Luca Di Fulvio: "Das Mädchen, das den Himmel berührte"
Eine junge Liebe wird auf
die Probe gestellt
Nach "Der Junge, der Träume schenkte" kam mit "Das Mädchen, das den
Himmel berührte" ein weiterer Historik-Roman von Erfolgsautor Luca Di
Fulvio
auf den Markt.
"Das Leben ist einfach. Wenn etwas zu schwierig wird, bedeutet das,
dass wir etwas falsch machen."
Venedig im Jahre des Herrn 1515. Mercurio, ein junger,
freiheitsliebender
Betrüger, flieht wegen eines grauenvollen Zwischenfalls aus Rom. Im
Grunde seines Herzens ist der Verkleidungskünstler jedoch ein
aufrichtiger und guter Mensch. Das ist wohl auch der Grund, warum
Giuditta, ein jüdisches Mädchen, sich in ihn
verliebt. Giuditta hat mit ihrem Vater Isacco di Negroponte ihre Heimat
verlassen, um ein neues Leben zu beginnen. Auf ihrem Weg nach Venedig
werden die beiden von
Hauptmann Lanzafame aufgegriffen und dürfen sich seinem Zug
heimkehrender Soldaten anschließen. Von da an wissen Giuditta und
Mercurio, dass sie ohne den Anderen nicht mehr sein können und wollen.
Die gegenseitige Zuneigung lässt allerdings eine eifersüchtige, nicht zu
unterschätzende Nebenbuhlerin zu allen Mitteln greifen, um Mercurio für
sich zu gewinnen. Dies geht soweit, dass sie Giuditta mit ihren Intrigen
beinahe auf den Scheiterhaufen bringt. Dem jungen Paar ist es überdies
nicht vergönnt, seine Liebe
offen zu zeigen, denn Juden werden von der venezianischen Gesellschaft
als minderwertige Wesen angesehen.
Um Juden offensichtlich erkennbar zu machen, müssen diese nicht nur
einen gelben
Hut tragen, sondern sie werden auch jede Nacht ins sogenannte "Ghetto
Nuovo"
gesperrt. Isacco, Giudittas Vater, ist außerdem dagegen, dass seine
Tochter von
einem Betrüger verdorben wird, gleichwohl er selbst nur vorgibt, ein
Arzt zu sein. Als kleiner Junge hat Isacco seinen Vater, einen echten
Arzt, oft begleitet und
einiges von ihm gelernt. Daher gelingt es ihm trotz fehlender
Ausbildung, der bislang unbekannten "Franzosenkrankheit" die Stirn zu
bieten.
Während Mercurio versucht, sein Geld auf ehrliche Weise zu verdienen und
seine
neugewonnene Freiheit nicht wieder an Scarabello, den Verbrecherkönig,
zu verlieren, entwickelt sich Giuditta zu einem begnadeten Modetalent.
Doch das junge Glück wird immer wieder auf die Probe gestellt. Eines
Tages wird Mercurio noch dazu von seiner dunklen Vergangenheit - im
wahrsten Sinne des Wortes - eingeholt, was ihn fast das Leben kostet.
Letztendlich fliehen die beiden, um ihre Lebensträume endlich zu
verwirklichen.
Dem Autor Luca Di Fulvio gelingt es nicht nur, auf eindrucksvolle Weise
viele
verschiedene Figuren und deren Schicksale miteinander zu verweben,
sondern auch, die unterschiedlichsten Gefühle im Leser hervorzurufen. Er
lässt Wut, Hass und Verzweiflung mit Liebe, Hoffnung und Güte in
Wettstreit treten.
Di Fulvio schafft eine große Palette von verschiedenen Charakteren, vom
ehrlichen und gutherzigen Hauptmann Lanzafame über den hoch angesehenen,
unantastbaren
Verbrecherkönig Scarabello bis hin zum grausamen, wuterfüllten Juden
Shimon.
Überdies gelingt es dem Autor auf verblüffende Weise, in manchen
Charakteren das
Gute und Böse in zerreißender Abwechslung zu halten, sodass es schwer
fällt, die
Personen endgültig einzuordnen. Spannung, Grausamkeit und Romantik
wechseln sich
Seite für Seite ab. Die unerwarteten Wendungen, die sich durch dieses
Buch ziehen, sind genauso verwinkelt und unvorhersehbar wie die kleinen,
dunklen Gässchen
Venedigs im 16. Jahrhundert. Als Leser fällt es leicht, in diese Welt
einzutauchen und die Atmosphäre, die der Autor zu schaffen versteht, auf
sich wirken zu lassen. Die lebhaften Beschreibungen von Orten, Gerüchen,
Geräuschen oder Stimmungen
ermöglichen es, sich den Charakteren zwischenzeitlich erschreckend nahe
zu fühlen.
Die nicht selten auftretenden und penibel geschilderten Passagen voll
roher (sexueller) Gewalt lassen den Roman jedoch ungeeignet für junge
Leser erscheinen. Wüste Beschimpfungen, purer Hass,
Judendiskriminierung, eine Hexenverfolgung
und die
geschilderten sexuellen Übergriffe machen "Das Mädchen, das den Himmel
berührte" zu keiner leichten Kost, und das nicht nur aufgrund des
Umfangs von
beinahe 1000 Seiten - ein längeres Vergnügen und alles Andere als
trivial.
Fazit:
Ein von Anfang an packender, aber stellenweise grausamer Roman, dessen
Verlauf sich zu Beginn des Buches nicht im Geringsten erahnen lässt.
(Alexandra Gölly; 02/2013)
Luca Di Fulvio: "Das Mädchen, das den
Himmel berührte"
(Originaltitel "La ragazza che toccava il cielo")
Aus dem Italienischen übersetzt von Katharina Schmidt, Barbara Neeb.
Bastei Lübbe, 2013. 973 Seiten.
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Luca Di Fulvio, geboren 1957, lebt und arbeitet als freier Schriftsteller in Rom. Sein vielseitiges Talent ermöglicht es ihm, mit derselben Leichtigkeit sowohl packende Reißer für Erwachsene als auch fröhliche Geschichten für Kinder zu schreiben (letztere veröffentlicht er unter Pseudonym). Einer seiner vorherigen Reißer, "L'Impagliatore", wurde unter dem Titel "Occhi di cristallo" für das italienische Kino verfilmt. Bevor Di Fulvio zum Schreiben kam, hat er in Rom Dramaturgie studiert, und sein Lehrmeister war kein Geringerer als Andrea Camilleri.