Petros Markaris: "Abrechnung"
Ein Fall für Kostas Charitos
Unbeglichene Rechnungen
als Notgroschen
Neujahrstag 2014. Der Jahreswechsel bringt für den griechischen
Kommissar Kostas Charitos einen mysteriösen Mordfall, für ganz
Griechenland anschauliche wirtschaftliche Änderungen: Einige
südeuropäische Staaten, darunter das krisengeschüttelte Hellas, haben
die Euro-Zone verlassen. Man zahlt wieder mit Drachmen, Peseten und
Lire. Die Probleme des griechischen Staatswesens sind aber geblieben.
Vor allem ist die Gesellschaft zerrissen zwischen vielen Verarmten und
einigen, die auch in und vor allem von der Krise zu profitieren wissen.
Im Team des Kommissars müssen Polizeimitarbeiter Nebenbeschäftigungen
annehmen, denn häufige Lohnzurückhaltungen machen es unmöglich, nur mit
dem kargen und unsicheren Gehalt eines öffentlich Bediensteten über die
Runden zu kommen. Wenn einem Kollegen dann plötzlich die Exfrau die
Kinder vor die Tür stellt, wird es finanziell knapp. Auch die Familie
des aus den früheren Krimis von Petros Makaris bekannten Kommissars
Kostas Charitos bleibt von der Krise nicht verschont. Allabendlich wird
das meist fleischlose Essen gemeinsam mit Tochter Katerina und
Schwiegersohn Fanis eingenommen. So ergibt sich auch Gelegenheit, über
die neuesten Entwicklungen in den Mordfällen zu diskutieren. Auch der
alte Sissis Lambros, ein Freund der Familie, ist oft eingeladen. Allein
er weiß mit der Krise umzugehen, hat er doch als Kommunist in den
Folterkellern der Junta schon weit Schlimmeres erlebt.
Was aber hat der Mord an einem Unternehmer, der beim Bau der
Sportanlagen für die olympischen Spiele 2004 sehr gut verdient hat, mit
der Finanzkrise zu tun? Bald danach stirbt ein Universitätsprofessor,
und schließlich muss ein Gewerkschaftsboss sein Leben lassen. Kostas
Charitos verdächtigt anfangs die Rechtsradikalen, deren brutale
Aufmärsche, Brandschatzungen und Prügelorgien nicht nur die ohnehin
mittellosen Zuwanderer terrorisieren. Doch die Spuren führen zurück in
die Zeit der Militärdiktatur der 60er- und 70er-Jahre. 1973 traten
Studenten des Polytechnikums, der Technischen Hochschule von Athen, in
einen Proteststreik gegen die Junta. Sie verbarrikadierten sich auf dem
Hochschulgelände und installierten einen bis heute berühmten
Radiosender, der zum Kampf aufrief. Doch der Aufstand wurde
niedergeschlagen, die rebellierenden Studenten verschwanden in
Folterkellern. Nach dem Zusammenbruch der griechischen Militärjunta und
dem Übergang zur Demokratie, 1974, ließen sie sich als Helden des
Widerstandes feiern. Im neuen Griechenland gierten sie nach politischer
und wirtschaftlicher Macht. Durch viele Jahre war der Staat ihr
persönlicher Selbstbedienungsladen.
Petros Markaris schaffte es auch mit diesem Kriminalroman, ein weiteres
dunkles Kapitel der griechischen Geschichte ans Tageslicht zu bringen
und seine Folgen für den heutigen - besser: einen fiktiven morgigen -
Zustand des Landes am Beginn des Jahres 2014 zu beschreiben. Politische
Analysen und historische Fakten sind wie die gesamte Schilderung der
Mordfälle und ihrer Aufklärung als Ich-Erzählung aus dem Munde des
sympathischen Kommissars zu hören, eigentlich zu lesen. Dessen
unterschiedliche Gesprächspartner ergeben in Summe ein breites
gesellschaftliches Spektrum.
Die einfache Struktur ohne Nebenhandlung oder durchgehende zweite
Zeitebene erlaubt die Erinnerung an frühere Zeiten, schlechte während
der Militärdiktatur und nur scheinbar bessere vor der Eurokrise, als
einzige Abweichung vom Hier und Jetzt vor den Augen des Kommissars.
Dennoch wirkt die Darstellung dreier nach demselben Schema inszenierter
Mordfälle äußerst konstruiert. Die gesellschaftspolitische Schilderung
der Alltagsprobleme der griechischen Mittelschicht ist in diesem Roman
weit interessanter als die Krimihandlung!
