Shreyas Rajagopal: "Scar City"


Kein Limit - keine Hoffnung

"Scar City" von Shreyas Rajagopal berichtet Episoden aus dem Leben des jungen Studenten Rish, eines Sohnes reicher Eltern, der sich ohne Halt und ohne Ziel am Rande unzähliger Exzesse inmitten von Bombays reicher Oberschicht bewegt. Es spielt keine Rolle, ob es Partys sind, Einkaufen oder Sex ist - Rish kennt keine Grenzen.

Mitten im Semester kehrt Rish spontan nach Bombay zurück. Sein Studium in New York kann ihm nicht helfen, seine labilen Gefühlszustände zu überwinden. Wieder in der Stadt, in der er aufgewachsen ist, besucht er unzählige Partys, lebt von Droge zu Droge, von Exzess zu Exzess. Ohne stabiles Familienleben und ohne Kreditkartenlimit bewegt sich Rish durch die Straßen von Bombay. Er hängt fest in der Vergangenheit: Beziehungen, die vor Jahren ein Ende gefunden haben, Freundschaften, die an Tiefe verloren haben, Begehren, das noch nie Erfüllung gefunden hat. Rish wird gequält von seinen Schuldgefühlen für vergangene Taten und Entscheidungen. Warum spricht Rish nicht mehr mit Rohan? Was weiß er über den Selbstmord von Rohans Bruder? Und was weiß Yasmin darüber? Als seine beste Freundin Radhika vergewaltigt wird, sieht er sich mehr denn je mit dem Leben im Exzess konfrontiert.

"Scar City" erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, der von Ziellosigkeit geplagt ist und es längst aufgegeben hat, den Sinn seines Lebens in der Gegenwart zu finden oder in der Zukunft darauf zu hoffen. Er versinkt in Selbstmitleid und sieht sich hilflos seiner Umgebung ausgeliefert. Für ihn gibt es keinen Grund, einen Schritt nach vorne in die Zukunft, in ein unabhängiges selbstständiges Leben zu wagen. Denn was kann es schon Größeres geben, als Partys zu feiern, von Sex zu träumen und auf den schlimmsten Trip seines Lebens zuzusteuern? Schritt für Schritt, wenn auch in einem besonders langsamen Tempo, wird die Vergangenheit des Protagonisten offengelegt. Über das Ausmaß der Schuld zu urteilen, bleibt schließlich dem Leser überlassen.

Gnadenlos und trotzdem feinfühlig in seiner Wortwahl berichtet der Autor von einem exzessiven Leben, das aufgrund der Trostlosigkeit, die den Leser von Seite zu Seite immer mehr einnimmt, nicht an Realitätsbezug verliert. Für viele mag an unterschiedlichen Stellen des Romans der Gedanke der Absurdität überwiegen, aber die sowohl sprachlich als auch inhaltlich detaillierten Schilderungen der Ereignisse erweisen sich am Ende als Episoden aus dem realen Leben. Omnipräsent ist die Frage nach der Schuld, die Rish sich für Vergangenes zu geben scheint und später auch ein Thema in der Gegenwart für ihn wird. Die Trägheit, mit der sich der Protagonist, versunken in Selbstmitleid und überzeugt von der eigenen vermeintlichen Machtlosigkeit, durch das Leben bewegt, frustriert an manchen Stellen. Verwirrend erscheint die Vielzahl an vorgestellten Figuren, die mit dem Protagonisten, in dessen Gedanken sich der Leser fast zu jedem Zeitpunkt befindet, in Verbindung stehen. Rückblicke lassen erst nach und nach erahnen, welche Charaktere die Haupthandlung tatsächlich beeinflussen.

Die sprachliche Komponente und das langsame Hineinführen in die Vergangenheit machen dieses Buch zu einer wertvollen Erfahrung. Wer nicht erwartet, mit positiven Gefühlen konfrontiert zu werden, sondern Sprache und realitätsnahe Erzählungen zu schätzen weiß, kann Shreyas Rajagopals Roman mit Garantie genießen.

(Sabrina Brugner; 12/2014)


Shreyas Rajagopal: "Scar City"
(Originaltitel "Saltwater")
Aus dem Englischen übersetzt von Simone Jakob.
Ullstein, 2014. 352 Seiten.
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Shreyas Rajagopal, Jahrgang 1986, lebt und arbeitet in Bombay. Er hat am namhaften "St Xavier's College Mumbai" und dem "Indian Institute of Management Calcutta" studiert und ist im Finanzsektor tätig. "Scar City" ist sein erster Roman.

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