Andreas Heusler: "Lion Feuchtwanger"
Münchner - Emigrant - Weltbürger
Ein
sehr deutsches Lebensschicksal ist kein Widerspruch zum Judentum!
"Münchner - Emigrant - Weltbürger" der Untertitel
deutet geografische und ideelle Aufenthaltsorte an, das mittlere
Attribut suggeriert eine Opferrolle. Nur das Wissen um die
jüdische Herkunft und um die Lebensdaten des Autors Lion
Feuchtwanger (1884 in München - 1958 in Los Angeles ) lassen
vermuten, um welche Art von Emigration es sich handeln könnte.
Darin und im Gegensatz München - Weltbürgertum steckt
die Tragik eines Autors, dessen historische Romane bis in die
30er-Jahre des 20. Jahrhunderts Verkaufsschlager waren, die nach 1945
fast nur noch in der DDR gedruckt und von der heutigen
Neuerscheinungsflut in die Vergessenheit gedrängt werden.
Lion Feuchtwangers Biograf Andreas Heusler ist Historiker und arbeitet
zum Schwerpunkt jüdische Geschichte am Münchner
Stadtarchiv. So stellt er auch Leben und Werk des heute fast
vergessenen Schriftstellers insbesondere in einen geschichtlichen
Rahmen; die Hauptquellen der Biografie, die Tagebücher und
Lebenserinnerungen von Lion Feuchtwanger und seiner Ehefrau Marta,
dienen ihm vor allem als historische Überlieferung zum fast
vergessenen Judentum in München und zur Geschichte einer
komplizierten Emigration in die USA. Die Werke - zahlreiche nahezu
vergessene Bühnenstücke aus den Jahren 1905 bis 1923
und die vor allem die jüdische Geschichte behandelnden
historischen Romane, beginnend mit "Jud Süß"
(Entstehung ab 1921, Erstausgabe 1925) - erscheinen dadurch eher als
Konsequenzen und Resultate eines Lebens als "Münchner -
Emigrant - Weltbürger" und stehen so nicht im Zentrum der
Lebensbeschreibung: "Auch mit diesem historischen Roman [Die
hässliche Herzogin, 1923] zeigt sich der Autor [...] als
aufmerksamer Beobachter von aktuellen Diskursen" (Seite 164).
Nachdem Feuchtwanger in einer in Bayern bodenständigen
begüterten und orthodoxen Familie in München aufwuchs
- im Buch erfährt man, dass sich das jüdische Leben
Deutschlands seit dem Mittelalter vor allem im Süden
entwickelte! -, entfernte er sich als junger Mann und aufstrebender,
aber bis zum Ende des Ersten Weltkriegs nicht sonderlich erfolgreicher
Theaterautor und Theaterkritiker zunehmend von den jüdischen
Riten und Überlieferungen und dem kaufmännischen
Klassengeist. Er tendierte politisch zur Linken und gesellschaftlich
zur Bohème.
Und schließlich verlässt er
München,
wo er in der Erinnerung seines engen Freundes Bert Brecht im
Café "Hofgarten" um 1920 Hitler als Tischnachbarn hatte.
Lion Feuchtwanger nahm sogar beim selben Schauspieler Sprechunterricht
wie der spätere "Führer". München wird nach
der Niederschlagung der kommunistischen Räterepublik im April
1919 zum reaktionären Gegenpol der Reichshauptstadt Berlin. Zu
den Hintergründen gehören auch Spannungen kultureller
Art. Die bairische Hauptstadt stilisiert sich zum moralisch gefestigten
Kontrastmodell zur Verkommenheit der Moderne im "Sündenbabel"
Berlin.
Berlin ist der neue Lebensmittelpunkt von Lion und Marta Feuchtwanger.
In der Großstadt entstehen die ersten historischen Romane
über sein Lebensthema:
"die Position des Einzelnen zwischen unterschiedlichen, ja
gegensätzlichen Glaubens- und Wertesystemen und die Spannung,
die aus den Zwängen und Nöten entsteht, sich
für eine Richtung entscheiden zu müssen."
