fischer habe nach dem 0:2-Rückstand gespielt, als ginge es um sein
Leben,
untermauert - vielleicht kann man das ja in einer kommenden Ausgabe
nachholen.
Der Hauptteil des Buches besteht aus den sogenannten Schachgeschichten,
etwa zur Hälfte Schachkompositionen und Partien bekannter
Meister, woraus üblicherweise ein bis drei
Schlüsselzüge vom Autor kommentiert werden, all dies
geordnet in Kapiteln wie Damenopfer, Ultra-Aussetzer, aktiv in die
Partie eingreifende Könige, Blindschach, Mensch versus
Computer etc. Diese übersichtliche Bündelung in Themenkreise
bietet Hesse außerdem gute Gelegenheit, ein wenig über
verschiedene Aspekte des Schachs zu philosophieren, sich Gedanken über
den
hohen Grad an
Abstraktion im Schachspiel, wo sich der größte Teil des
Geschehens unsichtbar abspielt, zu machen, Figurenopfer als in
Energie
verwandelte Materie zu deuten, die sich wandelnden Remisregeln mit der
Lehre von der ewigen Wiederkehr des Gleichen in Verbindung zu
bringen ...
In seinen Zugbeispielen zeigt der Autor eine Vorliebe für
Kurioses und Mathematiknahes, ausgefallene Schachkompositionen, ein
"Matt in 182 Zügen", Stellungen, in denen die Unterverwandlung
eines Bauern angebracht ist, die mittels Diagramm beantwortbare Frage,
ob Schwarz schon rochiert haben muss, und Ähnliches mehr. In seinem
Bestreben,
Schach populärer zu machen, scheint Hesse ein wenig das
Unspektakuläre eines Schachwettkampfs zu bedauern. Anand im
Tigerfell gegen
einen beim Denken die Faust ballenden Carlsen? Er hätte, wenn er
das Thema schon anschneidet, sich da ruhig eigene
Verbesserungsphantasien erlauben können, zumal er in
"Damenopfer" auch dem Humor
im
Schach ein paar Seiten einräumt.
Was Christian Hesse als eines von 10 Anzeichen von Schachverrücktheit,
die er auflistet, anführt, "wenn du ein Schachbuch zur
Toilette mitnimmst und vergisst auf die Toilette
zu gehen", kann auch bei diesem Buch
eines leidenschaftlichen Schachspielers mit Mathematikschwerpunkt
passieren.
(Esquilin; 05/2015)
Christian Hesse: "Damenopfer.
Erstaunliche Geschichten aus der Welt des Schachs"
C.H. Beck, 2015. 271 Seiten, mit 35 Abbildungen und zahlreichen
Schachdiagrammen.
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