William Gaddis: "Die Fälschung der Welt"
Über die Banalität der
Lüge und der Originalität
Das postmoderne Werk "Die Fälschung der Welt" erzählt die
Lebensgeschichte des Wyatt Gwyon, der als Sohn eines protestantischen
Predigers unter der strengen Hand seiner Tante in Neuengland in der
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufwächst. Seine vorbestimmte
Zukunft, dem Vater in die Fußstapfen zu treten, wird durch die
Leidenschaft zur
Malerei beendet. Er verlässt die Provinz Neuenglands und geht nach
Europa, um Kunst zu studieren. Von einem Kritiker entmutigt und
frustriert mit seiner Karrierewahl, zieht er nach New York. Dort trifft
er auf Recktall Brown, einen leidenschaftlichen Sammler und
Kunsthändler, für den Wyatt nun Bilder im Stil von verschiedenen
dänischen Malern erschafft und sie - mit der passenden Unterschrift
versehen - fälscht. Brown verkauft die Bilder nun als spät entdeckte
wertvolle antike Stücke. Als Wyatt bald entmutigt nachhause zurückkehrt,
findet er einen verrückt werdenden zum Mithraskult konvertierten Vater
vor. Zurück in New York versucht er, seine Betrügereien aufzudecken,
reist schließlich nach Spanien, beginnt dort alte Gemälde zu
restaurieren. Er versucht, nicht nur Authentizität zu finden, sondern
auch sich selbst.
Eingewebt in Wyatt Gwyons Geschichte findet man im Roman auch viele
andere Charaktere, die immer wieder in den Mittelpunkt gerückt werden,
wie Otto, einen sich abmühenden Schriftsteller, Esme oder Stanley. Sie
alle sind Teil der "Fälschung der Welt".
"Die Fälschung der Welt" ist William Gaddis' erstes Werk, das anno 1955
in Amerika erschienen ist. Der Autor erschafft in diesem Roman eine
scheinhafte Welt, die unsere Gesellschaft in ihren trügerischen Facetten
widerspiegeln soll. Die Charaktere in diesem Roman werden in Fälschungen
aller Art verstrickt. Ob es der Prediger ist, der scheinbar streng nur
seinem Glauben treu ergeben ist, der kleine Junge Gwyon, der bald das
Lügen und seinen Nutzen durchschaut hat, (auch wenn es seine Wahrheit
ist), oder einfach nur gefälschte Bilder - eine Welt voll Lug und Trug,
wohin das Auge reicht. Nicht nur der Schein rückt in diesem Roman in den
Mittelpunkt, auch der Begriff Originalität - oder eher die Frage danach
- wird ins "rechte Licht gerückt". Verstrickt in die verschiedenen
Handlungsstränge sind faustische Ansätze zu erkennen. Der Pakt mit dem
Teufel, Brown, ist hier wohl als markantestes Merkmal zu nennen. Dennis
Scheck schreibt im Nachwort treffend, dass der Autor sich als "grandioser
Satiriker und hellsichtiger Gesellschaftsanalytiker mit sicherem
Gespür und scharfem Auge (...) erweist".
Der Roman selbst scheint wie ein komplexes und sehr umfangreiches
Labyrinth. Anfangs mögen eben diese Komplexität und der dichtgewebte
wortgewaltige Text dem Leser überaus strapazierend erscheinen. Doch, wie
auch Scheck schreibt, man kann diesen Roman zu lesen lernen und gewöhnt
sich überraschend schnell an die Wortgewalt des Postmodernisten. Die
satirischen Elemente, die Gaddis immer wieder in die trügerische und
"gefälschte", die scheinhafte Welt einbaut, lassen den Inhalt des Romans
leichter verdauen. Für manche klingen diese Worte vielleicht hart,
trotzdem fesselt "Die Fälschung der Welt" paradoxerweise nicht zuletzt
aufgrund der Komplexität, Sprachgewalt und Satire. Marcus Ingendaay
zollt mit seiner Übersetzung dem großen Postmodernisten Gaddis seinen
Tribut und macht den Roman auch einem deutschsprachigen Publikum
zugänglich.
Fazit:
Empfehlenswert für alle Literaturbegeisterten und jene, die auf der
Suche nach etwas Außergewöhnlichem sind.
(Sabrina Brugner; 06/2013)
William Gaddis: "Die Fälschung der Welt"
(Originaltitel "The recognitions")
Übersetzt
von Marcus Ingendaay.