(Seite 197f.) Von Berlin aus unternimmt er 1932/33 eine Vortragsreise
durch die USA und findet bei seiner Rückkehr, nach der
nationalsozialistischen Machtübernahme, ein
geplündertes Haus, die Vernichtung von Manuskripten und
Büchern, die Aberkennung seines Doktorgrades und die
Beschlagnahmung seines Vermögens vor.
Im südfranzösischen Sanary-sur-Mer, einem Zentrum des
deutschsprachigen Exils, wo sich auch Thomas
Mann, Franz Werfel, Bruno Frank, Arnold Zweig und viele
Andere mehr aufhalten, deren Namen der Historiker und Archivar Andreas
Heusler penibel auflistet, ist Feuchtwangers produktivste Lebensphase.
In sieben Jahren schreibt er fünf Romane, darunter die
"Josephus"-Trilogie, und den umstrittenen und folgenreichen
Reisebericht "Moskau 1937".
Diese Reise in die Sowjetunion und die Begegnung mit dem Diktator
Josef
Stalin, vor allem aber der von politischer Naivität,
ja Blindheit geprägte Bericht, führen dazu, dass er
nach der Flucht in die USA (1940) von den us-amerikanischen
Behörden mit paranoider Pedanterie überwacht wird.
Bis zu seinem Lebensende wird ihm die US-Staatsbürgerschaft
wegen vermeintlicher politischer Unzuverlässigkeit verweigert.
Aus Angst, nicht mehr in seine Wahlheimat zurückkehren zu
können, wagt er es nach 1945 nicht, auszureisen und
Deutschland zu besuchen.
1958 stirbt er an Krebs an der amerikanischen Westküste; seine
Frau Marta, geborene Löffler, die wie er aus München
stammt, überlebt ihn um fast drei Jahrzehnte bis 1987. Durch
ihr idealisierendes, fast glorifizierendes Wirken prägt sie
die Rezeptionsgeschichte von Lion Feuchtwanger und seinen Werken bis
heute.
Doch der Autor der Biografie versteht es geschickt, aus Briefen und
Tagebüchern die unterschiedlichen Sichtweisen der miteinander
nicht immer glücklichen und treuen Eheleute auf ein und
dieselben Ereignisse herauszuarbeiten, auf Widersprüche
aufmerksam zu machen und so Lion Feuchtwanger aus der ehelichen
Verherrlichung zu führen.
Diese Fülle an Informationen und Details ist in einen dichten
Text gepackt; eine stärkere Struktur - mehr als die
zwölf chronologisch angeordneten Kapitel zu einzelnen
Lebensphasen, vor allem auch mehr Absätze - hätten
die Lektüre erleichtert. Die offenkundige Sympathie und das
langjährig gepflegte wissenschaftliche Interesse des Autors
für die jüdische Lebenswelt lassen kaum eine Frage
zum Leben von Lion Feuchtwanger offen.
(Wolfgang Moser; 10/2014)
Andreas
Heusler: "Lion Feuchtwanger. Münchner - Emigrant -
Weltbürger"
Residenz Verlag, 2014. 352 Seiten, illustriert.
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Weitere
Buchtipps:
Wilhelm von Sternburg: "Lion Feuchtwanger. Die Biografie"
Mit "Jüd Süß" und "Margarete Maultasch"
wurde Feuchtwanger weltberühmt. Die Nazis zwangen den
selbstbewussten Juden ins Exil, wo er den "Wartesaal-Zyklus" und die
"Josephus-Trilogie", eines seiner modernsten Werke, vollendete, die
Romane "Goya" und "Die Jüdin von Toledo" schrieb. Sein
demokratisches und sozialistisches Engagement, vor allem der Bericht
"Moskau 1937" haben den Streit um seine Person über seinen Tod
hinaus nicht verstummen lassen. Weil er sich nie öffentlich
von der Sowjetunion distanzierte, geriet der Autor auch im Kalten Krieg
zwischen die ideologischen Fronten. Wie jüngst erschlossene
Dokumente belegen, war er kein dem Kommunismus verfallener
Ästhet, sondern ein skeptischer Optimist, dessen Reflexionen
über Geist und Macht aktuell geblieben sind.
