Hilal Sezgin: "Artgerecht ist nur die Freiheit"
Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen
Tierisch starke Stimme für
mehr Rechte und Respekt
"In diesem Sinne also ist ein Tier sehr wohl ein Jemand. Und ich
hoffe, dass diese Sicht auf nicht-menschliche Tiere - ich formuliere
es so, weil auch wir Menschen streng genommen Tiere sind - beim Lesen
des Buches anschaulich geworden ist."
Hilal Sezgin beginnt ihr Epos für die Tierwelt mit der
grundsätzlichen Frage, was Ethik überhaupt sei und wie man sie im
Kontext der Tiere auslegen könne, dürfe und solle. Sie stellt weiters
die Interessen der
Tiere denen
der Menschen gegenüber - das reicht von Labortieren, Ausbeutung und
Experimenten, über die Einschränkung der Freiheit und der natürlichen
Bedürfnisse bis zum Töten für den menschlichen Verzehr. Daraus folgt die
Frage, ob der Mensch sich die Tiere überhaupt zu Nutzen machen darf und
somit zwangsweise - oft auf abscheuliche, gravierende, anormale Weise -
in Gesundheit und Biografie der tierischen Lebewesen eingreifen
darf. Abschließend widmet sich Sezgin der Überlegung, wie die
beiden Spezies zusammen leben könnten, nicht nur akzeptabel sondern auch
artgerecht.
Mit schockierenden Beispielen u.A. aus dem Alltag der Labortiere
untermauert Sezgin, wie unglaublich brutal und rücksichtslos im Sinne
des Menschen geforscht, gezüchtet und gemästet wird. In Sachen
Kosmetika zum Beispiel, kann der Normalverbraucher auf tiergetestete
Mittel verzichten. Doch ist nicht jeder Kranke froh, wenn er ein
Medikament nehmen kann, von dem gewiss ist, dass es einen nicht
umbringt? Dies zeigt einen der zahlreichen beschriebenen Konflikte in
"Artgerecht ist nur die Freiheit". Der objektive Betrachter muss leider
nicht bis ins Labor gehen, um Grausamkeit an Tieren begegnen zu können.
Auch Legehennen und Milchkühe werden unnatürlich "zurechtgezüchtet" und
viel zu früh von ihrem Nachwuchs getrennt - damit der Mensch genügend
und qualitätsvolle Produkte verzehren kann.
All diese Fragen endgültig und befriedigend klären zu können, gelingt
der Tierliebhaberin selbstverständlich nicht. Es steht außer
Frage, dass die Autorin eine sehr extreme Meinung hat und diese auch
ausdrücklich in ihrem Buch vertritt. Manch einem mögen ihre Ansichten zu
polarisierend sein. Nichtsdestotrotz geben sie einen starken und
inspirierenden Impuls, sich seine eigenen Gedanken und seine eigene
Meinung zu Tieren und dem (un)menschlichen Umgang zu machen. Außerdem
hat das Buch einen äußerst hohen Informationswert für Menschen, denen
der Umgang mit Tieren nicht völlig egal ist. Es bietet einen
willkommenen Einstiegspunkt, denn oft würde man zwar gerne etwas ändern,
weiß aber nicht wie und wo man anfangen soll.
Bei diesen Fragen hilft die Autorin. Berufsbedingt liegt der Schwerpunkt
der Autorin auf der philosophischen Betrachtungsweise. Dies ermöglicht
interessante - wenn auch teils utopische - Anschauungen und
Gedankenexperimente. Manch ein Leser würde sich vielleicht einen stärken
Praxisbezug und ausführlichere Informationen über die Zustände in
Ställen und Laboren wünschen. In der Natur der Thematik liegt ihr
ungeheures Ausmaß, das Sezgin meist jedoch schön zu unterteilen weiß.
Die Lektüre bringt auf teils recht radikale Weise etwas Licht in
diese schwierige, manchmal hässliche Thematik, über die viele Gerüchte
und kontroverse Meinungen existieren und die dem Endverbraucher oft noch
verworren und mysteriös erscheint.
