Lukas Maria Weber: "China verrückt ... und schonungslos ehrlich"
Politiker,
Wirtschafter, Mediziner, Bildungsexperten - alle reden von China. China
ist entweder die Rettung der Zukunft, der Zerstörer der
Umwelt, der Feind auf den Märkten oder der zukünftige
Hilfsbedürftige auf globaler Ebene..
China ist riesengroß und beheimatet unglaublich viele
Menschen. Unter diese Menschen hat sich Lukas Maria Weber anno
2007/2008 begeben, um an der Universität Beijing zu studieren.
Seitdem ist er immer wieder dahin zurückgekehrt.
Vor Kurzem tat er dies in journalistischer Absicht. Er wollte mit
kleinem Budget durch das Reich der Mitte reisen, so nah am Puls des
Volks wie möglich, und er wollte darüber in
Magazinartikeln, aber auch - etwas persönlicher formuliert -
in elektronischen Tagebucheinträgen. Das vorliegende Buch ist
eine Darstellung dieser halbjährigen Reise aus beiden
erzählerischen Haltungen.
In Henan, der Shaolin-Provinz, wenn man so möchte, beginnt
seine Reise, die ihn durch Shaanxi, Hubei, Chongqing und Sichuan
führen soll, um sich dann in mehr tibetisch beeinflusste
Gegenden zu begeben, bevor es ins muslimisch geprägte Xinjiang
geht und damit zu Teilen der Seidenstraße. Dabei
möchte Lukas Maria Weber versuchen, das wirkliche, das
klassische China zu finden.
Die Lebens- und Reiseumstände in China sind für den
reisenden Europäer - besonders für den
Nordeuropäer - ziemlich gewöhnungsbedürftig,
und dem Autor sind sie deswegen immer wieder ausgiebige Beschreibungen
von Härten und Unannehmlichkeiten wert, die zum Beispiel auch
wiederholt den chinesischen Geschäftssinn ins Visier nehmen.
Einen Geschäftssinn, den er als mehr oder minder neu zu sehen
scheint, auch wenn die klassische chinesische Literatur da anderer
Meinung ist.
Die Beschreibungen der verschiedenen Reiseziele - und es sind wirklich
sehr viele Orte, die Weber besucht - sind amüsant und gerade
in den elektronischen Tagebucheinträgen betont subjektiv.
Dabei spielen natürlich auch immer seine persönlichen
Befindlichkeiten eine große Rolle. Wenn man nach etlichen
Tagen des Reisens in eine tibetisch-buddhistische
Mönchsenklave kommt und an einem Ort, wo man Ruhe,
Naturverbundenheit und meditative Versenkung erwartet hat, Berge von
Müll und ausgeprägten Geschäftssinn
vorfindet, kann man schon einmal sehr unleidlich reagieren - bis einen
drei nette junge Mönche zum Essen und Trinken einladen.
Eigentlich hat der Autor auf seinen Reisen sehr viele, sehr
hilfsbereite Chinesen getroffen, die in der Regel klassischen
Vorurteilen weniger entsprochen haben, als denen, die Chinareisende
immer wieder gerne mitbringen - und die sie bisweilen nach
China
zurücklocken.
Man muss Webers Interpretationen des Gesehenen nicht in allem
zustimmen, aber allein die etwas ungewohnte Perspektiven auf die
tibetische Religionspraxis sowie die Panda-Schutzprogramme sind auch
für etwas Chinaerfahrenere ein guter Grund, einmal in dieses
Büchlein hineinzuschauen. Ebenfalls interessant sich die Fotos.
Am Ende des Buches gibt es eine sehr kurze Einführung in das
Chinesische, wobei diese aufgrund ihres Aufbaus zumindest bei
den Restauranttexten eher nicht hilfreich ist; es fehlen zum Teil die
Pinjin-Umschriften, d.h. es gibt die Schriftzeichen und die
deutschsprachige Bedeutung, aber nicht die chinesische Lautung in
lateinischer Schrift. Da sollte man vielleicht noch ein wenig
nachbessern.
Wie viele solcher Reiseberichte, ist auch "China verrückt ...
und schonungslos ehrlich" in erster Linie ein Buch über
denjenigen, der es geschrieben hat, und damit weniger ein
Reiseführer, als eine Einführung in eine ganz
persönliche Reiseerfahrung.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 10/2014)
Lukas
Maria Weber: "China verrückt ... und schonungslos ehrlich"
traveldiary, 2014. 214 Seiten.
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