Ulrike Draesner: "Heimliche Helden"


Eine weitreichende Betrachtung klassischer Literatur, weniger eine gemütliche Lektüre als vielmehr ein philosophisches Gedankenspiel - zum Nachzusinnen, genau Lesen und Reflektieren.

"Helden erzeugen Geschichten über die Fehler, die sie machen."

Ulrike Draesner beschäftigt sich in "Heimliche Helden" mit Männern, einer Frau und ihren Rollen als (heimliche) Helden. Ihre Betrachtungen der Personen setzt sie mit deren (nicht) vorhandenen Verbindungen zu diversen Kriegen in Beziehung.

Außerdem porträtiert Draesner die Autoren mit Bildern und kurzen Biografien. Der Leser nähert sich den Werken auf dem Weg über die Autoren, Motive, Interpretationen und autobiografischen Elemente. Im dritten Abschnitt des Buches werden jedem Schriftsteller und seinem Werk Kapitel in unterschiedlicher Länge gewidmet.

Dem Nibelungenlied wird trotz - oder vielleicht wegen - des unbekannten Verfassers nicht weniger Beachtung geschenkt als den anderen Werken. Heinrich von Kleist in Verbindung mit seiner "Marquise von O." liefert weitere Gedankenanstöße zum Thema Familie, Helden und Krieg. Danach folgen Johann Peter Hebels Kalendergeschichten in der aufklärerischen aufgewühlten Welt mit der Vorstellung der Zeit als Kästchen.

Sogar Jean-Henri Fabres Forschungen über Insekten, insbesondere die Beobachtung von Wespen, gliedern sich passend in dieses Buch ein. Die einzige Frau in Draesners Heldensammlung ist Tania Blixen, natürlich mit ihrem weltbewegenden und bestürzend-romantischen Roman "Jenseits von Afrika", in dem sich Autobiografie, Wunschdenken und traurige Realität vermischen.

Der Arzt und Autor Gottfried Benn bleibt mit seinem "sehr persönlichen, nicht ganz ungefährlichen Buch" "Doppelleben" zu Zeiten der beiden Weltkriege in Erinnerung, getrübt durch seine ihm zeitweilig vorgeworfene Naziunterstützung. Karl Valentin, der Münchner Komiker, der abstritt, Witze über Hitler gemacht zu haben, aber auch nicht mit dem Nazi-Regime sympathisierte, hat wohlverdient seinen Platz unter den "Heimlichen Helden" gefunden.

Bei einem Abstecher nach Irland zu James Joyce, dem Verfasser der "Dubliner", "Finnegans Wake" und "Ulysses", kann man besonders viele autobiografische Elemente in seinen Romanen erkennen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg geht es mit Hans Joachim Schädlichs Nichtroman "Anders" weiter. Gerd-Peter Eigners Schwimmbäder und Gerhard Falkners Bären folgen. Den krönenden Abschluss bildet Thomas Manns Roman "Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull".

Kapitel für Kapitel verknüpft Draesner Fakten, Biografien und eigene Gedanken zu einem bunten und nicht minder unterhaltsamen Kunstwerk. "Heimliche Helden" ist nicht nur eine Abhandlung über Klassiker, es ist vielmehr selbst ein literarisch hochwertiges Werk. Die Autorin unternimmt einen faszinierenden Streifzug durch die Weltliteratur, den sie mit intimen Porträts ausschmückt. Grundeinstellungen, Intentionen und Mentalität der famosen Autoren, die sonst verborgen blieben, werden auch für das ungeübte Auge sichtbar.

Originalpassagen aus den meisten der erwähnten Werke ermöglichen, in verschiedene Epochen und Genres hineinzuschnuppern. Quer durch die Geschichte und von Komik bis Nachkriegsliteratur findet sich für jedes Interessengebiet etwas.

Denn Helden gibt es nicht nur zu Zeiten des Nibelungenlieds gegen Ende des 12., Anfang des 13. Jahrhunderts, auch Hunderte Jahre später bleibt das Heldentum bestehen. Wenn sich auch die Zeit ändert, das Wesen der Helden bleibt.

Die Darstellung der heroischen Welt früher und heute bildet nicht nur die Basis von Allgemeinbildung, sondern begibt sich auf tiefsinniges und anspruchsvolles Terrain. Nur durch konzentriertes, genaues Lesen gelingt es, den philosophischen Gedankenströmen der gebildeten Autorin zu folgen.

Die Kenntnis der besprochenen Werke ist nicht Voraussetzung, um Unterhaltung zu finden, aber jedenfalls vorteilhaft, um Draesners Vergleiche und Impulse nachvollziehen zu können. Für Leser ohne entsprechendes Vorwissen und mit wenig Freude an großartigen Ausschmückungen könnte dieses Buch ein eher langwieriges Lektüreerlebnis darstellen, bei dem man schnell den Anschluss verlieren kann.

(Alexandra Gölly; 06/2013)


Ulrike Draesner: "Heimliche Helden"
Luchterhand Literaturverlag, 2013. 367 Seiten.
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