Feuchtwangers Weg vom Außenseiter im
großbürgerlichen jüdischen Elternhaus in
München zum Bohemien und streitbaren Theaterkritiker bis zum
Kosmopoliten und Weltautor im kalifornischen Exil spiegelt einen
wichtigen Teil der Zeit- und Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts
wider. Der Schriftsteller schrieb 17 Romane, die in 25 Sprachen
erschienen, Dramen, Kurzgeschichten und ein umfangreiches
publizistisches Werk. Sein Leben war geprägt von intensiver
schriftstellerischer Arbeit und erotischen Abenteuern. Er war ein
Aufklärer, fasziniert von der Idee, Geschichte mit
literarischen Mitteln auszudeuten. Das Judentum blieb ihm Heimat, als
er von den Nazis vertrieben und 1940 in Frankreich interniert wurde,
dann in die USA floh, wo man ihm die Einbürgerung verweigerte.
Feuchtwanger glaubte an die Vernunft. Er engagierte sich mit Bertolt
Brecht, Heinrich und Thomas Mann, Anna Seghers und Anderen im Kampf
gegen die Nazibarbarei. 1936 reiste er in die Sowjetunion. In seinem
Moskau-Buch verklärt er die Stalin-Diktatur, in seinen Romanen
erzählt er vom "argen Weg der Erkenntnis",
den wir zu gehen haben.
Wilhelm von Sternburg verknüpft die Darstellung von
Feuchtwangers Leben und Werk mit der Epochengeschichte. Seine Biografie
regt an, diesen Autor neu zu lesen. (Aufbau)
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Edgar
Feuchtwanger: "Als Hitler unser Nachbar war. Erinnerungen an meine
Kindheit im Nationalsozialismus"
Edgar Feuchtwanger, der Neffe Lion Feuchtwangers, ist fünf,
als seine Familie und er am Münchner Prinzregentenplatz einen
neuen Nachbarn bekommen: Adolf Hitler. Buchstäblich als
Augenzeuge erlebt Edgar von da an den Aufstieg Hitlers mit und
beobachtet, zunächst kindlich-naiv, dann mit zunehmender
Klarheit, wie die Nationalsozialisten Deutschland in eine brutale
Diktatur verwandeln.
Edgar Feuchtwanger wächst in behüteten,
bildungsbürgerlichen Verhältnissen auf. Sein Vater
ist Verleger des angesehenen Verlages Duncker & Humblot, seine
Mutter Pianistin. In seinem jüdischen Elternhaus geben sich
die Intellektuellen der Weimarer
Republik die Klinke in die Hand: Schriftsteller, Maler,
Musiker. Sein Onkel Lion, der berühmte Autor, geht ebenso ein
und aus wie Carl Schmitt und Thomas Mann. Doch mit dem Aufstieg Adolf
Hitlers, dem Nachbarn der Feuchtwangers, legt sich ein Schatten
über Edgars Kindheit, der zunehmend düsterer wird.
Mit immer neuen Schikanen werden die deutschen Juden
gedemütigt und ausgegrenzt, der Vater verliert seine Stelle
und wird verhaftet, als im November 1938 in ganz Deutschland die
Synagogen brennen.
Anrührend, eindrucksvoll, oft komisch und traurig zugleich
berichtet der renommierte Historiker Edgar Feuchtwanger in seinen
Erinnerungen vom Untergang der Weimarer Republik, vom Verlust der
Kindheit und von einer
großbürgerlich-jüdischen Welt, die es in
Deutschland heute so nicht mehr gibt. (Siedler)
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"Es muss einer den
Frieden beginnen. Jahrhundertautoren gegen den Krieg"
Momente berührender Menschlichkeit und höchster
Dramatik - große Autoren reagieren auf den ersten modernen
Krieg mit großer Literatur.
Texte von: Vicki Baum, Johannes R. Becher, Hans Fallada, Lion
Feuchtwanger, Leonhard Frank, Ernst Glaeser, Edlef Köppen,
Rosa Luxemburg, Erich
Maria Remarque, Anna
Seghers, Bertha von Suttner, Georg
Trakl, Kurt
Tucholsky, Friedrich Wolf, Stefan
Zweig. (Aufbau)
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