Marlene Streeruwitz: "Nachkommen."
Einblicke in das
Literaturgetriebe: die Vermarktung vermarktet sich selbst
Schon immer hat die österreichische Schriftstellerin Marlene Streeruwitz
ihre Figuren in den Romanen gegen uniformiertes Denken und angepasste
Gefühle rebellieren lassen. In "Nachkommen." (der Punkt muss sein!)
unternimmt sie am Beispiel des Literaturgeschäftes einen erneuten
Versuch. Dabei leitet sie ihre Überzeugung: "Eine Geschichte zu
schreiben, bedeutet, auf Wahrheit zu drängen."
Marlene Streeruwitz, die wie ihre Hauptfigur, die zwanzigjährige Nelia
Fehn anno 2011 auf der Liste für den "Deutschen Buchpreis" stand, kennt
den Betrieb wie auch die Hintergründe jenes Geschäftes, in das sie ihre
Protagonistin geradezu stürzen lässt. Für einen Roman, den Marlene
Streeruwitz selbst geschrieben hat und der im September 2014 unter dem
Titel "Die Reise einer jungen Anarchistin in Griechenland." bei S.
Fischer erscheint, ist Nelia Fehn für den "Deutschen Buchpreis"
nominiert worden.
In diesem Buch lässt Streeruwitz Nelia die "Schlachtordnung",
wie sie unser Gesellschaftssystem nennt, sezieren und kritisieren. Nelia
hat ihre Mutter, die Schriftstellerin und Feministin war, früh verloren.
Der Vater hat sich nie um das Kind gekümmert. Die Tochter tritt in die
Fußstapfen der Mutter und landet mit ihrem Debütroman, der mit einer
Welt abrechnet, in der das Geld das Sagen hat, auf der Auswahlliste des
"Deutschen Buchpreises".
"Ihre Mutter war in die Erde statt ins Feuer gelegt worden, damit sie
wiederauferstehen konnte. Und ihre Mami. Die hatte nie eine Sünde
begangen. Eine wirkliche Sünde nie, die sie in die Hölle verstoßen
hätte können. Da war der Opi schlechter dran. Der Opi war im Krieg
gewesen, und sein lieber Gott. Der musste wissen, was er da getan
hatte. Was er da wirklich getan hatte. Im Krieg da. Als Soldat. Als
Soldat der deutschen Wehrmacht. Und in diesem einen Augenblick. In
diesem Augenblick vor dem letzten Richter."
Nun reist sie nach Frankfurt, um vielleicht den Preis entgegenzunehmen,
doch er geht an eine andere Schriftstellerin. Ob es sich im Vorfeld der
Preisverleihung und während der offiziellen Feierlichkeiten tatsächlich
so zuträgt, wie es Marlene Streeruwitz ihre junge Nelia erleben lässt,
entzieht sich der Kenntnis Uneingeweihter, aber man wird den Eindruck
nicht los, dass sie dabei eine Menge eigener Erfahrungen aus dem Jahr
2011, als sie mit "Die Schmerzmacherin." nominiert war, verarbeitet hat.
Nelia Fehn ist ein Beispiel für eine Generation von "Nachkommen", die
nicht mehr die Verantwortung dafür übernehmen will, was die Generationen
vor ihr angerichtet haben. Sie sagt in diesem Buch einmal einen für sie
typischen Satz:
"Ich kritisiere nicht. Ich lehne ab. Ich lehne jede Verantwortung für
alle diese Erbschaften ab, mit denen ich belastet werde. Jede
Verantwortung." Da wird viel Wut spürbar, Wut über das eigene
Leben und Wut über die Welt. Eine Erfahrungswelt, in die sich die am 28.
Juni 1950 geborene Schriftstellerin, wie der Rezensent findet,
hervorragend und überaus sensibel einfühlen kann. Sicher wird der oben
erwähnte im Herbst erscheinende Roman davon noch mehr Zeugnis geben.
"Nachkommen." ist ein unromantisch und mit viel Sarkasmus geschriebener
Abgesang auf die Literatur,
mit beißender Schärfe, in über weite Strecken schier ratternden Sätzen
erzählt er von den lächerlichen Ritualen und dem knallharten Umgang in
einem zum Geschäft gewordenen Betrieb, in dem es nur um Geld und Macht
geht, nicht mehr wirklich um Literatur.
Wie Marlene Streeruwitz das allerdings erzählt und beschreibt, darf mit
Fug und Recht als ein Beispiel dafür gewertet werden, dass es mit der
Literatur und der ihr innewohnenden Kraft der Kritik und der Hoffnung
auf Veränderung noch längst nicht zu Ende ist.
(Winfried Stanzick; 07/2014)
Marlene Streeruwitz: "Nachkommen."
S. Fischer, 2014. 432 Seiten.
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Ein weiteres Buch der
Autorin:
Marlene Streeruwitz als Nelia Fehn: "Die Reise einer jungen
Anarchistin in Griechenland."
Marlene Streeruwitz übernimmt die Rolle ihrer Heldin Nelia Fehn aus
"Nachkommen." und schreibt deren erfrischendes Erstlingswerk.
Eigentlich wollte Cornelia nur eine Ferienarbeit im Ökoresort ihrer
Schwester auf Kreta,
doch dann wurde sie mit den Auswirkungen
der Eurokrise konfrontiert. Von ihrem geliebten Marios, der sich
in Athen einer Demonstration gegen die Maßnahmen der Troika anschloss,
hat Cornelia seit Tagen keine Nachricht. Sie muss ihn finden! Auf ihrer
Irrfahrt nach Athen erlebt sie eine Welt, in der die Krise regiert und
Zwangsverhältnisse herstellt. Als sie Marios verletzt und ohne Hoffnung
endlich findet, bricht sich ihre Wut Bahn, und sie entschließt sich zum
Kampf.
Nelia Fehns autobiografischer Roman ist ein wütendes Plädoyer gegen die
Diktatur des Geldes
und das Bekenntnis einer mutigen Gerechtigkeitsfanatikerin. (S. Fischer)
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