Andrea Maria Schenkel: "Täuscher"


Dies ist das vierte Buch von Andrea Maria Schenkel, die drei Vorgänger habe ich auch gelesen, wobei die zwei ersten für mich die besten waren. Das dritte Buch war bemüht experimentell gehalten und eindeutig von Geschehnissen rund um Priklopil und Fritzl inspiriert, eine subjektive Dringlichkeit der Autorin war zu spüren, aber erst die Distanz zum Stoff, die Möglichkeit wissenschaftlich zu sezieren, kann aus einem Roman einen hochwertigen machen.

Vorwürfe des Journalisten Peter Leuschner, ihr Roman "Tannöd" sei ein Plagiat seiner Bücher "Hinterkaifeck. Deutschlands geheimnisvollster Mordfall" (1978) und "Der Mordfall Hinterkaifeck" (1997), wurden 2009 in letzter Instanz durch das Oberlandesgericht München zurückgewiesen. Der Streit drehte sich um die Rechte eines Sachbuchautors an einem realen Stoff, der aus einer Vielzahl von Quellen belegt ist. Den Schwerpunkt bildete die Frage, ob die Dramatisierung des Stoffs und die Ergänzung mit fiktiven Passagen ein selbstständiges literarisches Werk erschafft, auch wenn Passagen aus der Darstellung im Sachbuch annähernd wortgleich übernommen wurden. Ich persönlich fand diese Vorwürfe lächerlich, das wäre etwa so, als hätte jemand das alleinige Recht, über das Sterben etwa von Nietzsche zu schreiben...

Ihr viertes Buch machte mich am Anfang etwas stutzig, ich vermisste ihre Wortgewalt, aber auch ihre dezente, poetische Sprache, aber kaum hatte ich Zweifel, ob sie es noch könne, nämlich auf hohem Niveau schreiben, hatte sie mich schon wieder eingefangen, war ich schon wieder verzaubert und fasziniert, wie raffiniert und kunstvoll sie dem Leser spannende Literatur bietet. Ja, ihr viertes Werk war wieder sehr gelungen, meisterhaft verstand sie es abermals, vergangene Zeiten so zu schildern, dass wir meinen, diese Zeit selbst erlebt zu haben. Diesmal befinden wir uns in der Weimarer Republik, der Erste Weltkrieg ist noch in den Köpfen der Menschen, doch gesprochen wird darüber nicht, "Verlierer" schweigen lieber, Verdrängung war schon immer eine der wichtigsten Überlebensstrategien des Menschen. Armut, Zukunftsängste, Resignation, Boshaftigkeit, Schaulust - der einfache Mann, die einfache Frau leidet nicht heroisch und selbstlos, sie lieben das Leid und die Fehlbarkeit der Anderen, damit ihr Leiden, ihre Schwächen erträglich werden.

Schenkel versteht es gekonnt, dem Schwarzweißmuster trivialer Krimis zu entfliehen, Gut und Böse verschwimmen, Gerechtigkeit ist ein von Menschenhand geschaffenes Konstrukt, die Justiz ist oft mehr als fehlbar und subjektiv.

Wie in ihren ersten zwei Büchern scheint man sich wirklich in dem von ihr beschriebenen Zeitalter zu befinden, sie kann eine wunderbare authentische Atmosphäre schaffen, gekonnt vermag sie eine düstere Grundstimmung zu schaffen, ohne dabei allzu kitschig und pathetisch zu werden. Alleine die Titel ihrer vier Bücher sind schon Bilder, Metaphern, so stark und gewaltig wie Archetypen.

Vor Jahren habe ich ein Interview von ihr in einer Zeitung gelesen, ich bin jetzt noch begeistert von ihrem bescheidenen, liebevollen Wesen; dass sie Autodidaktin ist, sieht man ihren Werken nicht an, ich freue mich schon auf ihr nächstes Buch, für mich ist sie die bayrische Patricia Highsmith.

(Josef Huber; 08/2013)


Andrea Maria Schenkel: "Täuscher"
Hoffmann und Campe, 2013. 240 Seiten.
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Andrea Maria Schenkel, geboren 1962, lebt in Regensburg. 2006 erschien ihr Debüt "Tannöd", mit dem sie großes Aufsehen erregte. Der Roman wurde im Jahr 2007 mit dem "Deutschen Krimi Preis", dem "Friedrich-Glauser-Preis" und der "Corine", 2008 mit dem "Martin Beck Award" für den besten internationalen Kriminalroman ausgezeichnet. Das Buch verkaufte sich über eine Million Mal, wurde in zwanzig Sprachen übersetzt und fürs Kino verfilmt. Für ihr zweites Buch "Kalteis" (2007) erhielt sie zum zweiten Mal in Folge den "Deutschen Krimi Preis". Zuletzt erschien "Finsterau" (2012).