Martin Walser: "Die Inszenierung"


Der Roman als Theater?

Nachdem sich Martin Walser in seinem vorigen Roman ("Das dreizehnte Kapitel") der Form des Briefromans gewidmet hat, geht er in seinem neuesten und relativ kurzen Roman "Die Inszenierung" wieder einen anderen Weg. Hauptsächlich von Dialog getrieben, bis auf wenige, allerdings strategisch perfekt platzierte, Momente (u.A. eine Reminiszenz an den Briefroman), entpuppt sich dieser recht freche und etwas provokative Text als einer Art Stück im Stück, oder besser, Stück im Roman.

Augustus Baum, in Deutschland bekannter Regisseur, liegt im Krankenhaus, während seine Assistentin und ehemalige Geliebte die von ihm begonnene Inszenierung von Tschechows "Möwe" weiter leitet. Sein Krankenzimmer ist auch gleichzeitig die Schaltzentrale dieses Romans, die quasi das Egozentrum des egozentrischen Regisseurs darstellt, der in Martin Walsers Text eine fast satirisch klischeehafte Variante des "Künstlers" ist, wie es ihn eigentlich gar nicht mehr gibt. Doch egal, die Literatur ist nicht verpflichtet, sich der Realität zu beugen, und das ist auch gut so.

Eine ganze Kompanie von Menschen besucht den großen Meister in seinem Refugium, das der mittlerweile Genesene nur mehr durch Vortäuschung beibehalten kann. Die Ehefrau, Dr. Gerda, von Beruf Ärztin und passenderweise frischgebackene Autorin des Buches "Abhängigkeit, Wahn und Wirklichkeit", bringt ihm das Frühstück, (das Spitalsessen ist dem großen Künstler nicht zumutbar), und spricht gleichzeitig mit ihrem Gatten über seine vorherigen Affären und die jetzige mit der Nachtschwester.
"Wenigstens diese drei letzten Affären muss ich dir ins Gedächtnis rufen, weil allein dadurch eine Art Hoffnung erscheinen kann, die jetzige Affäre als etwas zu erleben, was, wie alles Vorangehende, seine Zeit haben wird, und dann hat es sich gehabt."

Ute-Marie, die Nachtschwester, 29 Jahre jung, ironischerweise genau die Anzahl der Jahre, die der Regisseur mit seine Frau Dr. Gerda verheiratet ist, ist die andere Dialog- und Liebespartnerin des alternden Casanovas. Die junge Schwester will vermeintlich aus dem Schwesterndasein heraus, das Anhimmeln des Theatermanns bringt ihn auf die Idee, ein neues Talent vor sich zu haben. Sogar seine Hauptdarstellerin will er durch sie ersetzen.

Auch seine Assistentin und ehemalige Geliebte hat ihre Auftritte; berichterstattend und hilfesuchend auch sie.

Eng mit dem Stück "Die Möwe" verbunden, wird das Krankenzimmer so zur Bühne, der Roman zu einem frivolen Kammerstück im Lichtstrahl von Fremdgehen, Abhängigkeit, schamlosen chauvinistischen Tendenzen, Geständnissen und Heimlichkeiten, die am Ende zur Erkenntnis führen, dass die Kluft zwischen Frauen und Männern unüberwindbar groß sei, ein aneinander Vorbeileben als roter Faden in diesem Kammerspiel.

"Kein Mensch ist ein Regisseur! Regisseur muss man spielen. Wie eine andere Rolle auch."

Vielleicht könnte dieser theatralisch geladene Prosatext substanzvoller sein, denkt man von Zeit zu Zeit. Die hin- und hergeworfenen Dialogfetzen suhlen sich im zwischenmenschlichen, intimen Bereich der Beziehungsmaschinerie - ehrlich, wo kann der Autor hier, in diesem Kontext, mit Tiefe ansetzen?

Wer jetzt meint, der Rezensent sei negativ gestimmt, der irrt gewaltig. Martin Walser zelebriert seinen offensiv grotesk egozentrischen Casanova so virtuos, dass es, auch wenn einem die eine oder andere, oder gar mehrere Wendungen richtig gegen den Strich gehen, eine Freude ist, hier weiter in diesen ironisch schmutzigen Strudel des liebestollen Regisseurs einzutauchen.

Den Moment der Rechtfertigung holt Walser gekonnt durch einen Briefwechsel mit einem verschollenen Freund ins Boot, sodass am Ende die ganze Chose kippt und die soeben erst gewonnene Muse verschwindet, sich sozusagen in Luft auflöst, was den alten Lüstling zu sehnsüchtigen Tiraden inspiriert.

Ernst nehmen darf man das alles nicht. Selten hat Walser so ironisch geschrieben, flockig locker, bewusst übertrieben theatralisch liest sich der Text, der, einziges Manko, vielleicht kürzer als gewünscht ist.

"All the world's a stage."
Lange, bevor das Shakespeare-Zitat im vorletzten Satz alles klar stellt, weiß man,  dass man soeben einen virtuosen Theaterroman gelesen hat, eine romanhafte Theaterszene, Regieanweisungen inklusive, den Beweis für die Tatsache, dass, zumindest hier im Roman, die ganze Welt Theater sei. Und das macht eindeutig Spaß ...

Absolute Empfehlung.

(Roland Freisitzer; 09/2013)


Martin Walser: "Die Inszenierung"
Rowohlt, 2013. 174 Seiten.
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