Joel Haahtela: "Die Verschwundenen von Helsinki"
Empfehlenswerter Roman mit
detektivisch-kriminalistischem Einschlag
"Ich dachte über die Gleichzeitigkeit nach, hier und dort, hier am
Fenster und dort im Nebenraum, oder eben zwischen zwei Menschen, die
ohne voneinander zu wissen zur gleichen Zeit lebten." (Aus dem
Roman)
An einem verregneten Oktobertag geht ein junger Psychiater in
Helsinki spazieren. Er ist kinderlos und geschieden, unzufrieden mit
seinem Arbeitsplatz, und mit seinem Buch kommt er auch nicht weiter. Da
lernt er die Französin Magda Roux kennen, in deren Leben auch nicht
alles rund läuft. Sie ist auf der Suche nach ihrem Exmann, von dem seit
einem halben Jahr jede Spur fehlt. Das letzte Mal hat Paul Roux eine
Postkarte aus Helsinki geschickt. Der Ich-Erzähler, dessen Name dem
Leser an keiner Stelle verraten wird, begibt sich mit der verloren
wirkenden Dame auf die Suche nach dem Verschwundenen.
Gefesselt von den mysteriösen Spuren, angestachelt durch das Eintauchen
in fremde Schicksale und fasziniert von den undurchschaubaren Umständen
bezüglich Paul Roux' Verbleiben, führt der Psychiater seine Suche auch
fort, nachdem Magda plötzlich verschwindet. Seine Nachforschungen führen
ihn zu einem französischen Autor und der finnischen Autorin Raija
Siekkinen, die kurioserweise beide bei einem Brand ums Leben gekommen
sind. Gibt es zwischen den beiden eine Verbindung? Und welche Rolle
spielt Paul in dem verworrenen Mysterium?
Je weiter ihn seine Suche führt, desto klarer wird dem jungen Mann, dass
Paul Roux und die Autorin einander gekannt haben müssen. Der Psychiater
trifft sich mit alten Freunden der verstorbenen Raija, besucht ihre
ehemaligen Wohnstätten und kommt so schließlich auch Paul Roux immer
näher. Doch den unermüdlich Suchenden plagen schließlich Imaginationen,
die sich mit der Wirklichkeit der Orte, die er besucht, vermischen.
In Raijas Rückzugsort, einer kleinen Hütte auf einer Insel,
glaubt der Psychiater schließlich, frische Spuren von Paul zu finden. Er
will nun Magda aufspüren, um mit ihr gemeinsam den Ort zu besuchen, an
dem sich Paul und Raija vermutlich zu ersten Mal getroffen haben. Das
Leben fremder Leute, ihre Lebensumstände und Gefühlswelten faszinieren
den Ich-Erzähler. Doch je tiefer er in diese fremden Welten eindringt,
desto stärker wird er mit seiner eigenen Vergangenheit und den unschönen
Erinnerungen konfrontiert.
Der Autor Joel Haahtela schafft einen unglaublich ansprechenden sowie
berührenden Roman, dessen finnische Herkunft eine angenehme Abwechslung
bietet. Der teilweise sehr vertraut wirkende Ich-Erzähler bleibt
trotzdem ein geheimnisvoller Charakter, der den Leser auf eine spannende
und besondere Reise mitnimmt.
Haahtela räumt außerdem auf begnadete Weise Persönlichkeiten wie
Ingeborg Bachmann,
Max Frisch,
Raija Siekkinen und Yves Navarre Platz ein. Der Autor lässt seinen
Ich-Erzähler auf diese großen Namen stoßen und verführt damit den Leser,
sich in diesen großartigen Roman zu vertiefen, regt Wissbegierige quasi
nebenbei zur eigenen Recherche an. Ein unverzichtbarer Kurzroman, aus
dem man auch für das eigene Leben viel mitnehmen kann.
(Alexandra Gölly; 04/2013)
Joel
Haahtela: "Die Verschwundenen von Helsinki"
Aus dem Finnischen von Sandra Doyen.
Berlin Verlag, 2013. 128 Seiten.
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