Carlos María Domínguez: "Der verlorene Freund"


Ein verhängnisvolles Holzkreuz

Die Romane des 1955 in Buenos Aires geborenen Carlos María Domínguez, der seit Ende der 80er-Jahre des vorigen Jahrhunderts in Montevideo (Uruguay) lebt, zeichnen sich allesamt durch frappierende Kürze aus. Sparsam gesetzte, reduzierte, doch zum Poetischen neigende Prosa für literarische Momentaufnahmen. Prosa, die dazu zwingt, langsam und genau zu lesen, da einem sonst leicht Details entgehen können.

Waldemar Hansen heißt der Mann, dem der Ich-Erzähler dieses Romans im Wartezimmer seines Rechtsanwaltes begegnet. Man kommt ins Gespräch, es entsteht eine Freundschaft zwischen den beiden nicht mehr jungen Männern. Eine Freundschaft, deren Basis durch viele Gemeinsamkeiten kultureller Natur Stärkung findet und so rasch zu einer wirklich innigen Verbundenheit führt.

Scheinbar ohne Anlass, stürzt sich Waldemar Hansen eines Tages aus seinem Fenster. Da er vorerst überlebt, bittet er seine Tochter, den Erzähler ins Krankenhaus an sein Bett zu rufen. Dort angekommen, lernt er nicht nur die Tochter, sondern auch die Schwester des Sterbenden kennen. Zu einem letzten Gespräch zwischen den beiden Männern kommt es nicht mehr.

Der Erzähler will und kann nicht verstehen, was den Freund zu dieser Tat gezwungen haben könnte. So beginnt er mit einer dezenten Spurensuche, die sich vorerst auf den Kontakt zu den Verwandten und einer ehemaligen Freundin des toten Freundes konzentriert. Als die ebenso an der Ergründung interessierte Tochter dem Ich-Erzähler den Computer des Verstorbenen zum Durchsuchen gibt, stößt er im Postfach des verlorenen Freundes auf e-mails, die von einem amourösen Verhältnis mit einer Dame zeugen, das offensichtlich nie ganz verloschen ist.

Der Ich-Erzähler findet Hinweise auf ein aus den Bergen Uruguays stammendes Holzkreuz, das in einer noch unklaren Art und Weise für den Freund scheinbar fatale Auswirkungen gehabt hatte. Er reist in die abgelegene Berggegend, um die Hintergründe und Zusammenhänge zu erforschen, die hier zum Suizid von Waldemar Hansen geführt haben. Die Geschichte, die er aufdeckt, ist absurd und teilweise fast unglaublich verrückt; die Bedenken werden allerdings durch die erzählerische Kompetenz von Carlos María Domínguez locker wettgemacht.

Die Stärke dieses Romans liegt in den unendlich vielen Details und der penibel ausgehörten Prosa, die übrigens von Susanne Lange wunderbar genau und musikalisch übersetzt worden ist. Eine Auflösung des Rätsels bzw. einen konkreten Grund für den Selbstmord des Freundes - den bietet der südamerikanische Autor nicht an. Eine Art Verweigerung, die diesem Text jegliche kriminalistische Andeutung und Motivation vorenthält. Ein Motiv allerdings, das gibt es, mehr nicht.

"Der verlorene Freund" ist ein eindrucksvoller, kurzer und sehr dichter Roman, der, formal perfekt konstruiert, noch sehr lange nach der Beendung in den Gedanken nachklingt.

Empfehlung.

(Roland Freisitzer; 05/2013)


Carlos María Domínguez: "Der verlorene Freund"
(Originaltitel "La breve muerte de Waldemar Hansen")
Aus dem Spanischen von Susanne Lange.
Suhrkamp, 2013. 166 Seiten.
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