Konrad Kramar, Georg Mayrhofer: "Prinz Eugen"
Heros und Neurose
Wer in unseren Tagen danach
trachtet, eine Biografie über den rühmlichen Kriegs- und Kulturhelden -
ja beides ist und war er! - Prinz Eugen zu schreiben, steht vor einer
zweifachen Herausforderung: zum Einen der Herausforderung der späten
Autorenschaft, zum Anderen der Herausforderung durch die moderne Massen-
und Informationstechnologie des Internets. Während also frühere
Autoren noch unbenommen das Leben des adeligen Heroen skizzieren durften
und sich in epischen Schilderungen seiner Schlachten ergingen, ist es
den Textern unserer Tage verboten, das schon allzu oft Gesagte noch
einmal zu sagen und zum unzählbaren Male jene Schlachtereien zu
pinseln, die jeder Internetnutzer mit einem Klick im weltweiten
Gewebe des Informationszeitalters im Detail nachlesen kann.
Um der bloßen bruchstückhaften Information wegen liest man heutzutage
kein Buch mehr. Um der Interpretationen wegen hingegen schon noch. Die
Welt des Sachbuchs wird in unseren Tagen perspektivischer, weniger
sachlich, mehr subjektiv. Vielleicht zum Leidwesen eines strengen
Begriffs von Wissenschaft. Der Lust am Disput hingegen schadet es
sicherlich nicht!
Das Autorenduo Kramar und Mayrhofer ist sich seiner besonderen Lage nun
also sehr wohl bewusst: Im Buch findet sich, (sollte ich die Stelle
nicht in völliger Geistesabwesenheit und lustvoller Hast überlesen
haben), nicht eine einzige Schilderung einer Schlacht. Nicht einmal die
triumphale Schlacht bei Zenta (1697) kommt zur literarischen
Nacherzählung. Stattdessen - und dieses für mich neu! - erleben wir den
Prinzen im Schützengraben. Wir lernen das Geheimnis seiner militärischen
Genialität kennen, die wahrlich die eines draufgängerischen Haudegens
und - der Begriff mag anrüchig und abgewetzt sein - Heroen ist! Es gibt
keine Schule der "Eugen'schen Strategie", betonen die Autoren, denn
Eugen erfocht seine Siege - gegen oft erdrückende Übermacht - weniger
durch Planung am Grünen Tisch denn durch Wagemut und die spontane,
gleichsam raubtierhafte Erkenntnis von Chancen im Gefecht.
Somit hätten wir nun den ersten, blutigeren Teil des Untertitels -
"Heros" - zumindest einmal zwecks Appetitanregung gustiert und schreiten
zügigen Schritts zum zweiten, vorgeblich neurotischen weiter. Welch eine
Gemeinheit! Empörte es sich in mir. Was, bitte, was, sollte an dem
Prinzen, der schon zu seinen Lebzeiten im Rufe eines edlen Ritters
stand, neurotisch sein?
Prinz Eugen von Savoyen war, wie es der quasi als Name geführte
Adelstitel "Prinz" schon verrät, von hoher Geburt. Europäischer
Hochadel! Also wohlgeboren, zugleich aber, so erfahren wir, von höchst
unglückseliger Geburt. Dass seine ebenso berüchtigt flatterhafte wie
mutmaßlich pflichtvergessene Mutter, Olympia Mancini, Mätresse von
Frauenliebhaber König
Ludwig XIV., im Verdacht der Giftmischerei stand und überdies
nicht so recht zu wissen schien, wer nun die wirklichen Väter ihrer
Handvoll Kinder waren, ist beinahe der Standard einer jeden historischen
Plauderei und kann deswegen an dieser Stelle verraten werden, ohne die
Autoren aus allzu viel Geschwätzigkeit um ihre Leser und Käufer zu
bringen. Diese aber von Charakterschwächen heimgesuchte Familie, in
welche hineingeboren zu sein der junge Prinz das Pech hatte, hatte für
das jüngste und sohin schwächste Glied in der Kette jede Menge
unliebsame Überraschungen parat, die man dem intimsten Feind nicht
wünschen möchte.
