Hans Croiset: "Maskenball Unter den Linden"
Hans Croiset, Jahrgang
1935, ist ein in den Niederlanden aufgrund vieler Filme und
Theaterstücke sehr bekannter Regisseur und Schauspieler.
Das Milieu des Theaters und seiner Schauspieler, in das er seine Leser
in "Maskenball Unter den Linden" entführt, kennt er seit Jahrzehnten
ganz genau. Und er ist fasziniert vom bedeutendsten Dichter des
Goldenen Zeitalters der Niederlande, Joost van den Vondel, und von
seinem Stück "Lucifer".
Sein Verständnis dieses alten Stückes und seine Aktualität bilden einen
wesentlichen Schwerpunkt des im Theatermilieu spielenden Romans. Es ist
aber auch ein zeitgeschichtliches Buch, spielt es doch im Jahr
1935. Die Hauptfigur ist der vierundzwanzigjährige jüdische
Schauspieler Moritz Akkerman aus Amsterdam. (Der Rezensent vermutet,
dass sich hinter dieser Figur der Vater Hans Croisets verbirgt, ist sich
aber nicht sicher). Er hat in einem holländischen Film erfolgreich eine
größere Rolle gespielt. Nun soll der Film auch im
nationalsozialistischen Deutschland gezeigt werden, und Moritz Akkerman
soll für einige Tage nach Berlin reisen, um dort im berühmten
"UFA"-Filmstudio seine eigene Rolle zu synchronisieren.
Erst vor Kurzem hat Moritz geheiratet, und er ist sehr glücklich über
seinen kleinen Sohn, der erst kurz vor seiner Abreise nach Deutschland
auf die Welt gekommen ist. Deshalb zögert er auch zunächst, den Auftrag
anzunehmen. Natürlich spielt ebenfalls eine Rolle, dass die Nachrichten
über die Behandlung der Juden in Deutschland, die man in den
Niederlanden sehr genau wahrnimmt, nichts Gutes verheißen. Doch der
Auftrag wird außerordentlich gut bezahlt, und Moritz träumt davon, einen
soliden deutschen Kinderwagen mit nach Hause zu bringen.
Hans Croiset schildert, von Mirjam Pressler wie gewohnt souverän
übersetzt, eindrücklich, wie Moritz die
nationalsozialistische Welt erlebt, die ihm nach seiner Ankunft in
Berlin von überall her entgegenkommt.
Es kommt alles anders, als er sich seinen Aufenthalt vorgestellt hat. Er
begegnet nicht nur einer berühmten Schauspielerin, die Beziehungen bis
in die höchsten Kreise der NS-Elite hat, sondern auch deren Freund Gust,
einem bekannten Regisseur, der gerade eine Fassung von van den Vondels
"Lucifer" für die Bühne eines großen Berliner Theaters vorbereitet. Als
dessen Arbeit ins Stocken gerät, überredet er Moritz, noch länger in
Berlin zu bleiben und ihn mit seinen Ideen und Inspirationen bei der
Regiearbeit zu unterstützen. Dabei verfolgt er durchaus einen kritischen
Ansatz, der Moritz sehr gefährlich werden könnte, würde seine jüdische
Identität bemerkt:
"Pass auf“, sagt er an einer Stelle zu Moritz, "das deutsche Theater
steht im Rampenlicht, die ganze internationale Presse versucht,
Signale einer Opposition darin zu entdecken, das kleinste Anzeichen
verbreitet sich in der ganzen Welt und wird ausführlich
besprochen, ist dir das klar? Kokoschka können sie entartet nennen,
Musik, die ihnen nicht gefällt, verbieten, Filmskripte manipulieren,
aber Theatertexte von Goethe
und Schiller
werden sie nicht einfach zensieren. Und Vondel kennen sie nicht, den
lassen sie in Ruhe. Obwohl sie sich damit, ohne es zu wissen,
Sprengstoff ins Haus geholt haben. Theater hat dort auf subversive
Weise seine alte Funktion zurückbekommen. Vondel kommt selbst aus der
Zeit der freien Predigten vor den verfolgten Anhängern der
reformierten Kirche, das brauche ich dir nicht zu erzählen. Ungehorsam
ist ihm in die Seele gebrannt, und du musst sie hervorholen, das ist
deine Pflicht, Mann. Als Bürger der heutigen Zeit."
