Nuruddin Farah: "Gekapert"
"Gekapert" bildet den
Abschluss eines Romanzyklus über Somalia, die Heimat des Autors,
dessen erste beide Bände "Links" und "Netze" betitelt sind.
Eine Gruppe Exilsomalier kommt im Jahr 2006 nach Mogadischu, zum Teil,
um dort Verwandte und Bekannte zu besuchen, zum Teil, um als
Journalisten über die Zustände im Land zu berichten, speziell über die
Piraterie, und um einen Stiefsohn zu suchen, der sich einer
islamistischen Gruppe angeschlossen haben soll und eines Tages plötzlich
aus Minneapolis verschwunden war.
Jebleeh ist gewissermaßen der Patriarch der Gruppe und sieht sich in dem
für ihn wieder stark veränderten Land um. Er wird von seinem
Schwiegersohn Malik begleitet, der bereits bei der Ankunft
Schwierigkeiten bekommt, weil die Inhalte seines Mobilrechners nicht den
islamistischen Empfindlichkeiten der provisorischen Aufseher am
Flughafen entsprechen; besonders eines Aufsehers, der ein Intimfeind
seines Schwiegervaters ist. Als er den Mobilrechner zurückbekommt, sind
nicht nur etliche Texte sowie ein Bild seiner kleinen Tochter in der
Badewanne gelöscht, sondern es befindet sich auch ein Virus auf dem
Gerät. Der Bürgerkriegserfahrene hat natürlich Sicherheitskopien für
seine Arbeit, aber die persönlichen Angriffe gehen ihm an die Nieren,
wie auch die Verunsicherung seines Schwiegervaters, der ein vom
Bürgerkrieg zerrissenes Land verlassen hat, um nun ein von Sektierern
kontrolliertes Land vorzufinden, das aber dadurch nicht zur Ruhe
gekommen ist. Gewalt ist allgegenwärtig, Korruption und Angst sind es
ebenfalls. Und während tagsüber immer wieder Schüsse und Explosionen zu
hören sind, vernimmt man mit Einbruch der Dämmerung immer deutlicher das
Brummen der Drohnen, die über der Stadt kreisen.
Maliks Bruder Ahl befindet sich in Puntland, wo sich viele Piraten
aufhalten sollen, und macht sich auf die Suche nach seinem Stiefsohn,
der zum Sprengstoffexperten ausgebildet worden sein soll. Genau wie sein
Bruder in Mogadischu, erfährt er eine Menge über das Leben im Somalia
kurz vor der äthiopischen Invasion und über die Geschichte der modernen
somalischen Piraterie, die zur Mission "ATALANTA" geführt hat. Wie in
einigen zeitgeistigen deutschen Kriminalromanen zeigt sich auch in
"Gekapert", dass diejenigen, die mit Lösegeldforderungen gegen die
Reedereien ihr Auskommen haben, eigentlich nicht in Puntland sitzen,
sondern in anderen afrikanischen Staaten, in Europa und in den USA. Die
Piraten selbst, die sich in erster Linie als freibeuterische Erben einer
niedergeschlagenen Küstenwache sehen, kommen kaum über die Runden und
suchen sich zum Teil relativ schnell bessere Tätigkeiten.
Egal, wo im Land sie sind und welche Spuren sie auch verfolgen, die
Männer befinden sich ständig in Gefahr und erleben Tod
und Verderben aus nächster Nähe, wie auch das Elend und die Verzweiflung
der Menschen in diesem Land, das einfach nicht zur Ruhe kommt.
Anders als viele Reportagen und Dokumentationen zum Thema machen die
Charaktere in "Gekapert" in erster Linie die somalische Mentalität für
die Zustände im Land verantwortlich. Die Verantwortung anderer Länder
und Nationen wird nicht abgestritten, aber sie relativiert sich zum Teil
schon sehr gegenüber den inneren Streitigkeiten im Land, die auf
Stammesstrukturen und Stammesrivalitäten beruhen, sowie auf Gewinnstreben
und anderen Faktoren.
Im Anhang von "Gekapert" gibt es eine ausgiebige Quellenliste, und über
weite Strecken liest sich der Roman wie eine Reportage, bei der man die
Fotos weggelassen hat. Dies ist zum Teil ein wenig anstrengend, auch
weil man innerhalb der Handlung sehr viele - durchaus notwendige -
Darlegungen seitens der Charaktere vorfindet.
Viele Dinge über Somalia und sein Umfeld werden in Gesprächen und
Überlegungen von Einzelcharakteren vermittelt; Dinge, die zum Teil
widersprüchlich sind, weil es die Datenlage hinsichtlich dieser Themen
ebenfalls ist.
Infolgedessen gestaltet sich die Lektüre stellenweise ein wenig trocken,
wenngleich die meisten Daten durchaus interessant sind. Es lohnt sich,
beim Lesen Notizen anzufertigen, um nicht den Überblick zu verlieren.
Dann ist "Gekapert" ein durchaus lohnender Roman, der neben den
Fernsehberichten über die Themen "Somalia" und "Piraterie" verstärkt in
die Tiefe geht und mehrere Perspektiven eröffnet.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 04/2013)
Nuruddin
Farah: "Gekapert"
Übersetzt von Susann Urban.
Suhrkamp, 2013. 464 Seiten.
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Weiterer Buchtipp:
Henry de Monfreid:
"Die Geheimnisse des Roten Meeres"
Was soll ich
mich zu einem Leben zwingen, das mir zum Zuchthaus wird? Warum nicht
der Verlockung des blauen Horizonts erliegen, dahinfahren, wohin der
Monsun mich treibt, den kleinen weißen Segeln folgen, die ich Tag
für Tag im geheimnisvollen Roten Meer verschwinden sehe?"
Henry de Monfreid stammte aus bestem Hause, war befreundet mit Matisse,
Gaugin,
Cocteau
und Teilhard de Chardin. Nach einigen frustrierenden Jahren als
Ingenieur brach er 1911 auf nach Dschibuti am Roten Meer und nannte
sich fortan Abd-el-Haï, "Sklave der Schöpfung". Er kaufte
sich ein Schiff
und lebte unter Fischern,
Perlentauchern, Schmugglern, Piraten,
Waffenhändlern als einer der Ihren. Das Gesetz galt ihm wenig, und
für die Beamten der Kolonialmacht hatte er nur Verachtung
übrig.
In dreitausend Briefen an seine Freunde hatte er bereits seine
Abenteuer geschildert, als Joseph Kessel ihn überredete, doch
endlich ein Buch zu schreiben. Als dann "Die Geheimnisse des Roten
Meeres" erschien, wurde er auf einen Schlag zur Legende.
Seine Erlebnisse am Roten Meer und später in
Afrika
sind der gigantische, berückende, mythische Stoff zu einem
umfangreichen Œuvre, das bis heute nichts von seiner Faszination
verloren hat. (Unionsverlag) zur
Rezension ...
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