Vladimir Odoevskij: "Der schwarze Handschuh"
Erzählungen
Eine große Entdeckung
Vladimir Odoevskij (1803-1869) ist heute im deutschsprachigen Raum kein
bekannter Name. Seine Erzählungen und Novellen haben den Weg nach Europa
bisher kaum gefunden. Auch in Russland ist sein Name derzeit nur wenigen
Lesern ein Begriff. Seinerzeit war Fürst Vladimir Fjodorowitsch
Odoevskij allerdings eine der schillerndsten Figuren der St.
Petersburger Kunstszene der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Zu einer
Zeit, in der die Lyrik die Literatur bestimmte, beeinflusste er mit
seinen fantasiereichen und satirischen Erzählungen einige Generationen
von Schriftstellern, unter Anderem Iwan
Turgenjew, Anton
Tschechow, Lew
Tolstoi und Fjodor
Dostojewski. Als sein Hauptwerk kann der Zyklus von
Künstlernovellen "Russische Nächte" betrachtet werden, sein zumindest in
Russland bekanntestes Werk. Zusätzlich war er Komponist und
Musikkritiker und maßgeblich an der Verbreitung der Werke Ludwig
van Beethovens in Russland beteiligt. Er komponierte Werke, die
sich mit der russischen Volksmusik beschäftigten, von denen aber nur
kleine Fragmente erhalten sind. Ebenso war er Vizedirektor der
Kaiserlichen Öffentlichen Bibliothek St. Petersburg und später
Museumsdirektor.
Die hier versammelten Novellen und Erzählungen stammen hauptsächlich aus
den 20er- und 30er-Jahren des 19. Jahrhunderts und bestechen durch ihre
stilistische Brillanz und vermeintliche Leichtigkeit. Bestechende
Beobachtungen, die Fürst Odoevskij in seiner Kurzprosa als Ausgangspunkt
für treffsichere Gesellschaftskritik nimmt. Nur an der Oberfläche ist
die Welt so einfach, wie man sie hier vermuten könnte, doch darunter
brodelt es gewaltig.
Eitelkeit, Trägheit, Geiz, Habgier, Kleingeist und Dummheit - alles
kommt hier vor, satirisch-polemisch nimmt er den vermeintlich schönen
Schein seiner Standesgenossen auseinander, zerpflückt ihn so, dass man
sich fragt, wie er je glänzen konnte. Am Ende ist alles ausgehöhlt und
leer, sodass die Protagonisten, egal ob sie zu den Privilegierten oder
zu den Armen zählen, ihre Scheinwelt oft gar nicht einbrechen sehen.
Wenngleich alle Erzählungen ausgezeichnete und denkanstoßende
Prosastücke sind, so sind die beiden Erzählungen "Prinzessin Mimi" und
"Prinzessin Zizi" sicherlich die Krönung dieser bereits fabelhaften
Sammlung.
In dieser vom Autor verdammten Welt ist eine Frau nur angesehen, wenn
(gut) verheiratet, was die mehr oder weniger aus Desinteresse
unverheiratet gebliebene Prinzessin Mimi bei jeder Gelegenheit zu spüren
bekommt.
"Ihre Lage wurde unerträglich: alles um sie her heiratete oder hatte
bereits geheiratet; das kleine Flittchen, das noch gestern ihre
Protektion gesucht hatte, sprach heute selbst zu ihr im Ton der
Protegierenden, - und kein Wunder: sie war verheiratet! die eine hatte
einen Mann mit Sternen und Ordensbändern! Der Mann der anderen spielte
Whist mit hohem Einsatz! Das Ehrfurchtgebietende ging von den
Ehemännern auf die Ehefrauen über; diese hatten entsprechend ihren
Ehemännern Stimme und Kraft, nur Prinzessin Mimi blieb allein, ohne
Stimme, ohne Unterstützung."