(Wolfgang Moser; 10/2013)
Petros
Markaris: "Abrechnung. Ein Fall für Kostas Charitos"
Aus dem Neugriechischen von Michaela Prinzinger.
Diogenes, 2013. 311 Seiten.
Buch
bei amazon.de bestellen
Digitalbuch bei amazon.de bestellen
Weitere Buchtipps:
Christian Rathner: "Durch die Krise kommt keiner allein. Was
Griechenland Europa lehrt"
Nein, die Krise in
Griechenland ist nicht vorüber. Im Gegenteil: Wie Säure frisst sie
sich in den Alltag.
Menschen wie du und ich rutschen in Armut und Obdachlosigkeit. Eine
Besserung ist nicht in Sicht. Was hilft gegen die Verzweiflung? Die
Verführungskraft radikaler Positionen wächst. Die neonazistische Partei
"Goldene Morgenröte" wittert Morgenluft. Aber es gibt auch die andere
Reaktion auf die Herausforderung. "Wir kannten das Wort Solidarität
nicht mehr", erzählt eine Ärztin in Athen, "aber jetzt lernen
wir es wieder zu buchstabieren". Kleine und große Hilfsaktionen
sind quer durch das Land entstanden: Lichtaspekte in einer dunklen Zeit.
"Wenn das Feuer an die Tür des Nachbarn klopft", sagt man in
Athen, "dann hilfst du besser mit, es zu löschen. Du könntest sonst
der Nächste sein, bei dem es brennt."
"ORF"-Journalist Christian Rathner erzählt in seinem Buch von den
Menschen hinter Zahlen und Klischees. Er benennt die Fragen, welche die
griechische Tragödie an Europa stellt. Er findet Antworten, die für den
ganzen Kontinent von Bedeutung sind. Denn die Krise lebt. Griechenland
geht uns alle an. Neue Formen des Miteinanders sind dringend gefragt.
(Styria Premium)
Buch
bei amazon.de bestellen
Andreas Deffner: "Das Kaffeeorakel von Hellas. Abenteuer, Alltag und
Krise in Griechenland"
Kaffee trinken ist die Lieblingsbeschäftigung der Griechen. Aber niemals
alleine - immer in "parea" - in Gesellschaft, um miteinander zu reden,
zu erzählen, zu diskutieren. Ein Glas Wasser und Süßigkeiten gehören
dazu serviert. Der "ellinikós" - der griechische Mocca-Kaffee - hat das
ganze Jahr Saison, und im Sommer wird der Frappé - ein eisgekühlter
Kaffee - bevorzugt. Es dauert nicht lange, bekannte und neue Gesichter
gesellen sich dazu, Stühle werden gerückt, Geschichten erzählt,
Neuigkeiten ausgetauscht und Freundschaften
begründet.
Andreas Deffner kennt die Gewohnheiten der Griechen - seit Jahren ist
dieses Land seine "zweite Heimat" geworden. Der Alltag beginnt entspannt
mit Kaffee trinken und endet in irgendeinem unvorhergesehenen Abenteuer.
Somit nimmt der Autor seine Leser fernab von Touristenzentren mit, um
das unendlich schöne Griechenland wiederzuentdecken, das trotz Finanzkrise
immer noch seine authentische Gastfreundlichkeit bewahrt hat.
In diese Neuauflage liefert er Geheimnisse der Griechischen Küche. Nach
jeder Geschichte wird das passende Rezept dazu serviert, denn
Griechenland ohne Essen und Trinken ist unvollkommen. Von der
Wildschweinkeule im Römertopf bis zur Wassermelone
mit Feta, 19 Erzählungen laden Sie ein, in das obskure Land der
Hellenen zu reisen.
Und wenn Sie Glück haben, treffen Sie auf eine
der zahlreichen Kaffeesudleserinnen, die in jeder Nachbarschaft zu
finden sind. "Ela, o kafés su! - Komm, dein Kaffee!", wird sie sagen und
die Innenseite ihrer "gemalten" Tasse zeigen. Sie werden sich fragen, ob
all diese Tiere, Buchstaben und Zahlen, die sich gebildet haben, Ihre
Zukunft sind, und das Kaffeeorakel von Hellas wird erzählen von einer
langen, langen Reise ... da, in Richtung Tassenrand. Sehen Sie es auch?
(Größenwahn)
Buch
bei amazon.de bestellen