Donna Leon: "Das goldene Ei"
Commissario Brunettis zweiundzwanzigster Fall
"An diesem Abend hatte die Treppe zur Wohnung dreihundert
Stufen. ... Aus der Küche drangen Geräusche, Wörter, Sätze: [...]
Alle diese Satzfetzen hatten eine Bedeutung. Alle diese Wörter
eröffneten Zugang zu größeren Zusammenhängen oder Begriffen. Lob,
Kritik, Zeit."
Ein nachdenklicher Fall von ungeahnter Tiefe - emphatisch,
einnehmend, empfehlenswert
Commissario Brunettis zweiundzwanzigster Fall ist eigentlich kein
richtiger Fall. Guido Brunetti ermittelt viel mehr aus Interesse und
Pflichtbewusstsein als aus Notwendigkeit im (augenscheinlichen)
Unfalltod eines geistig zurückgebliebenen Taubstummen, der in der
Reinigung der Brunettis gearbeitet hat. Er, den Brunetti schon so lange
kennt und doch eigentlich überhaupt nicht, verstirbt an zu vielen
Schlaftabletten, die so aussehen wie Süßigkeiten. Die größte
Überraschung bei den Nachforschungen: Es gibt absolut kein amtliches
Dokument über den Verstorbenen, zu Beginn der Ermittlungen hat er nicht
einmal einen Namen. Da der Tote nie offiziell erfasst wurde, bekam er
auch nie Förderung oder Unterstützung in seiner speziellen Situation,
sondern vegetierte vor sich hin. Das äußerst eigenartige Benehmen der
Mutter des Verstorbenen und die ausweichenden Antworten der Nachbarn
über die Familie sind bizarr genug, Brunettis Interesse zu wecken.
Gemeinsam mit seinen Kollegen und der kreativen Unterstützung Signorina
Elettras gelingt es dem erfahrenen Commissario, Licht in das triste
Leben des Verstorbenen zu bringen und ein altes Familiengeheimnis
aufzudecken, das so geheim gar nicht ist ...
Wie in jedem Roman, in dem Donna Leon den Commissario ermitteln lässt,
zieht sich auch durch "Das goldene Ei" ein zarter Schimmer von
Alltagsphilosophie, der italienischen Küche und Gedanken über das
Urwesen der Menschheit. Dieses klassische Zusammenspiel schlägt den
Leser auch hier wieder in seinen Bann, der bis über die letzte Seite
hinaus anhält. Die soziale Thematik des Falls berührt ganz besonders und
regt zum Nachdenken an - das gilt nicht nur für den Leser; es ist auch
die deutliche Vereinnahmung des Polizisten Brunetti spürbar. Die
Tatsache, dass dem Toten jeglicher Zugang zur Welt des Sprechens und
Hörens und somit zur Welt der restlichen Menschheit verwehrt blieb,
beschäftigt Brunetti sehr, und die mangelnde Zivilcourage seines
Umfeldes bestürzt ihn. Besonders auf den letzten Seiten wandelt sich der
Verlauf zu einer dramatischen, unmenschlichen, traurigen Erkenntnis.
Fazit:
Der Umstand, dass es in diesem Roman nicht um einen (offensichtlichen)
Mord geht, trägt vermutlich dazu bei, dass die Handlung nicht so bunt
und spannend ist, wie man es von vorhergehenden Brunetti-Fällen gewohnt
ist. Der Leser sollte nicht mit einem spannungsgeladenen Superkrimi
rechnen, nichtsdestotrotz darf man sich auch diesen Leon-Roman nicht
entgehen lassen.
Der ruhigere zweiundzwanzigste Fall regt mehr zum Nachdenken an und
fesselt seine Leser auf andere Art.
(Alexandra Gölly; 06/2014)
Donna
Leon: "Das goldene Ei.
Commissario Brunettis zweiundzwanzigster Fall"
(Originaltitel "The Golden Egg")
Übersetzt von Werner Schmitz.
Diogenes, 2014. 312 Seiten.
