Jean-Christophe Rufin: "Das rote Halsband"


Nicht nur der Büchermarkt, sondern das komplette Kulturprogramm war im Jahr 2014 auf die hundertjährige Wiederkehr des Beginns des Ersten Weltkrieges ausgerichtet. Nun brachte der Verlag C. Bertelsmann kurz vor Ende des Erinnerungsjahrs die deutsche Übersetzung eines kleinen Romans heraus, der in Frankreich lange Zeit ein Verkaufsschlager war.
Jean-Christophe Rufin ist sein Autor, 1952 geboren, ausgebildeter Neurologe und Psychiater, früher Vizepräsident von "Ärzte ohne Grenzen", Staatssekretär im französischen Verteidigungsministerium und französischer Botschafter im Senegal, seit 2008 Mitglied der "Académie française".

Er erzählt in seinem Roman die Geschichte des Bauern Jacques Morlac. Dieser kommt als einfacher Gefreiter in den Krieg und kehrt, mit dem Orden der Ehrenlegion dekoriert, als Kriegsheld zurück.

Nun aber, zu Beginn des Romans, sitzt er in Untersuchungshaft. Der Grund seiner Inhaftierung: Er hat nach seiner Rückkehr aus dem Krieg den Orden mit einem roten Halsband seinem Hund umgehängt. Beleidigung und Verhöhnung staatlicher Symbole!
Dieser Hund ist dem einfachen Bauern Morlac von der Einberufung an bis zur Front hinterhergelaufen, hat unzählige Angriffe und Verletzungen überstanden und sitzt nun, den Rücken vernarbt, das Ohr zerfetzt, mit verkrüppelter Hinterpfote vor dem Gefängnis in großer Hitze und bellt sich tagelang die Seele aus dem Leib.

Derweil verhört der Militärrichter Huguess Lentier du Grez den Gefangenen. Er ist ein gebildeter junger Major. Morlac ist sein letzter kriegsbedingter Fall, bevor er wieder ins zivile Leben zurückkehren will. Nicht nur deshalb baut er mit viel Mitgefühl dem Gefangenen goldene Brücken, um ihm Gnade vor Recht widerfahren zu lassen.
Doch Morlac weigert sich standhaft. Er wolle nicht, dass der Sinn seiner Handlung verfälscht wird, sagt er. Aber er verweigert jeglichen Hinwies darauf, was denn nun der Sinn seiner Tat gewesen sei.

 

"Bei einem einzigen Gast hätte er eigentlich ein geruhsames Leben führen sollen. Aber da musste der Bursche ausgerechnet einen Hund haben, der ununterbrochen vor dem Gefängnis herumkläffte.
Der Offizier schwitzte. Behände öffnete er die etwa zwanzig Knöpfe an seinem Rock. Dujeux sagte sich, dass er sie bestimmt erst kurz vor dem Hereinkommen   zugeknöpft hatte, um ihn zu beeindrucken. Der Mann war um die dreißig, und nach diesem Krieg war es nichts Ungewöhnliches, derart junge Männer mit Tressen  geschmückt zu sehen. Sein vorschriftsmäßiger Schnurrbart wollte einfach nicht dicht wachsen, weshalb es aussah, als hätte er zwei Augenbrauen unter der Nase. Seine Augen waren stahlblau, aber sanft, bestimmt war er kurzsichtig. Aus einer Tasche an seiner Weste schaute eine Hornbrille hervor. War er zu eitel, um sie  aufzusetzen? Oder wollte er seinem Blick absichtlich jene Unbestimmtheit verleihen, die die Verdächtigen, die er verhörte, gewiss verunsichern musste? Er zog ein kariertes Taschentuch hervor und trocknete sich die Stirn."
(Aus dem Roman)

Nach langen Recherchen gerät Lentier auf die Spur der geheimnisvollen Hintergründe des Falls. Eine Frau steht dahinter, und mit ihrer Hilfe findet er einen Zugang zu Morlac ...

"Das rote Halsband" ist ein kleines, sentimentales Buch über ein großes Missverständnis, über Gerechtigkeit, über den Stolz und über die Treue, sei es zu einem Partner oder zum Vaterland.
Keine große Literatur, aber unterhaltend und anrührend.

(Winfried Stanzick; 11/2014)


Jean-Christophe Rufin: "Das rote Halsband"
(Originaltitel "Le collier rouge")
Aus dem Französischen übersetzt von Nathalie Lemmens.
Mit 6 farbigen Illustrationen von Carla Nagel.
C. Bertelsmann, 2014. 176 Seiten.
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Weitere Bücher des Autors:

"Pilgern für Skeptiker. Meine Reise auf dem Jakobsweg"
"Als ich nach Santiago de Compostela aufbrach, habe ich nichts gesucht - und ich habe es gefunden."
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"Der Schatzmeister des Königs"
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Er war Arzt im Krankenhaus, Pionier in Sachen Humanitäre Hilfe, "Goncourt"-Preisträger und Botschafter in Senegal. Jean-Christophe Rufin, Autor von Thrillern und historischen Romanen hat eine neues Abenteuer geschrieben, das Abenteuer seines Lebens. Rufin erzählt sehr poetisch und berührend über seine Kindheit, von seinem Großvater, der im Konzentrationslager Buchenwald nur deshalb überlebte, weil er Arzt war. Rufin erzählt, wie er durch diesen Einfluss überhaupt erst Mediziner geworden ist und wie die Medizin nicht nur zu seiner Leidenschaft, sondern zu einer Haltung wurde. Ein ergreifender, sehr persönlicher Bericht eines großen Homme de science et de lettres, eines Menschenfreundes im alten Sinn. (S. Fischer)
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