Tahar Ben Jelloun: "Eheglück"
Demontage einer Ehe
Tahar Ben Jelloun ist zweifellos einer der wichtigsten Vertreter der
maghrebinischen Literatur, vielleicht der wichtigste. Er ist ein Autor,
dem man nicht nachsagen kann, dass er immer wieder dasselbe Buch
schreibe. Im Gegenteil, bis auf seine poetisch-inspirierte Prosa, ebenso
unterschiedlich instrumentiert von Roman zu Roman, sind seine
Interessen, oder besser gesagt, Themengebiete, äußerst
abwechslungsreich.
Vom kafkaesk anmutenden Roman "Der korrumpierte Mann", über die beiden
sich den Rechten der Frauen widmenden Romane "Die Nacht der Unschuld"
und "Sohn ihres Vaters", bis hin zum grausam-genialischen "Das Schweigen
des Lichts", das sich Berichten aus einem notorisch bekannten Kerker
widmet.
In einem Interview vom November 2013 behauptete Tahar Ben Jelloun u.A.:
"Ich glaube, dass die Menschen nicht dafür geschaffen sind, ein
ganzes Leben mit einem anderen Menschen zu verbringen." Ein
eindringliches Zitat aus einem Ingmar
Bergman-Film ("Szenen einer Ehe") ist dem Buch zusätzlich
vorangestellt: "Marianne: Glaubst du, zwei Menschen können ein
ganzes Leben zusammen verbringen? Johan: Die Ehe ist eine idiotische
soziale Konvention, die man jedes Jahr erneuern oder aufkündigen kann.
(...) Denk daran, deine Strafzettel zu bezahlen, es werden immer
mehr." Unter diesen Vorzeichen ist man gespannt, was man sich von
einem Roman mit dem Titel "Eheglück" erwarten kann, der seine Motivation
in diesen Zeilen sucht.
"Eheglück" ist jedenfalls kein Roman, der die Sonnenseiten einer Ehe in
den Mittelpunkt stellt. Die Ehe des nach einem Schlaganfall teilweise
gelähmten berühmten Malers mit der jungen Berberin Amina steht von
Anfang an unter keinem guten Stern. Unterschiedliche Herkunft, ein ganz
anderer Gesellschaftsstatus, eine latent vorhandene Antipathie beider
Elternpaare der anderen Familie und ihren jeweiligen Sitten gegenüber;
das sind nur einige trübende Schatten, die über dem jungen Eheglück
stehen.
Der erste Teil des Romans "Der Mann, der die Frauen zu sehr liebte" ist,
wie sich bald herausstellt, ein von einem mit dem Maler befreundeten
Schriftsteller verfasster, aus der Perspektive eines allwissenden
Erzählers betrachteter romanhafter Tagebuchbericht. Immer wieder
verschiebt sich die Erzählperspektive leicht, sodass man den Eindruck
hat, der Maler würde sich gelegentlich korrigierend einbringen.
Dieser sich über die ganze Zeitspanne der Ehe streckende Bericht ist ein
äußerst eindimensionaler, egozentrisch narzisstisch angehauchter Text,
der, grob gesagt, Amina jegliche Schuld am Scheitern der Ehe gibt. Ihre
Schuld am Schlaganfall des Malers wird eindringlich geschildert, ebenso
wie ihre emotionale Kälte, ihre mangelnde Bildung und ihr Interesse an
seinem Reichtum. Amina ist eine Despotin, wie man sie seinem schlimmsten
Feind nicht als Ehefrau wünschen würde. Der Maler selbst ist natürlich,
so will es der Text verstanden haben, ein guter Mensch, der selbst in
seinen erotischen Eskapaden Zweifel empfinden will, der vermeintlich bei
sich selbst Schuld sucht und am von seiner Frau zwischen ihnen
ungerechterweise aufgestellten eisernen Vorhang verzweifelt.
Doch Tahar Ben Jelloun wäre nicht der großartige Autor, der er
zweifellos ist, wenn er nicht wüsste, wie man beim Leser leichte Zweifel
an der Authentizität des Erlebten streut, so dass selbst der
gutgläubigste Leser die Argumente und Ausführungen des Malers bald nicht
mehr so recht glauben will.
Knapp bevor die Scheidung vermeintlich entschieden werden kann, weil
sich Amina bereit erklärt, ihre Zustimmung zu geben, findet Amina das
Tagebuch des Mannes, der die Frauen zu sehr liebte. Ihre Reaktion darauf
ist der zweite Teil des Romans, der mit "Meine Sicht der Dinge - Antwort
auf: Der Mann, der die Frauen zu sehr liebte" bezeichnet ist.
Aminas Antworten sind stilistisch andersartig verfasst und sind ein, das
trifft Tahar Ben Jelloun sehr beeindruckend genau auf den Punkt, etwas
ungestümer Versuch der Rechtfertigung, der Zurechtrückens des bisher
entstandenen Bildes der Ehe. Wie man sich vorstellen kann, ähneln sich
die beiden Ansichten der Eheleute nur insofern, als dass es zumindest
bei den Vorkommnissen immerhin Überschneidungen gibt. Die emotionale
Antwortrede der aufgebrachten Amina wird begleitet von der Tatsache,
dass Amina sich dazu entschieden hat, als letzte Geste der endgültigen
Rache, sich nicht vom Maler scheiden zu lassen und sich selbst um seine
weitere Pflege zu kümmern.
Doch auch in diesem Text schleichen sich bald Zweifel ein, sodass man
rasch irritiert ist, da eine Unterscheidung, wer denn nun Recht habe und
wer nicht, überhaupt nicht mehr möglich ist. Genau das ist es, was, nach
Meinung des Rezensenten, auch die Absicht des Autors gewesen sein muss.
Die literarische Demontage einer Ehe, in der weder die Frau noch der
Mann der Realität ins Auge sehen, eine detailgenaue Obduktion einer
toten sozialen Konventionen, die sich in den Augen des Autors
offensichtlich als Sammlung von Lügengespinsten,
Zurechtreimen von Wahrheiten und in Bedarf einer künstlichen Beatmung,
um überhaupt am Leben bleiben zu können, zeigt.
Ein hartes Buch ist es geworden, eine künstlerische Abrechnung mit der Ehe.
Wenngleich man auch hier kaum einen Punkt der Zustimmung finden wird,
sich wahrscheinlich noch weniger mit einem der beiden Protagonisten
identifizieren wird können (oder gerade doch?), ist "Eheglück" ein sehr
empfehlenswerter Roman geworden, als literarisches Werk, als Kunst per
se.
Absolute Empfehlung!
(Roland Freisitzer; 02/2014)
Tahar
Ben Jelloun: "Eheglück"
Aus dem Französischen von Christiane Kayser.
Berlin Verlag, 2014. 316 Seiten.
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