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Ein weiteres Buch der
Autorin:
"Gondola. Geschichten, Bilder und Lieder"
Das Geschenkbuch für "Brunetti"-Liebhaber: In Venedigs Blütezeit gab es
bis zu zehntausend Gondeln und eigene Gondellieder. Donna Leon erzählt
Erstaunliches. Altvenezianische Gondellieder des Ensembles "Il Pomo
d'Oro" auf der beiliegenden CD, mit einer exklusiven Zugabe von Cecilia
Bartoli. Reich illustriert mit wunderschönen Bildern u.A. von Carpaccio
und Canaletto.
Wüssten Sie, wie eine Gondel gebaut wird? Einem Freund von Donna Leon
ist das Kunststück gelungen. Einen Schatz von Anekdoten und
Wissenswertem breitet die Venedigkennerin vor uns aus, illustriert mit
bunten Bildern. Während der Blütezeit der Serenissima, im 17. und 18.
Jahrhundert, kam der europäische Adel zu ausschweifenden
Karnevalsfestlichkeiten herbei. Besucher und Bewohner lauschten damals
begeistert den Gondelliedern. Eine Auswahl von "Canzoni da battello"
findet sich auf der beiliegenden CD, umrahmt von barocker Kammermusik.
Der Sänger Vincenzo Capezzuto und das Ensemble "Il Pomo d'Oro" bringen
die wunderbaren Melodien mit Texten in venezianischem Dialekt auf
historischen Instrumenten zum Klingen unter der Leitung von Riccardo
Minasi. (Diogenes)
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Weitere Lektüretipps:
Giuseppe Furno: "Die Feuer von Murano.
Ein Venedig-Roman"
1569, die freie Republik Venedig steckt im Klammergriff zwischen den
anrückenden Osmanen
und dem immer mächtiger werdenden Kirchenstaat. Als eine Explosion in
der Werft einen halben Stadtteil vernichtet, ist man schnell von
Brandstiftung durch die Türken überzeugt, das Klima der einst so
liberalen Serenissima ist vergiftet. Indessen ermittelt Andrea Loredan,
Dogensohn und Anwalt des Volkes in einer Serie von mysteriösen Morden.
Sie führen ihn auf die Spur eines Spions in Mönchskutte, eines
verschollenen Glasbläsers und einer Geheimgesellschaft weiser Frauen,
die von der Kirche verbotene Bücher verstecken. Als Andrea und die
Segelnäherin Sofia sich plötzlich auf der Seite der von der Inquisition
und der mächtigen papsttreuen Partei Venedigs Verfolgten wiederfinden,
wird ihr Kampf um Gerechtigkeit und Freiheit zum Kampf um ihr Leben und
ihre Liebe.
In seinem preisgekrönten Debüt erzählt Giuseppe Furno nicht nur das
packende Abenteuer des Dogensohns Andrea Loredan, sondern malt darüber
hinaus ein farbenprächtiges, detailgenaues Bild Venedigs auf dem Gipfel
seiner historischen Bedeutung.
Ein packender Abenteuerroman und zugleich eine atemberaubende Zeitreise
in die Republik Venedig auf dem glanzvollen Höhepunkt ihrer Macht.
(Rütten & Loening)
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Norbert Niemann: "Die
Einzigen"
Ein großer Roman über Musik und die Liebe.
Marlene Krahl lebt für die Musik. Ihre Kompositionen und Forschungen im
Bereich der elektronischen Avantgarde beanspruchen sie mit Haut und
Haar, als ihr früherer Bandkollege Harry Bieler sie nach Jahren
unverhofft in Venedig wiedertrifft. Noch immer ist er fasziniert von ihr
als Frau und Künstlerin. Gegen seine Zweifel setzt sie Entschiedenheit.
Er sucht Zugang zu ihren Sphären, will ihr Förderer und Geliebter werden
und holt sie nach München zurück. Ihr kompromissloser Kunstwille gibt
ihm die Kraft, das familieneigene Unternehmen radikal neu zu erfinden.
