Leonardo Padura: "Ketzer"
Der "kubanische
Wilsberg"
ist wieder da
Etliche Jahre nach seinem Austreten aus dem Polizeidienst und auch nach
seinen bisher erfolglosen Versuchen, sich als Schriftsteller zu
etablieren, handelt Mario Conde immer noch sporadisch mehr oder minder
erfolgreich mit antiquarischen Büchern - anders als sein Münsteraner
Kollege allerdings ohne eigenes Ladenlokal, dafür mit einigen
zuverlässigen Geschäftspartnern. Außerdem beschäftigen sich seine
Gedanken neben den Geldnöten, dem Älterwerden und der Situation des
Landes immer mehr auch mit der Frage, ob er seine Geliebte Tamara
endlich zu einer "ehrbaren Frau" machen sollte. Wobei allein eine
standesgemäße kubanische Verlobungsfeier im engsten Kreise bereits El
Condes finanzielle Mittel weit überdehnen würde.
In dieser Situation kommt es ihm gerade recht, dass sich ein junger
Maler namens Elias Kaminsky an ihn wendet, der seine Hilfe benötigt, um
den Spuren seines Vaters Daniel nachzuspüren, der der einzige
Überlebende des Umzugs der Familie aus Europa war, denn der Rest wurde
im Jahr 1939 zusammen mit mehr als 900 anderen jüdischen Flüchtlingen
auf der "MS St. Louis" zunächst zu einigen anderen Häfen gebracht, bevor
das Schiff schließlich wieder im nationalsozialistisch beherrschten
Hamburg anlegen konnte. Eigentlich hatte Daniels Familie mit einem
Rembrandt-Original seine Einreise nach
Kuba erkauft - und das, obwohl sie alle schon gültige Visa besaßen
-, aber die Genehmigung, an Land zu kommen, war genauso verschwunden,
wie danach das Bild, das nun - im Jahr 2008 - in einem Auktionskatalog
aufgetaucht ist, wo es Elias wahrgenommen hat. Er ist nun auf Kuba, um
der Geschichte und dem Weg dieses Bildes nachzuspüren - und auch der
Frage, warum sein Vater im Erwachsenenalter Kuba relativ fluchtartig
verlassen musste.
Diese Geschichte wird im ersten Teil des Romans erzählt, der den Titel
"Das Buch Daniel" trägt.
Das darauf folgende "Buch Elias" erzählt aber mitnichten die Geschichte
von Daniels Sohn, sondern die eines anderen Daniel Kaminsky, der im 17.
Jahrhundert in Amsterdam gelebt hat und dort gegen das jüdische Verbot
unbedingt Maler hatte werden wollen. Dazu näherte er sich über einige
Umwege Rembrandt van Rjin an und konnte in aller Heimlichkeit seine
Ausbildung in dessen Werkstatt beginnen; eine Möglichkeit, die ihm
ungeahnte Welten der Freuden - aber viel mehr noch der Angst und des
Schmerzen - eröffnet.
Im dritten Teil des Romans, ("Das Buch Judith"), wird El Conde kurz nach
Elias' Abreise von einer jungen Emo gebeten, nach deren verschwundener
Freundin Judy zu suchen, die in der Emo-Szene Havannas eine wichtige
Wortführerin ist. Sowohl ihre Familie, als auch ihre Freunde haben keine
Ahnung, wo die junge Frau steckt, und aufgrund des seltsamen Auftretens
und der Optik der jungen Emo beschließt Mario Conde, sich der Sache mit
einigen seiner Freunde bei der Polizei anzunehmen. Und so taucht er in
die für Kuba neue Jugendkultur ein, die ihm bis dahin ein Rätsel gewesen
ist und die ihm - in einer späteren und verzweifelteren Phase seines
Lebens - näher zu sein scheint, als er jemals vermutet hätte.
Das abschließende "Buch Genesis" führt die verschiedenen Erzählstränge
in El Condes Hand wieder zusammen.
In allen Erzählungen spielen "Ketzer" eine wichtige Rolle, wobei der
Begriff hier seine ganz eigene Belegung findet. Damit einhergehend
stellt sich immer wieder die Frage, was es eigentlich bedeutet, frei zu
sein, und wie leicht es ist, die Zerbrechlichkeit von Freiheit zu
realisieren, wenn man in einem Land aufwächst, das einem allerlei
Freiheiten zu geben scheint. Auch zeigt sich in diesem Buch immer
wieder, wie Regierungen, religiöse Autoritäten und Andere oftmals
versuchen, zum Schutz dieser Freiheit einige andere einzugrenzen. Das
ideelle Gleichgewicht von Freiheit und Sicherheit, das seit dem Fall der
Zwillingstürme des "World Trade Centers" die Gesetzgebungen
vieler Länder zugunsten der Sicherheit verschoben hat - und dies oft
eher stillschweigend - ist auch hier unterschwelliges Thema der
Betrachtungen.