Um trotzdem bestehen zu können, schließt sie sich in ihrer Verzweiflung
einer Gruppierung von Damen an, die sich scheinbar um die Wahrung der
Sitten bemühen. In Wahrheit bespitzeln sie, tratschen und bringen
wiederum Andere in Verruf, auch wenn sie da aus Kurzsichtigkeit oder
Einfältigkeit auch irrtümlich jemanden in Verruf bringen. Es ist
besonders spannend, zu beobachten, wie Fürst Odoevskij hier feinfühlig
die Stimmung kippen lässt, wie die Verdammte aus Verzweiflung zur
Verdammenden wird, durch ihre üble Nachrede auch zugrunderichtet, ohne
das auch nur im Ansatz zu bemerken.
Prinzessin Zizi ist quasi das Spiegelverkehrung Mimis; gewitzt, frivol
und aktiv an Liebe und Heirat interessiert. Sie erleidet das Schicksal,
unverschuldet in Verruf gebracht zu werden ...
Von den sieben ausgezeichneten Prosastücken sind vier
Erstveröffentlichungen in deutscher Sprache, die anderen drei
Neuübersetzungen. Die kongeniale Übersetzung von Peter Urban (1941-2013)
trifft den Tonfall des russischen Originals sehr genau und überzeugend,
was den Genuss dieser literarischen Leckerbissen noch erheblich
intensiviert.
Dieser Band ist eine große Entdeckung, absolute Empfehlung. Es bleibt
die Hoffnung, dass weitere Werke des Fürsten Odoevskij folgen werden ...
(Roland Freisitzer; 01/2014)
Vladimir Odoevskij: "Der schwarze
Handschuh. Erzählungen"
Aus dem Russischen übersetzt und mit einem Nachwort von Peter Urban.
Manesse, 2013. 379 Seiten.
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Leonid Dobyčin: "Die Erzählungen"
Die hier vorgelegten kurzen Erzählungen Dobyčins - sie erschienen
zwischen 1924 und 1930 verstreut in literarischen Zeitschriften und
Almanachen Leningrads - bilden so etwas wie das Manifest des
erzählerischen Stils dieses Autors, der sich im Übrigen theoretisch nie
geäußert hat, es sei denn in aphoristischen Bemerkungen in Briefen.
Dobyčins Erzählstil ist geprägt von Puškins
Diktum über die künstlerische Prosa "Genauigkeit und Kürze" wie
von Anton Cechovs Forderung nach "äußerster Kürze". Diese
Forderung wird von Dobyčins Erzählungen nochmals radikal reduziert auf
ein Minimum des Möglichen und Allernötigsten. Die Rolle des Erzählers
entfällt bzw. wird übernommen von einer imaginären, absolut objektiven
Filmkamera, deren Aufnahmen eben jener "treffenden Details" mit der
modernen Schnitttechnik der Montage neu zusammenfügt werden: russische
Provinz, hier die westrussische Kleinstadt Brjansk in den Jahren nach
der Revolution: "Alles geschieht wie immer in der russischen
Provinz, genauer: nichts geschieht." Nur dass dieses "Nichts" in
Wirklichkeit ungeheuer viel bei Dobyčins Konzentration und Dichte
erlangt, wie sie erzählerische Prosa im Russischen nie wieder erreicht
hat: Dobyčin rückt die Gattung der Prosaminiatur an die Grenze zum
epischen, bisweilen sogar lyrischen Gedicht.