Auch weil er sich von Ilyane nicht lösen kann, lässt sich Moritz auf
Gusts Bitte ein und gibt der ziemlich resignierten Gruppe von
Schauspielern, zu der auch viele Juden gehören, neuen Mut. Doch als das
Stück bei einer Generalprobe den Zorn der nationalsozialistischen
Zensoren erregt, befindet sich Moritz plötzlich in großer Gefahr, zumal
seine Freunde selbst um ihr Leben bangen müssen ...
"Maskenball Unter den Linden" ist ein Roman mit viel Leidenschaft für
das Theater und beschreibt eindrücklich die Stimmung im
nationalsozialistischen Berlin kurz vor Beginn der Olympischen Spiele
1936.
(Winfried Stanzick; 03/2014)
Hans Croiset: "Maskenball Unter den
Linden"
Aus dem Niederländischen von Mirjam Pressler.
Schöffling & Co., 2014. 360 Seiten.
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Samuel Joseph Agnon: "In der Mitte ihres Lebens"
Mit einem Nachwort versehen und herausgegeben von Gerold Necker.
Samuel Joseph Agnon, der von 1912 bis 1924 in Deutschland lebte, ist der
Klassiker der modernen hebräischen Literatur, ein Autor von weltweiter
Geltung und Wirkung, der 1966, zusammen mit Nelly Sachs, mit dem
Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde. Sein Werk beschreibt die
Hoffnungen und das Scheitern an der Grenze zwischen jüdischer Tradition
und säkularer Moderne.
Die Erzählung "In der Mitte ihres Lebens" schildert aus der Perspektive
des Mädchens Tirza, das früh seine Mutter verlor, die gesellschaftlichen
Zwänge und die Sehnsucht nach geglückter Liebe. In einer bürgerlichen
Welt, in der Bildung erwünscht, religiöse Tradition aufgegeben oder am
Verblassen ist, wird der heranwachsenden jungen Frau zunehmend bewusst,
dass sie sich trotz ihrer eigenen freien Lebensentscheidungen der ihr
zugedachten Rolle nicht entziehen kann. Agnons Erzählung "In der Mitte
ihres Lebens" ist unvermutet modern. Sie wurde vor einigen Jahren unter
dem gleichen Titel verfilmt. "In der Mitte ihres Lebens" erscheint hier
erstmals in deutscher Übersetzung und mit einem ausführlichen Kommentar
zu Agnons assoziativer Sprache, die sich auf die gesamte jüdische
Traditionsliteratur bezieht. Das Nachwort des Übersetzers Gerold Necker
hellt diesen Zusammenhang auf.
Samuel Joseph Agnon, geboren 1888 in Galizien,
gehört zu den wichtigsten hebräischen Prosaschriftstellern des 20.
Jahrhunderts. Seine besondere Erzähltechnik und seine eigentümliche
Sprache wurden oft mit Thomas Mann und Franz Kafka verglichen. Samuel J.
Agnon starb 1970 in Jerusalem. (Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag)
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Rüdiger Schaper:
"Spektakel. Eine Geschichte des Theaters von Schlingensief bis
Aischylos"
Seit über 2500 Jahren entpuppen und verpuppen sich Mythen im Theater
stets aufs Neue. Und doch ist das Theater blutjung. Rüdiger Schaper
erzählt in "Spektakel" die Geschichte dieses Theaters, des Welttheaters.
Einmal spektakulär, dann wieder still, immer sachkundig und emotional.
Die Zeit läuft dabei rückwärts: von Christoph
Schlingensiefs Multimedia-Kreationen zu den antiken Dramen des
Atheners Aischylos.
Das Theater unterscheidet sich von den anderen Künsten dadurch, dass es
allein im Moment lebt - und in der Erinnerung des Publikums. Es stirbt
Abend für Abend aufs Neue - und lebt. Das Theater entsteht im Spiel,
immer im Hier und Jetzt. Diese Dynamik versteht der Theaterkenner und
Theaterliebhaber Rüdiger Schaper einzufangen wie kaum ein Zweiter.
Wer "Spektakel" liest, streift Orte und Begegnungen: der reist von
Burkina Faso über Oberammergau, Kabul und Bagdad nach Las Vegas und
Epidauros, der sieht den alten Kazuo Ohno über den Dächern Tokios
tanzen, trifft Heiner Müller,
Tschechow
und Strindberg und erfährt, was die französische Schauspieldiva Sarah
Bernhardt und der us-amerikanische Erfinder Thomas Edison miteinander
tuschelten. Diese Geschichte ist subjektiv, überraschend und niemals
vollständig. Der Leser wird auf Fährten gesetzt und neugierig gemacht,
das Theater als das zu betrachten, was es seit 2500 Jahren ist:
Spektakel. (Siedler)
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