Olaf Peters: "Otto Dix. Der unerschrockene Blick"
Eine Biografie
Ich muss es gleich verkünden,
nämlich dass Olaf Peters eine hervorragende, liebevolle und
sach(kunst)verständige Biografie über Otto Dix geschaffen hat. Zahlreiche Fotos
und Abbildungen seiner Gemälde schaffen ein hilfreiches visuelles Erlebnis,
welches zum ganzheitlichen Verständnis des Textes beiträgt. Denn eine Biografie
über einen Maler ohne Bebilderung zu schreiben, ist wie ein Symphonieorchester
ohne Streichinstrumente, es ist zwar möglich, aber es würde etwas immens
Wichtiges fehlen, dem Gericht wären sozusagen die Gewürze entzogen worden.
Otto Dix wurde 1891 in Unterhaus, (ist heute ein Stadtteil von Gera), geboren
und starb 1969 in Singen am Hohentwiel, somit ist er schon zeitgeschichtlich
betrachtet ein Repräsentant und Zeitzeuge einer Epoche von Umwälzungen,
radikalen Veränderungen und Extremen. Dix hat Monarchie, Faschismus und
Demokratie kennengelernt und erlebt, ebenso war auch sein Schaffen, sein Stil
etlichen Veränderungen ausgesetzt. Seine Hauptwerke werden der "Neuen
Sachlichkeit" zugeordnet. Dix gilt als exzellenter Zeichner und hinterließ mehr
als 6.000 Zeichnungen und Skizzen. Die umfangreichsten Werksammlungen befinden
sich im Kunstmuseum Stuttgart und im Museum Gunzenhauser in Chemnitz. Den
weltweit größten Bestand an Arbeiten auf Papier besitzt die Galerie Albstadt.
Das Frühwerk entsteht während der Studienzeit an der Kunstgewerbeschule Dresden
von September 1910 bis zur Militäreinberufung im August 1914. Der kraftvolle
Spätimpressionismus Geraer und Dresdener Landschaftsmotive wird 1912 abgelöst
durch eine stilpluralistische Phase. Vor allem Selbst- und Freundesporträts sind
bis 1915 Anlass zu Adaption und Transformation bildnerischer Erfahrungen, die
der Eidetiker in der Dresdner Galerie Alter Meister und in Avantgarde-Galerien
aufnimmt: von Dürer über Klinger und van Gogh bis zum Futurismus. Aus
Begeisterung für die Philosophie Friedrich Nietzsches entsteht im Frühjahr 1914
die einzige plastische Arbeit. Der vitalistische Gedanke vom ewigen Kreislauf
zwischen Geburt und Tod spiegelt sich 1913/14 vor allem in expressionistischen
Tuschzeichnungen mit erotischen, christlichen und mythischen Sujets. Das
Frühwerk zeigt erstmals den für Dix signifikanten Stilsynkretismus und das
Grundthema seines Lebenswerkes: die Dialektik von Eros und Tod.
Dix ist einer der wenigen deutschen Künstler, der den Ersten Weltkrieg von 1915
bis Dezember 1918 an vorderster Front als "Naturereignis" erlebt und
dabei sein Selbstverständnis ausformuliert: "Der Künstler: Einer, der den Mut
hat, Ja zu sagen." [Kriegstagebuch, 1915/16] Neben knapp 500 Zeichnungen
verzeichnen die Werkverzeichnisse von Löffler und Pfäffle lediglich fünf Gemälde
bzw. 86 Gouachen. Dix probt auf tornistergroßen Packpapierblättern in Bleistift,
schwarzer Kreide und Tusche sukzessive alle Gestaltungsmöglichkeiten der Moderne
durch: von realistischer Gegenstandserkundung über expressionistische
Formverzerrung und kubofuturistische Dingzerlegung bis zur abstrakten
Endzeitvision. Schwerpunkt des Motivspektrums ist weniger der Soldatenalltag,
vielmehr die bizarre Kriegsästhetik der Trümmer-, Trichter- und
Grabenlandschaft. Im Vergleich zur veristischen Polemik der späteren
Kriegskompositionen sucht der MG-Schütze das Grauen durch Stil zu "bannen".
Nach dem Ersten Weltkrieg rückt Dix in Dresden, ab 1922 in Düsseldorf zum enfant
terrible der deutschen Kunstszene auf. Der Maler arbeitet mit
expressionistischen Pathosformeln zunächst noch Themen der Vorkriegszeit auf,
mit dadaistischen Kriegskrüppel- und Bordellszenarien kurz darauf seine
Nachkriegserkenntnisse ab. Der Zeichner hingegen übt sich im lapidaren Erfassen
der Realität. Auf diese Weise findet er zu "seinem" Stil. "Kunst machten die
Expressionisten genug. Wir wollten die Wirklichkeit ganz nackt, klar sehen,
beinahe ohne Kunst." (1965) Dix avanciert 1920/21 zum Protagonisten eines
neuartigen Brutalrealismus mit sozialkritischer Potenz und politischer Brisanz.
Aus antibürgerlichen Stilattitüden kristallisieren sich wirklichkeitsnahe
Bildformeln von aggressiver Schärfe heraus, die von der zeitgenössischen Kritik
als "Verismus" bezeichnet (P. Westheim) und am "linken Flügel" der
Neuen Sachlichkeit verortet (G. F. Hartlaub) werden. Mit dem Radierzyklus "Der
Krieg" erreicht Dix 1924 den Höhepunkt seines frühen grafischen Œuvres.