Was sich aus der Erkenntnis familiärer Verwahrlosung an
Schlussfolgerungen ergibt, ist natürlich spekulativer Natur, weil wenig
Schriftliches zur Vita des Prinzen überliefert ist, doch scheinen die
angestellten Mutmaßungen fundiert genug zu sein, und dass er nach seiner
Übersiedelung nach Wien mit der engsten Familie - nicht jedoch mit der
Sippe, dem Hause Savoyen! - brach, solcherweise immerhin recht einsam
wurde, ist und bleibt ein Faktum.
Was alles war der Prinz noch, dass man sich die Unverfrorenheit
herausnimmt, ihm ein neurotisches Gehaben zu diagnostizieren? Zuerst
einmal war er sein Lebtag lang unbeweibt, woran sich - heute ist es der
Brauch - der Verdacht seiner Homosexualität anschließt. Allerdings eine
sehr fragile Vermutung, zumal ihm der damals sowieso mehr oder weniger
gehässige Tratsch bei Bedarf und aus böswilliger Gesinnung auch diese
oder jene anderweitige Neigung andichtete. Besser belegt sind seine
Sammelwut als Kunstkäufer, sein Hang zur Literatur, sein Mäzenatentum,
schlussendlich seine amateurhaft liebvolle Hingabe an Philosophie und
Wissenschaften, und - kaum zu leugnen, erdrückend evident! - sein Faible
für die Baukunst.
Zu Letzterem kann sich jeder bei Betrachtung von des Prinzen - vor allem
der in Wien gelegenen - Schlossanlagen selbst überzeugen, dass das Beste
diesem nicht gut genug sein konnte. Dass er die Fassaden seines oberen
Wiener Schlosses Belvedere mit türkischem Schlachtenmüll ornamentieren
ließ, würde ich als originell und nicht als neurotisch deuten. Sein
Metier war der Krieg! Sein Winterpalais in der Himmelpfortgasse der
Wiener Innenstadt ist neuerdings nicht mehr Prunkraum des
österreichischen Finanzministeriums, also erstmals nicht mehr ein Ort
imperialer Macht, sondern erstmals ein Ort musealer Freuden.
Heros und Neurose, beide Charakterisierungen mögen provozieren und
polarisieren, der Leser möge sich daran reiben und sein eigenes Urteil
bilden. Bereuen wird er es freilich nicht. Als Kenner anderer
Eugen-Biografien darf ich mitteilen, dass mir diese Biografie viel Neues
erzählt hat, weshalb auch nie Langeweile aufkommen wollte. Über den Stil
lässt sich überhaupt nicht streiten. Kramar und Mayrhofer sind Meister
ihres Fachs. Der Prinz war öffentlichkeitsscheu, verschlossen, hasste
vergnügliche Geselligkeiten, (in widerwärtig modischem
umgangssprachlichen Deutsch "Partie"), seine private Korrespondenz ist
verschollen (vermutlich vernichtet), der Mann ist mehr als nur tot, er
ist ausgelöscht und lebt lediglich in seinem Ruhm und in der Pracht
seiner Bauwerke fort. Wie es die Autoren trotzdem zustande brachten, an
die ungefähr zweihundertfünfzig Seiten, jenseits des schon aus der
Prinzen-Literatur Bekannten, in durchaus kurzweiliger und
substanzieller, also bedeutsamer Weise zum Leben einer Person zu füllen,
über die man trotz ihrer Berühmtheit und ausufernden Schrifttums immer
noch herzlich wenig weiß, ist mir im Nachhinein beinahe rätselhaft und
nötigt jedenfalls Respekt vor der schriftstellerischen Leistung ab.
Nicht aus strenger Erwägung oder wissenschaftlicher Überzeugung, sondern
aus schlicht heiterer Empfindung möchte ich dieses Buch empfehlen. Und
zwar auch jenen Herrschaften, die meinen, bereits intime Kenner des
Prinzen Eugen zu sein.
(Harald Schulz; 11/2013)
Konrad Kramar, Georg Mayrhofer: "Prinz
Eugen. Heros und Neurose"
Residenzverlag, 2013. 256 Seiten.
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