Das Buch endet schließlich nach den Danksagungen mit einer kleinen
persönlichen Darstellung der Entstehungsgeschichte dieses Romans durch
Leonardo Padura selbst. Und an dieser Stelle findet es auch wieder zu
seiner Sprache zurück. Denn El Conde ist eher eine Reflektionsfigur in
diesem Roman, durch deren Augen und Ohren der Leser die verschiedenen
anderen Geschichten wahrnimmt, die dann auch jeweils in einer anderen
Erzählstimme dargestellt werden - außer im "Buch Judith", in dem El
Conde die größte Rolle spielt. Dabei ist es sicherlich Geschmackssache,
wie einem die einzelnen Erzählstimmen gefallen, aber speziell nach den
langen Erzählteilen Elias' im "Buch David" und der fast ausschließlichen
Darstellung aus der Zeit heraus des "Buchs Elias" kommt Padura im "Buch
Judith" eigentlich nicht zu seiner eigenen Erzählstimme für El Conde
zurück, was die Lektüre ein wenig erschwert.
Insgesamt hat Padura für dieses Buch - genau wie für "Der
Mann, der Hunde liebte" - umfänglich recherchiert und dabei in zum
Teil sehr unterschiedliche Richtungen. Dadurch wirkt das Buch als Ganzes
uneinheitlich, und gelegentlich beschlich den Rezensenten während der
Lektüre das Gefühl, man hätte das hier gesammelte Wissen besser auf zwei
voneinander eher unabhängige Geschichten verteilt. Prinzipiell sind die
Hintergründe allesamt nicht uninteressant, und es ist auf jeden Fall
schön, El Conde und seine Freunde wiederzutreffen.
Aber es bleibt doch der Eindruck einer Lektüre, die hinter ihren
Möglichkeiten zurückgeblieben ist.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 03/2014)
Leonardo Padura: "Ketzer"
(Originaltitel "Herejes")
Aus dem Spanischen von Hans-Joachim Hartstein.
Unionsverlag, 2014. 649 Seiten.
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Ein weiteres Buch des
Autors:
"Die Palme und der Stern"
Nach achtzehn Jahren im Exil kehrt der Schriftsteller Fernando nach
Havanna zurück, um nach einem verschollenen Manuskript des Dichters José
Maria Heredía zu suchen. Die Rückkehr führt ihn nicht nur zu den
Geheimnissen der Freimaurer Kubas, denen Heredía angehörte, sondern auch
in die eigene Vergangenheit: Wer hat Fernando vor bald zwanzig Jahren
denunziert und damit ins Exil getrieben? Padura verwebt drei
Handlungsstränge: Das Schicksal von Fernando, die Suche nach dem
verlorenen Manuskript und die fiktiven Memoiren von Heredía.
Gleichzeitig vermittelt er ein atmosphärisches Bild von Kubas
Geschichte, vom beklemmenden Lebensgefühl im Exil und deckt erstaunliche
Parallelen im Leben der beiden Schriftsteller aus zwei Jahrhunderten
auf. (Unionsverlag)
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Noch ein Buchtipp:
Nils Büttner: "Rembrandt. Licht und Schatten. Eine Biografie"
Die Bewunderung für
Rembrandt
ist ungebrochen. Seine Werke sind im digitalen Zeitalter omnipräsent,
Ausstellungen seiner Bilder und Grafiken brechen Besucherrekorde. Neben
seinen zu Recht gerühmten Werken zeugen zahlreiche Urkunden und
Dokumente von Rembrandts irdischer Existenz und liefern den Stoff für
eine überaus spannende Darstellung von Leben und Schaffen des
niederländischen Malers. Diese Biografie trägt den Erkenntnissen der
aktuellen Forschung Rechnung. Vor allem liegt ihr aber die gründliche
neue Auswertung aller historischen Quellen zu Grunde, die hier zum
Sprechen gebracht werden. Der Leser fühlt sich ins
"Goldene Zeitalter" der Niederlande zurückversetzt und erlangt ein
tiefes Verständnis für das Werk des Meisters von Licht und Schatten.
(Reclam)
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