Fazit:
Ein radikales, aufklärendes Buch über Menschen, Tiere und ein (besseres)
Zusammenleben. Für Tierliebhaber und pflichtbewusste Nutz(ge-)nießer
tierischer Produkte ein Muss.
(Alexandra Gölly; 02/2014)
Hilal Sezgin: "Artgerecht ist nur die
Freiheit.
Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen"
C.H. Beck, 2014. 301 Seiten.
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Hilal Sezgin, geboren 1970,
studierte Philosophie
in Frankfurt am Main und arbeitete mehrere Jahre lang in der
Feuilletonredaktion der "Frankfurter Rundschau". Seit 2007 lebt sie als
freie Journalistin und Buchautorin in der Lüneburger Heide, wo sie einen
kleinen Gnadenhof mit Schafen
und Hühnern
betreibt. Sie schreibt u. A. für "DIE ZEIT", "taz" und "Süddeutsche
Zeitung".
Noch ein Buchtipp:
Friederike Schmitz (Hrsg.): "Tierethik"
Grundlagentexte.
Ist es legitim, nichtmenschliche Tiere für unsere Zwecke zu nutzen? Sie
gefangen zu halten, zu töten oder Experimente mit ihnen anzustellen?
In der vergleichsweise jungen philosophischen Disziplin der Tierethik
werden je nach zugrunde gelegter Moraltheorie verschiedene Argumente
vorgebracht, mit denen unsere gegenwärtigen Umgangsweisen mit Tieren
gerechtfertigt oder - in den meisten Fällen - scharf kritisiert werden.
Der Band versammelt - größtenteils erstmals in deutscher Übersetzung -
die wichtigsten Beiträge zu dieser Debatte, u. A. von Tom Regan, Gary
Francione, Martha Nussbaum, Cora Diamond, Christine Korsgaard und Will
Kymlicka.
Leseprobe aus dem
Vorwort:
Als ich zuerst darüber nachdachte, dass es unbedingt einen neuen
Sammelband zum
Thema Tierethik geben müsse, und überlegte, wie ich es schaffen
könnte, selbst einen herauszugeben, habe ich - wie wohl die meisten,
die so ein Projekt angehen - nicht nur stark unterschätzt, wie viel
Arbeit dies mit sich bringt, sondern auch, wie viele schwierige
Entscheidungen in den verschiedenen Phasen dieser Arbeit zu treffen
sein würden.
Zunächst gestaltete sich die Auswahl der Texte weitaus schwieriger und
langwieriger als gedacht. Obwohl ich schon für mein erstes Exposé im
Sommer 2011 eine Auflistung zusammengestellt hatte, habe ich diese in
der folgenden Zeit immer wieder geändert und zudem deutlich erweitert.
Ich wollte im vorliegenden Sammelband einerseits die für die neuere
tierethische Debatte wichtigen AutorInnen und Positionen präsentieren,
deren Texte zum großen Teil noch nicht auf Deutsch zugänglich waren.
Andererseits wollte ich das breite Spektrum der verschiedenen
Herangehens- und Argumentationsweisen zeigen, die in der Debatte
vertreten werden. Beide Vorhaben warfen für sich genommen und in der
Kombination miteinander Schwierigkeiten auf. So gibt es zum Beispiel
AutorInnen, die vor allem durch ihre Bücher bekannt geworden sind und
von denen ich keine kürzeren Texte gefunden habe, die ich für einen
Sammelband für geeignet hielt. Außerdem mussten zahlreiche Abwägungen
zwischen Debattenrelevanz, Originalität, Qualität und weiteren
Kriterien getroffen werden - so dass zum Beispiel Texte nicht
aufgenommen wurden, obwohl sie einflussreich waren oder besonders
interessant sind; gleichzeitig wurden andere Texte aus dem Grund
aufgenommen, dass sie eine sonst fehlende Perspektive repräsentieren,
obwohl sie zum Beispiel jüngeren Datums und daher noch nicht
einflussreich oder aber nicht ideal stringent argumentiert sind.
(...) (suhrkamp taschenbuch)
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