Heidi Rehn: "Der Sommer der Freiheit"
Baden-Baden
1913: Selma ist mit ihrer Familie - Eltern, Bruder Christian (Grischa)
und der Großmutter Meta - in der Sommerfrische, so wie jedes Jahr. Nur
ist diesmal einiges anders, denn die aus Bonn stammende Selma ist seit
Kurzem mit dem Preußen Gero Sudloff verlobt, dessen Ankunft sie
sehnsüchtig erwartet.
Doch zunächst kommt erst einmal nur dessen Audi, in dem Selma dann in
den nächsten Wochen mit ihrem Bruder viel unterwegs ist. Gero selbst
wird in seiner Kanzlei in Berlin, wo auch Selmas Familie lebt, seitdem
ihr Vater im Parlament sitzt, gebraucht. Und so lernt die junge Frau das
eigenständige Autofahren, während ihr jüngerer Bruder neidisch daneben
sitzen muss - obwohl dieser sich für die kaiserlichen Flieger angemeldet
hat.
Eines Tages bleibt der Audi auf der Strecke, kurz bevor ein heftiges
Gewitter beginnt. Zu Selmas Glück kommt der verbleibende Rest der Metzer
Fabrikantenfamilie Weißkirchner in seinem Auto vorbei, und deren Tochter
Constanze kann den Schaden am Audi schnell beheben. Das ist der Beginn
einer tiefen Freundschaft zwischen den beiden jungen Frauen, wobei Selma
die jüngere Constanze als eine Art Schwester annimmt.
In den nächsten Tagen unternehmen die drei dann allerlei gemeinsam, bis
die Frauen schließlich einmal einen Ausflug ohne Grischa planen, der sie
nach Belfort führt, wo sie auf den französischen Fotografen Robert Beck
stoßen, der die Herzen der beiden jungen Frauen durcheinander bringt. So
durcheinander, dass Selma sogar ihre Eheschließung mit Gero zeitweise in
Frage stellt.
Von dieser Konstellation ausgehend entwickelt sich dieser Roman zwischen
Baden-Baden, Berlin, Metz, Bonn und den Schützengräben im Westen im
Ersten Weltkrieg, während die Mitglieder der beiden Hauptfamilien dieses
Romans allerlei Schicksalsschläge erleiden - aber auch großes Glück
erleben.
Neben einer umfänglichen Liebes- und Beziehungsgeschichte ist "Der
Sommer der Freiheit" auch ein Roman über das Erleben des Kriegs an der
Front und in der Heimat und darüber, was ein Krieg aus den Menschen
macht - das heißt, wie er sie verändert. Und Heidi Rehns Buch ist auch
ein Roman über die Veränderung der Stellung der Frau in der
Gesellschaft, eine Veränderung, für die sich gerade Selmas Großmutter
Meta Kayserberg überaus heftig einsetzt und für die sie große Risiken
eingeht. Wenn auch nicht so große Risiken wie Selma im Verlauf des
Krieges, für das, was sie für ihre Pflicht erachtet.
Stellenweise - gerade zu Beginn, als Selma noch sehr unbedarft ist, auch
wenn sie glaubt, die Welt besser zu verstehen, als ihre Mitmenschen -
ist der Erzählstil doch sehr schwärmerisch, und man ist vielleicht
entschuldigt, wenn man im Hinterkopf gelegentlich ein leises "Vorwärts!"
hört. Aber dies geschieht während der Lektüre wirklich nur gelegentlich.
Insgesamt ist "Der Sommer der Freiheit" eine interessante Darstellung
der Zeit vor dem
Ersten Weltkrieg,
währenddessen und danach, ohne diesen ganz in den Vordergrund zu rücken,
und auch eine Reflektion darüber, was Individuen tun, wenn sie mehr oder
minder unverhofft auch einmal ungeahnte Freiheiten zugesprochen
bekommen.
Dies wird - ein wenig didaktisierend - durch einen erzählerischen Rahmen
noch verstärkt dargestellt und dürfte wohl auch das Hauptanliegen des
Romans darstellen, wenn man dem Nachwort glauben darf.
Im Anhang findet sich im Übrigen auch ein kleines Glossar zu
französischen und Berlinerischen Wendungen, die in diesem Roman eine
Rolle spielen.
Alles in allem ein zufriedenstellender Roman.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 07/2014)
Heidi
Rehn: "Der Sommer der Freiheit"
Knaur, 2014. 667 Seiten.
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Heidi Rehn wurde 1966 in
Koblenz/Rhein geboren und wuchs in einer Kleinstadt am Mittelrhein auf.
Zum Studium der Germanistik, Geschichte, BWL und
Kommunikationswissenschaften kam sie nach München. Nach dem
Magisterexamen war sie zunächst als Dozentin an der
Ludwig-Maximilians-Universität München tätig, anschließend war sie
PR-Beraterin in einer Agentur. Seit mehr als zehn Jahren arbeitet sie
als freie Journalistin und Autorin.
Weitere Lektüretipps:
Detlev Mares, Dieter Schott (Hrsg.): "Das Jahr 1913. Aufbrüche und
Krisenwahrnehmungen am Vorabend des Ersten Weltkriegs"
In den Jahren kurz vor dem Ersten Weltkrieg traten zentrale Prozesse
eines gesellschaftlichen Durchbruchs zur Moderne klar zum Vorschein: Die
Jugendbewegung organisiert sich reichsweit beim Zusammentreffen auf dem
Hohen Meißner im Oktober 1913; in der Architektur manifestiert sich die
Moderne in wegweisenden Bauten. Die Frauenbewegung
fordert männliche Dominanz in Politik und Gesellschaft heraus; die
Zeitgenossen beginnen, ihre eigene Epoche als "Moderne" wahrzunehmen.
Dieser Band beleuchtet den kulturellen und gesellschaftlichen Aufbruch
am Vorabend des Ersten Weltkriegs in einer Reihe zentraler Felder und
fragt nach Brüchen und Kontinuitäten über den Krieg hinaus. (transcript)
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Jörn
Grabowski, Petra Winkler (Hrsg.): "Zum Kriegsdienst einberufen. Die
Königlichen Museen zu Berlin und der Erste Weltkrieg"
Der Beginn des Ersten Weltkrieges traf die Königlichen Museen zu Berlin
mitten in einer Phase der dringend nötigen Um- und Neuordnungen der
Sammlungen: Nach dem Wachstum in der wilhelminischen Ära befanden sich
noch zwei Museumsgebäude im Bau, deren zügige Vollendung der Krieg
verhinderte. Zahlreiche Mitarbeiter der Museen wurden zum Kriegsdienst
einberufen, darunter Direktoren und Wissenschaftler, die an den
verschiedenen Fronten des Krieges zum Schutz von Kulturgütern oder
Ausgrabungsstätten zum Einsatz kamen.
Der Erste Weltkrieg markierte für die Museen in vielerlei Hinsicht eine
bedeutende Zäsur, die hier erstmals quellenkritisch untersucht und
dargestellt wird. Die Beiträge werfen Schlaglichter auf die Aktivitäten
ausgewählter Sammlungen sowie auf die Rolle einzelner Museumsdirektoren.
Exemplarisch werden die Auswirkungen auf den Museumsalltag in Berlin und
kriegsbedingte historisch-politische Vorgänge betrachtet, wie etwa die
erzwungene Abgabe des Genter
Altars aus der Gemäldegalerie als deutsche Reparationsleistung,
die die Folgen des Ersten Weltkrieges für die nunmehr Staatlichen Museen
zu Berlin eindrucksvoll illustrieren. (Böhlau)
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