Nagib Machfus: "Der letzte Tag des Präsidenten"


Ein kleines Buch mit sehr viel Inhalt

1981. Sadat ist seit der "Großen Wende" Präsident von Ägypten, und wirtschaftlich steht es für viele Menschen relativ schlecht. Während die Eliten des Landes immer reicher werden und sich untereinander gute Posten zuschachern, geht es den normalen Menschen zunehmend schlechter. In vielen Familien müssen alle Familienmitglieder einer Arbeit nachgehen, und in manchen sogar mehr als Einer, um wenigstens das Notwendigste auf den Tisch zu bringen. Viele ältere Revolutionäre haben sich mit dieser Situation abgefunden und Zuflucht in der Religion gesucht, wie etwa Muchtaschimi Zajid, der einer der Ich-Erzähler dieses kleinen Bands ist. Er ergeht sich in Gebet, Fasten und Fernsehserien, während seine Kinder schwer arbeiten und sein Enkel Alwan auch zwei Tätigkeiten nachgehen muss - einer für die Regierung und einer, die wirklich Geld bringt.

Alwan, ein weiterer Ich-Erzähler dieses Büchleins, ist seit Jahren mit Randa verlobt, die gleichfalls Teile dieses Buchs erzählt, deren Vater sich in einen zynischen und pragmatischen Atheismus geflüchtet hat, der dem Denken Muchataschimis völlig entgegen steht. Auch sie arbeitet für die Regierung und ist sehr unglücklich darüber, dass sie ihren Alwan aus Geldmangel nicht heiraten kann, um mit ihm in eine eigene Wohnung zu ziehen. Diese Situation wird noch dadurch erschwert, dass sich beide Familien wegen des Ledigseins ihrer Kinder Sorgen machen und speziell Randa nicht als "alte Jungfer" enden soll. Aber ihre Liebe lässt sie diese Situation zunächst aushalten.
"Es war ein glücklicher Tag, als unsere Verlobung bekannt gegeben wurde. Damals schien ein Traum wahr zu werden.
Als wir anfingen zu arbeiten, waren wir plötzlich mit völlig neuen Problemen konfrontiert. Drei Jahre geht das nun schon so, und wir sind bereits sechsundzwanzig Jahre alt. Aus dem Liebenden von einst ist ein erschöpfter, sich ohnmächtig fühlender, mit Sorgen belasteter Mann geworden. Wir plaudern und tuscheln nicht mehr, wir diskutieren nur noch die aktuelle Lage, und zwar so intensiv, dass man uns auch in der Wirtschaftsabteilung einstellen könnte. Wohnung, Möbel, Haushaltskosten. Weder weiß Randa eine Lösung, noch ich. Das einzige, was wir besitzen, sind Liebe und Beharrlichkeit."


Als der Druck immer größer wird, sieht sich Alwan plötzlich gezwungen, die Verlobung zu lösen, und beide Liebenden werden von ihren Familien wieder in das Partnersuchrennen geschickt. Doch Randas lediger Vorgesetzter hat ein Auge auf seine junge Untergebene geworfen, während er in Alwan den idealen neuen Ehemann für seine verwitwete Schwester sieht. In ihrer jeweiligen Verzweiflung lassen sich die beiden auf ein gefährliches Spiel ein.

Die Situation Alwans und Randas entspricht jener vieler junger Menschen in Ägypten kurz vor dem Beginn der letzten Revolution, die Mubarak aus dem Amt geworfen hat. Es ist sicherlich kein Zufall, dass Nagib Machfus dieses Werk als mögliche Lehre aus der Geschichte gerade jetzt noch einmal auf Deutsch erscheinen lässt - das Buch stammt ursprünglich aus dem Jahr 1985, als das Attentat auf Sadat noch frisch in Erinnerung war. Die Parallelen und auch die Unterschiede zur aktuellen Situation werden anhand der direkten Perspektiven der Erzählerinnen und Erzähler und auch durch die von ihnen beobachteten Reaktionen ihrer Mitmenschen sehr gut verdeutlicht.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 04/2014)


Nagib Machfus: "Der letzte Tag des Präsidenten"
(Originaltitel "Yawm qutila al-za'im")
Aus dem Arabischen von Doris Kilias.
Unionsverlag, 2014. 120 Seiten.
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