Doch mit dem wachsenden Erfolg kommt auch die Frage ans Licht, wozu er
führt. Und was noch bleibt, wenn sich die Zeiten ändern? Mit "Die
Einzigen" gelingt Norbert Niemann ein virtuoser Roman über die
unbedingte, lebensdurchdringende Kraft von Kunst und Liebe in Zeiten des
entfesselten Marktes. (Berlin Verlag)
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Christopher Moore: "Der
Schelm von Venedig"
Der Hofnarr
Pocket trauert um seine geliebte Cordelia, Königin von England, die vor
Kurzem einem mysteriösen Fieber erlag. Vor ihrem Tod hatte sie Pocket
gebeten, nach Venedig zu reisen, um die Mächtigen der Stadt von einem
Krieg abzuhalten. Pocket macht sich auf den Weg, aber als er in Venedig
ankommt, muss er nicht nur erfahren, dass Cordelia in Wahrheit Opfer
eines Giftanschlags wurde, er wird auch noch bei lebendigem Leib in
einen Keller eingemauert. Hinter alldem stecken der Senator Brabantio
und der Kaufmann Antonio, die alles tun, um ihre Kriegspläne
durchzusetzen. Pocket schwört Rache
- wenn er sich nur erst einmal aus seinem Verlies befreien könnte ...
(Goldmann)
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Sabine Meine, Günter
Blamberger, Björn Moll, Klaus Bergdolt (Hrsg.):
"Auf schwankendem Grund. Dekadenz und Tod im Venedig der Moderne"
Venedig: Für Dichter, Maler, Musiker ein Seismograf für die
Erschütterungen der Moderne um 1900.
Anlass des Bandes ist das Centenarium von Thomas Manns Novelle "Tod in
Venedig", in der Gustav Aschenbach als ein der historischen Wissenschaft
verpflichteter Schriftsteller in unsicheres Terrain jenseits rationaler
Begrifflichkeit gerät, ins Sehnsuchtsland der Liebe und des Schönen, und
schließlich in einen Grenzbereich, in dem alles Gestaltete ins
Gestaltlose, Amorphe übergeht, in den Tod. Nicht zufällig ist Venedig
dafür topisch, Aschenbach mit seinen ethischen, ästhetischen und
epistemologischen Erschütterungen nicht allein. Venedig wurde zum
Spiegel der Krisenerfahrungen um 1900. Die Bewegung "auf schwankendem
Grund" wird bei Thomas
Mann und seinen Zeitgenossen zum Motor der Kreativität. (Wilhelm
Fink)
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Laura Zavan, Grégoire
Kalt: "Venedig. Die Kultrezepte"
Stimmungsvoll und reich bebildert, lädt dieses Buch zu einem Streifzug
durch die "Serenissima" und ihre traditionelle Küche ein. Geprägt
durch den lebhaften Austausch, den die Stadt als wichtige Handelsmacht
durch die Jahrhunderte mit den unterschiedlichsten Kulturen gepflegt
hat, zeichnet sich die venezianische Küche durch eine große Vielfalt und
einen ganz eigenen Charakter aus. Über 100 authentische Rezepte zeigen
die Fülle an typischen Gerichten: Den Auftakt machen "Cicheti" (kleine
Happen) und Tramezzini, wie man sie zum Aperitif in den Weinbars
genießt. Danach vielleicht ein Carpaccio wie bei "Cipriani", Bigoli (die
typischen dicken Spaghetti) mit Meeresfrüchten oder Kaninchen im
Schmortopf.
Das reichhaltige Angebot an Fisch und Meeresfrüchten aus der Lagune
verbindet sich in der venezianischen Küche mit dem Gemüse und den
Produkten aus dem bäuerlichen Umland und einem Hauch exotischer Würze.
Dazu gibt es fünf kulinarische Spaziergänge durch die schönsten
Quartiere der Stadt mit vielen guten und lohnenden Adressen zum
Ausprobieren. Ein Buch für alle Venedig-Verehrer und alle Liebhaber
einer authentischen Regionalküche. (AT Verlag)
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