Jacques Strauss: "Das Jahr meiner zweifelhaften Erlösung"


Beeindruckendes Debüt

"An den heißen Nachmittagen saßen Hausmädchen und Gärtner unter den Bäumen und plauderten in ihrer jeweiligen Muttersprache. Manche hatten Babys mit decken auf den Rücken gebunden ... Fast alle Familien in Linden hatten Dienstmädchen, und die meisten von ihnen wohnten in kleinen Zimmern oder Hütten im Hinterhof. 'Einen Geschirrspüler?,' fragten die Hausfrauen, 'wozu denn das? Ein bisschen schwarze Magie tut es doch auch.'" (Aus dem Roman)

1989, Südafrika. Johannesburg. Der Bezirk Linden, am nördlichen Stadtrand der Metropole. Das Ende der Apartheid, die übrigens von Jacques Strauss im ganzen Buch kein einziges Mal beim Namen genannt wird, naht in großen Schritten. Nelson Mandela wird in Kürze aus der Haft entlassen werden. Apartheid prägt das Denken der meisten Menschen, sowie ihre Taten, auch wenn die Grenzen zwischen Schwarz und Weiß bereits nicht mehr so rigide und genau beachtet werden, wie zum Beispiel noch fünf oder sechs Jahre davor, als auch der Rezensent seine frühen Jugendjahre in Südafrika verbrachte.

Klugerweise verzichtet Jacques Strauss auf die Erzählperspektive des elfjährigen Jungen und wählt den bereits erwachsenen Jack V. als Erzähler, der sich an die mit elf begangene Schuld erinnert. Das erlaubt dem Autor, seine Erzählung ohne diverse Hindernisse, die mit einer pubertierenden Erzählstimme Hand in Hand gehen, voranzutreiben. Es ist ein Verrat, um den es hier geht. Ein Verrat an Susie, der Maid, oder Hausangestellten, die dem Jungen wie eine zweite Mutter ist.

Natürlich erinnert sich der Erzähler auch an diverse andere Begebenheiten seiner Jugend, wodurch ein lebendiges, korrektes, witziges, ironisches - aber auch sehr politisches - Bild eines Landes entsteht, das sich bereits in den letzten Atemzügen einer durch die Fesseln einer indiskutablen, menschenverachtenden Gesellschaftspolitik bestimmten Situation befindet. Eine Politik, die nicht nur die ganze Geschichte des Landes bestimmt, sondern auch, wie man nun rückblickend sagen kann, die nahe Zukunft des Landes im Umbruch bestimmen wird. Obschon die Apartheid längst abgeschafft wurde, sind die Spätfolgen dieser so unglaublichen Politik noch immer zu spüren.

Jack leidet darunter, halb Afrikaaner (oder auch Bure) und halb Engländer zu sein. So gehört er weder zur einen, noch zur anderen Fraktion in der Schule. Für den Leser allerdings ein angenehmer Zufall, da er dergestalt zu einer umfangreichen und vor allem immer wieder auch sehr witzigen Lehrstunde über die Unterschiede der beiden in Südafrika größten weißen Bevölkerungsgruppen gelangt.

Während Jack seine Geschichte erzählt, entpuppt sich sein Narrativ als durchaus bewusstes Charakterporträt; eine Tatsache, die es dem Erzähler allerdings immer wieder recht schwierig macht, mit seinen Erkenntnissen umzugehen. Ausgehend vom sexuellen Erwachen des jungen Jack, inklusive aller damit verbundenen Konfusionen, bis hin zum Verstehen über die Auswirkungen der Sanktionen (ökonomischer Natur) gegen Südafrika, die sich u.A. auf den Preis der "He-Man"-Spielzeuge auswirken, für die der junge Jack sein Taschengeld spart, erlaubt dieser Text eine ehrliche und erfrischende kindliche Perspektive. Jack erkennt, dass immer, wenn der Präsident etwas sagen würde, was den Leuten in den Vereinigten Staaten von Amerika nicht passt, der Preis noch weiter steigen würde. Spätestens hier versteht man die Wahl des retrospektiven Erzählens als pure Notwendigkeit und gelungene Lösung.

"Als Petrus fragte, warum Susie weg sei, konnte ich es ihm nicht erzählen. Er hätte irgendetwas Geschmackloses gesagt. Er hätte das tragische Ereignis in irgendeiner Formulierung, die er bei seinen Eltern aufgeschnappt hatte, auf die unverbesserliche Natur der Eingeborenen zurückgeführt. Und vielleicht hätte er noch gesagt, dass Mörder gehängt werden und dass das gut so ist, weil in der Bibel steht, Auge um Auge."

Jack hasst es, daran erinnert zu werden, dass Susie nicht bei seiner Familie war, weil sie ihn über alles liebte, sondern weil es ihre Arbeit war. Ironischerweise schafft er es, ihr die Freiheit zu geben, indem er an ihr und ihrem Sohn Verrat ausübt. Aus diesem Fächer der kulturellen Eigenschaften des späten Apartheit-Südafrikas schafft dieser Debütroman den Spagat zwischen aufklärerischem Schreiben und einer mitreißenden, geistreichen, ironischen und witzigen Geschichte, die immer wieder überrascht.

Jacks nicht immer ehrenhaftes Verhalten verunsichert den Leser allerdings nie, sondern erinnert im Gegenteil daran, dass Menschen, aus ihrer Natur heraus, nicht besonders mutig sind und dass Mut oder Zivilcourage nur durch bewusstes Wollen erreicht werden können.

"Das Jahr meiner zweifelhaften Erlösung" ist ein durchaus gelungener, blendend übersetzter Debütroman, der auf den nächsten Roman dieses jungen Autors hoffen lässt.

Empfehlung.

(Roland Freisitzer; 06/2013)


Jacques Strauss: "Das Jahr meiner zweifelhaften Erlösung"
(Originaltitel "The Dubious Salvation of Jack V.")
Übersetzt von Stefanie Jacobs.
Berlin Verlag, 2013. 266 Seiten.
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Jacques Strauss, geboren und aufgewachsen in Johannesburg, lebt in London. Er studierte Philosophie, besonders seinen Namensvetter Jacques Derrida, und ist mittlerweile Texter für eine Agentur.