Louise Erdrich: "Das Haus des Windes"
Die im Jahr 1954 in Little
Falls, Minnesota, geborene Autorin des vorliegenden von der eigenen
Lebensgeschichte stark beeinflussten Romans, die in Minneapolis
lebende Schriftstellerin und Buchhändlerin Louise Erdrich, ist die
Tochter eines deutsch-us-amerikanischen Vaters und einer indianischen
Mutter. Wie schon in anderen Büchern zuvor, reflektiert sie in "Das
Haus des Windes" ihr Leben im Spannungsfeld eines europäischen,
us-amerikanischen und eines indianischen Erbes.
Die Geschichte wird, beginnend im Jahr 1988, von dem damals
dreizehnjährigen Joe erzählt. Er ist das spätgeborene Kind indianischer
Eltern und lebt in einem Reservat. Joes Vater übt das Amt eines
Stammesrichters aus. Seine Mutter Geraldine verwaltet die Akten des
Reservats und kümmert sich aufopfernd um Frauen, die von den Vätern
ihrer Kinder oft mit Gewalt bedroht werden, und sich dann an sie wenden.
Das bereitet ihr nicht nur Freunde.
Joes Kindheit ist schön. Er beschreibt sie so:
"Ich hatte Glück. Ich war ein Junge, den die Frauen gern
verhätschelten. Dafür konnte ich nichts und mein Vater machte sich
Sorgen deswegen. Er bemühte sich nach Kräften, weibische Zärteleien
durch echte Männerbeschäftigungen auszugleichen."
Ein fröhlicher und abenteuerlustiger Junge ist dieser sympathische Joe
bis zum dem Tag, als seine Mutter schwer verletzt nach Hause kommt. Sie
ist überfallen und vergewaltigt worden, und die Ärzte im Krankenhaus
können ihr Leben nur mit Mühe retten. Joes Vater redet irgendwann mit
ihm, nachdem die Mutter über eine lange Zeit nach ihrer Rückkehr in eine
tiefe Depression
versunken ist:
"'Sie weiß nicht, wer der Mann war, Joe.'
'Und werden wir ihn finden?' fragte ich genauso leise.
'Das werden wir', sagte mein Vater."
Irgendwo in seinen vielen schriftlichen Unterlagen vermutet der Vater,
der seit Jahren als Richter bemüht ist, sich auch in ganz konkreten
Fällen für die Rechte der Indianer einzusetzen, dabei aber immer wieder
an die Grenzen uralter Gesetze und Richtlinien stößt, die Lösung der
Frage nach dem Täter. Doch schon bald ist klar: Das, was seiner Frau
angetan wurde, kann er mit dieser Art des Vorgehens nicht aufklären und
erst recht nicht ahnden. Die geltenden Gesetze verhindern es.
Als Joe das begreift, macht er sich zusammen mit Freunden auf die Suche
nach dem Täter. Er, der, wie Louise Erdrich irgendwann einfließen lässt,
später selbst in die Fußstapfen seines Vaters tritt, fühlt sich an die
Grenzen, die sein Vater immer geachtet hat, auch wenn sie ungerecht
waren und nur den Weißen nutzten, nicht gebunden.
Während die Autorin Joe die spannende Suche nach dem Täter erzählen
lässt, baut sie immer wieder wichtige Daten und Ereignisse aus der
konfliktbeladenen Geschichte von Indianern und us-amerikanischer
Regierung ein. Ohne moralische Wertung lässt sie ihren Protagonisten die
Justiz selbst in die Hand nehmen und verbindet über das ganze Buch
indianische Denkweisen mit europäischen Vorstellungen von Recht
und Gerechtigkeit.
Zwischen alter Naturverbundenheit und ihrem seit Beginn der weißen
Landnahme ärgsten Feind, dem Alkohol
und der durch ihn bewirkten Verrohung ihrer Existenz, leben die Menschen
in den Reservaten.
Joes Eltern und später dann auch er selbst sind mit ihrem Leben und
ihrem Engagement leuchtende Beispiele dafür, dass es sich lohnt, sich
für den Erhalt indianischer
Kultur und Rechtsvorstellungen einzusetzen, wie das Louise Erdrich
höchstpersönlich schon lange tut.
Trotz des ernsten Themas spart Erdrich in ihrem bewegenden und
gleichwohl spannenden Buch nicht mit Humor. Und so ist es nicht nur gute
Unterhaltung, sondern auch Quelle vieler kulturgeschichtlicher
Kenntnisse über die Geschichte der us-amerikanischen Indianer und ihrer
gegenwärtigen Lebensbedingungen.
(Winfried Stanzick; 03/2014)
Louise Erdrich: "Das Haus des Windes"
(Originaltitel "The Round House")
Übersetzt von Gesine Schröder.
Aufbau, 2014. 368 Seiten.
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