DVA, 2013. 1232 Seiten.
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William Gaddis (1922-1998)
zählt mit Don
DeLillo,
John Updike und Thomas Pynchon zu den bedeutendsten
us-amerikanischen Schriftstellern unserer Tage. Seine Romane gelten als
Meilensteine der zeitgenössischen Literatur. William Gaddis wurde
zweimal mit dem "National Book Award" ausgezeichnet, erhielt den
"MacArthur Genius Grant" und war Mitglied der "American
Academy of Arts and Letters".
Ein weiteres Buch des Autors:
"JR"
JR ist ein kleiner elfjähriger Bub, dem ständig die Schuhbänder an
seinen zerschlissenen Turnschuhen reißen, der nie ein Taschentuch zur
Hand hat und von seiner Mutter vernachlässigt wird. Keiner ahnt, dass er
den us-amerikanischen Traum beim Wort nimmt und - inspiriert vom
Sozialkundeunterricht - vom Schultelefon aus seine erste Aktie ersteht.
Nach und nach erwirbt er Anteile an Bergwerken, Papierfabriken und
Verlagen, und bald versetzt das Finanzimperium des Schuljungen selbst
die Großkapitalisten der Wirtschaftswelt in Erstaunen. Doch plötzlich
bricht die "JR Corporation" bei einer Aktienbaisse zusammen, und nicht
einmal JR kann den freien Fall ins Nichts am Ende verhindern.
Eine bitterböse Satire auf die Welt der Großgeschäftemacherei, deren
Witz im Wahnwitz unserer Gesellschaft liegt. (btb)
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Noch ein Buchtipp:
Manfred Lütz:
"Bluff! Die Fälschung der Welt"
Wann hatten SIE zum letzten Mal das Gefühl, im falschen Film zu sein?
Meistens sind es nur kurze irritierende Momente, die schnell
vorbeigehen. Was aber, wenn sich herausstellen sollte, dass wir alle
tatsächlich in einer gefälschten Welt leben? Und dadurch Gefahr laufen,
unser eigentliches Leben zu verpassen? Aus Versehen.
Der Psychiater und Psychotherapeut Manfred Lütz kennt sich aus mit der
verheerenden psychologischen Wirkung der Plastikwelten, die uns täglich
umgeben. In "Bluff! Die Fälschung der Welt" entlarvt er ein unheimliches
Phänomen, das immer mehr um sich greift und uns alle betrifft. Zum
Beispiel die Welt der Wissenschaft, die einigen wie die eigentliche Welt
vorkommt. Doch selbst der Physik-Nobelpreisträger hat die Liebe zu
seiner Frau nicht physikalisch gemessen und ist dennoch der Überzeugung,
dass diese Liebe das eigentlich Wichtige, das existenziell Bedeutsame in
seinem Leben ist.
Die Psychowelt gibt vor, in allen Lebenslagen Rat zu wissen. Aber selbst
wenn man alle therapeutisch interessanten, psychologischen Mechanismen
kennt, führt das nicht zu einem erfüllten Leben oder gar zu wahrer
Lebensweisheit.
Die Medien
sind eine faszinierende Kunstwelt. Gefährlich wird es aber dann, wenn
Menschen sich in dieser Welt verlieren und ihre fantastischen Kulissen
mit der Wirklichkeit verwechseln. Die Finanzwelt hat auf viele Menschen
eine magische Anziehungskraft. Das konnte jeder in den vergangenen
Jahren beobachten. Und auch wer die Gesundheit zu seiner Religion
erklärt, lebt in einer Scheinwelt. Denn sie verführt dazu, nur noch
vorbeugend zu leben, um dann gesund zu sterben. Doch auch wer gesund
stirbt, ist leider definitiv tot.
Diese Welten gibt es. Wir leben mit ihnen und in ihnen. Manfred Lütz
beschreibt in "Bluff! Die Fälschung der Welt" unterhaltsam und treffend
wie man erfolgreich vermeidet, von ihnen völlig in Besitz genommen zu
werden: Damit Sie am Ende Ihres Lebens nicht erschreckt feststellen,
dass Sie gar nicht wirklich geliebt, nicht wirklich verantwortlich
gehandelt und sich nie wirklich gefragt haben, was das alles soll.
"Bluff!" zeigt überraschende Auswege aus der Sackgasse. Ein launiges,
nachdenkliches und nützliches Buch für jeden. (Droemer)
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