Leonid Dobyčin (1894-1936) gehört zu den großen Autoren der lange
verfemten Petersburger Avantgarde, der seit dem Ende der
Sowjetherrschaft, neben Daniil Charms und Isaak
Babel, wiederentdeckt und angemessen gewürdigt wird. Dobyčin
geriet 1935 ins Zentrum der berüchtigten Formalismus-Debatte, er wurde
als Volksfeind bezeichnet. Der Roman "Die Stadt N." erschien 1935, ein
Jahr danach starb der Autor. Man hat lange geglaubt, er hätte sich das
Leben genommen. Seit die Berichte der NKVD-Spitzel bekannt sind, die ihn
in seinen Leningrader Jahren beschattet haben, sind Zweifel an dieser
Version aufgekommen. (Friedenauer Presse)
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Vladimir Nabokov: "Vorlesungen über russische
Literatur"
"Es ist schwer, sich die Erleichterung der Ironie, den Luxus der
Verachtung zu verkneifen, wenn man den Schlamassel betrachtet, den
unterwürfige Hände, gehorsame Fangarme unter der Anleitung einer
aufgeblasenen Staatskrake aus jenem feurigen, phantasievollen, freien
Ding gemacht haben - der Literatur. Mehr noch: Ich habe meinen Ekel
wie einen Schatz zu hüten gelernt, denn ich weiß, dass dieses starke
Gefühl es mir ermöglicht, vom Geist der russischen Literatur so viel
ich kann zu bewahren. Nach dem Recht zu erschaffen ist das Recht zu
kritisieren das reichste Geschenk, das Gedanken- und Redefreiheit zu
bieten haben. Sie, die Sie in Freiheit leben, in der geistigen
Offenheit, in der Sie geboren wurden und in der Sie aufgewachsen sind,
halten vielleicht die Berichte vom Gefängnisdasein in fernen Ländern
für übertriebene, von keuchenden Flüchtlingen in die Welt gesetzte
Schreckensgeschichten. Dass es ein Land gibt, wo die Literatur seit
fast einem Vierteljahrhundert darauf reduziert wurde, die Reklame für
eine Sklavenhändlerfirma zu bebildern, muss Menschen, für die das
Lesen und das Schreiben von Büchern gleichbedeutend ist mit dem Besitz
und dem Ausdruck individueller Meinungen, wenig glaubhaft
vorkommen." (Aus dem Buch. Rowohlt)
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Daniil Charms:
"Einfach Schnickschnack"
Unsinn mit Hintersinn - eine Wiederentdeckung für Jung und Alt.
Unbegreifliche Dinge geschehen: Eine Lokomotive gibt Kindern Grütze, ein
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läuft in eine Schürze und zerreißt dabei zwei Schultern - Unsinn,
Blödelei, Absurdität. Avantgardeliteratur im Leningrad der
Zwanzigerjahre war ein Affront gegen Spießertum und sozialistischen
Realismus. Wer Lust am Spiel mit der Sprache und ein Gespür für den Sinn
des Unsinns hat, dem bereiten die Texte von Daniil Charms noch heute
Vergnügen. (dtv; Russisch und Deutsch)
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Neutatz: "Träume und Alpträume. Eine Geschichte Russlands im 20.
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Dreimal wurde Russland im 20. Jahrhundert neu erfunden: im Zuge der
Modernisierung des späten Zarenreiches, unter den Kommunisten und nach
dem Ende der Sowjetunion. Die Träume, die mit diesen Aufbrüchen
verbunden waren, konfrontiert dieses Buch mit ihrer Umsetzung in die
Praxis, die sich oft genug als Alptraum entpuppte.
"Wir wollten das Beste, aber es kam wie immer." Dieser Satz
Viktor Cernomyrdins ist in Russland zum geflügelten Wort geworden, weil
er als gemeinsamer Nenner aller Anfänge gelten kann, die in Russland im
langen 20. Jahrhundert unternommen wurden. Die Reformer des späten
Zarenreiches, die Bolschewiki, deren Traum von einer besseren
Gesellschaft Millionen Menschen das Leben kostete, aber auch die
Marktwirtschaftler der neuen Ära nach dem Ende
der Sowjetunion: Sie alle mussten hilflos zusehen, wie sehr sich
das, was herauskam, von dem unterschied, was sie sich ausgemalt hatten.
Anschaulich und mit dem Blick für die Lebenswelten der Menschen
schildert Dietmar Neutatz die bewegte Geschichte Russlands seit dem Ende
des 19. Jahrhunderts und zeigt, welche Antworten dort auf die
Herausforderungen der industriellen Moderne gefunden wurden. (C.H. Beck)
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