Im Jahre 1924 zeigt sich ein Paradigmenwechsel. Der expressive Verismus nimmt in
der Hinwendung zu altmeisterlicher Lasurtechnik und neutraler Linienprägnanz
kühl konstatierende Züge und eine affirmative Tendenz an. Dix wird zum Meister
der Neuen Sachlichkeit, des Stils der stabilisierten Weimarer Republik. Doch
sein distanziertes Ja zur Gesellschaft trägt er nie ohne Sinn fürs Groteske vor.
Seit Herbst 1925 in Berlin, ab 1927 als Professor der Kunstakademie wieder in
Dresden, gelingt ihm der Durchbruch zu einer herausragenden Figur der
Gegenwartskunst. Hauptwerke werden nun ausschließlich in der Malerei gestaltet.
Dix profiliert sich vor allem als Porträtist der Weimarer Boheme und
Intellektuellenszene. Den zentralen Motivwelten Krieg und Großstadt widmet er
zwischen 1927 und 1932 zwei Triptychen mit komplexen ikonografischen Programmen.
Die Zeichnung bleibt hingegen den Einzelphänomenen der Wirklichkeit
verpflichtet. Gegen Ende der 1920er-Jahre rezipiert Dix auf der Suche nach einer
genuin deutschen Kunst verstärkt Renaissance und frühes 19. Jahrhundert. Das
"Neue in der Malerei" ist ihm "Steigerung der eben bei den alten Meistern
bereits im Kern vorhandenen Ausdrucksformen. Für mich bleibt jedenfalls das
Objekt das Primäre, und die Form wird erst durch das Objekt gestaltet."
(1927)
Während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland wird Dix - bereits im
Frühjahr 1933 aus der Dresdner Kunstakademie entlassen - als "entarteter"
Künstler diffamiert. Er emigriert nicht ins Ausland, sondern tritt den Rückzug
in eine "Innere Emigration" an: an den Bodensee (Hemmenhofen) und in die
Kunstgeschichte. Die biografischen Katastrophen sind Anlass für große Sinn- und
Zeitbilder in Öl. 1933 zeigt sich dabei die Neigung zum Historismus mit
naturalistischen und eklektizistischen Akzenten, vier Jahre später eine
ikonografische Wende zur christlichen Thematik. Seit 1934 erobert sich Dix, der
die Großstadt als Arbeitsstimulans und Bildsujet vermisst, die Landschaft als
künstlerisches Thema. Er macht sie in der Tradition der Romantik zum Schauplatz
inneren Erlebens. Seit 1937 beansprucht die christlich-altmeisterliche Allegorie
mit mehr oder weniger deutlichem Zeit- und Selbstbezug immer größeren Raum. In
der jahrelangen Arbeit an Bildzyklen zu Archetypen wie den Heiligen
Christophorus und Antonius und schließlich mit einem Christus-Zyklus versucht
der Menschenbildner einer Ausdünnung seines Ideenfundus vorzubeugen.
Das Spätwerk gründet sich auf die
Selbstbefreiung vom kunsthistorischen Eklektizismus. Dix wirft 1944/45 den
"Renaissancekram über Bord" und wendet sich wieder der Primamalerei und
expressiver Ausdruckssteigerung zu. Diese "neue Art von Sehen" entlädt
sich nach der Kriegsgefangenschaft in explosiver Produktivität (bis 1949: 150
Gemälde und über 200 Pastelle). Dix entwickelt einen neoexpressionistischen
Verismus von expliziter Aussage- und Stilschärfe. In der Vergegenwärtigung
christlicher Ikonografie findet er zu aktuellen Sinnbildern von Schuld und
Sühne. Das zentrale Interesse der letzten zwei Lebensjahrzehnte gilt weiterhin
dem (Selbst-)Porträt, daneben: religiöses Sujet und bäuerliches Genre, Kinder
und Tiere, Stilleben und Landschaft. Nach 1948 wird die Druckgrafik zum sicheren
Ausdrucksmittel. Das umfangreiche lithografische Spätwerk entsteht vor allem in
Dresden (ehemalige DDR). Im ausdauernden Pendeln über eine Staatsgrenze und zwei
Staatskünste hinweg - "Ich mal' weder für die noch für die. Tut mir leid."
(1963) - avanciert Dix zum exemplarischen deutsch-deutschen Künstler.
Dieses Buch ist auf vielen Ebenen
faszinierend, historische Fakten und Hintergründe werden akribisch beleuchtet,
und auf diesem Weg wird auch die Psyche und die Person Dix fassbar gemacht,
Peters schafft es, uns einen Genius wie Dix näherzubringen, aber nicht nur das;
er erklärt uns die ewigen Mechanismen der Menschheit, mit all ihrer Schönheit
und Hässlichkeit.
Fazit:
Das ist ein Buch, so unvergänglich, wahr und poetisch wie ein Bild von Otto
Dix ...
(Josef Huber; 02/2014)
Olaf Peters: "Otto Dix. Der unerschrockene
Blick. Eine Biografie"
Reclam, 2013. 280 Seiten.
Buch bei thalia.at bestellen
Buch
bei amazon.de bestellen