Friedrich Christian Delius: "Die linke Hand des Papstes"
Wie
der Papst zum Lutheraner wurde
Der Ich-Erzähler dieses Werkes des
"Büchner"-Preisträgers Friedrich Christian Delius
teilt mit seinem literarischen Schöpfer die Liebe zur Stadt
Rom
und die Verzweiflung über ihren Zustand, die schon
Martin
Luther, der später im Buch zitiert wird, nach einem
Besuch der Stadt sagen ließ: "Rom, die einstmals
heiligste Stadt, ist zu der verdorbensten geworden. Es geht uns wie
den
Propheten, die ähnliche Klagen erheben. Die heilige Stadt ist
zur Hure geworden. Gibt es eine Hölle, so steht Rom darauf."
Doch die permanenten Anspielungen des am 8. Februar 2013
abgeschlossenen Manuskripts auf die politischen Ränkespiele
und die politische Kultur in Italien sind nur ein Teil dessen, was sich
da einer von der Seele schreibt. Der andere ist ein gedanklicher
Parforceritt durch die Kirchengeschichte sowie die Dogmengeschichte,
die er mit den Worten zusammenfasst: "Jeder, der hier denkt,
muss sich in Richtung Protestant entwickeln."
Denken und Nachdenken ist das tägliche Bemühen des
aus Bremen stammenden mittlerweile pensionierten Archäologen,
der seit Langem in Rom lebt und sich mit Stadtführungen ein
Zubrot verdient. Diese Stadtführungen, so wird er im Laufe
seiner Erzählung immer wieder betonen, muss er bei den meisten
Gruppen zensieren, denn die wollen nichts von der Besatzung der Nazis
und ihren Gräueltaten hören, genauso wenig wie
über die Fälschungen und Täuschungen der
Kirchengeschichte
oder die Abgründe der italienischen Politik unter Berlusconi.
Die Erzählung beginnt mit einem eher zufälligen
Besuch des deutschen Archäologen (sein Beruf ist kein Zufall
und drückt etwas vom literarischen Selbstverständnis
des Autors Delius aus) in der evangelisch-lutherischen Kirche in der
Via Sicilia. Es ist der Sonntag Estomihi ("Sei mir ein starker Fels!").
Während der Lektor nach einem eher dünnen
Orgelvorspiel den Wochenpsalm zu lesen beginnt, entdeckt der
Ich-Erzähler ein paar Meter neben sich einen alten Mann in
Zivil, der eine überraschende Ähnlichkeit mit
Papst
Benedikt
XVI. aufweist, in Begleitung zweier Herren.
Ein Blick auf die Hände des Papstes, insbesondere auf die
linke Hand, löst beim Ich-Erzähler eine in
Sekundenschnelle erfolgende Reihung von Gedanken und Reflektionen aus,
die er viel später an seinem Schreibtisch zu dieser
Erzählung bündeln wird. Diese Gedanken sind ein solch
brillanter Reigen kirchengeschichtlicher, tagespolitischer und
kulturhistorischer Anekdoten, Geschichten und Geistesblitze, dass "Die
linke Hand des Papstes" nicht nur zu einer amüsanten
Lektüre wird, sondern auch zu einer überaus
lehrreichen und kritischen.
Er setzt sich mit den langen politischen Allianzen der Katholischen
Kirche von Konstantin bis zu Berlusconi auseinander. Die Erinnerung an
einen skandalösen Besuch Gaddafis in Rom, bei dem
der Machthaber aus Tripolis sein eigenes Beduinenzelt mitbrachte,
eigens dreißig reinrassige Berberpferde einfliegen
ließ und ausgesuchten jungen Mädchen
erklärte, was es mit dem Islam auf sich hat, bringt ihn dazu,
von Augustinus zu erzählen:
"Nachdem die Pferde des Öldiktators über den
Bildschirm gesprungen waren, hatte ich das Buch über
die Erbsünde herbeigeholt und mir noch einmal die Geschichte
des Pelagius erzählen lassen. Der hatte, sich auf den
frühen Augustinus berufend, ein humanitäres
Christentum haben wollen und damit den Zorn des alten Augustinus auf
sich gezogen. Vereinfacht gesagt, meine Damen und Herren,
würde ich als Fremdenführer erklären, statt
auf Armut und Ethik wollte der spätere Heilige die Kirche auf
Reichtum und Macht bauen, eingeschlossen die Macht über die
Seelen. Sein Gott will Unterwerfung und nicht, dass alle Menschen
selig
werden, wie es in der Bibel steht."
Augustinus, vorher selbst kein
Verächter
der Frauen, habe nach seiner Wahl zum
Bischof die Frauen zu "Minderwertigen und den Menschen zum
Sündenklumpen" erklärt und so die
Erbsünde erfunden.
Er fragt sich zwischendrin, seine Augen immer wieder auf die
Hände des dem Papst ähnelnden alten Mannes richtend,
was der wohl auf seine Einwürfe entgegnen würde. Doch
macht er sich über dessen ausweichende Antworten keine
Illusionen. Obwohl er noch etliche solcher dogmengeschichtliche
Irrtümer und Machtspiele offenlegt, wie etwa den
Übersetzungsfehler, der aus Maria eine Jungfrau machte, halte
ich die oben zitierte "Erfindung" der Erbsünde durch
Augustinus für die zentrale Basis der Macht der Kirche
über die Seelen der Menschen für den Hauptpfeil von
Delius' scharfer Kritik und Polemik. Sie findet ihren
Höhepunkt, als er den alten Mann am Ende der Szene in der
protestantischen Kirche laut die Verse des zentralen Liedes der
Reformation vollständig laut und betont aufsagen
lässt: "Eine feste Burg ist unser Gott ..."
Seine römische Freundin Flavia, immer seine kritische
Gesprächspartnerin, ermuntert ihn, diese von ihm für
ein weiteres "römisches Wunder" gehaltene Begegnung
aufzuschreiben.
Und so hat uns Friedrich Christian Delius eine moderne Legende
überliefert: wie der Papst zum Lutheraner wurde.
(Winfried Stanzick; 09/2013)
Friedrich
Christian Delius: "Die linke Hand des Papstes"
Rowohlt Berlin, 2013. 123 Seiten.
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Friedrich
Christian
Delius, geboren 1943 in Rom, in Hessen aufgewachsen, lebt heute in
Berlin und Rom. Mit zeitkritischen Romanen und Erzählungen,
aber auch als Lyriker wurde Delius zu einem der wichtigsten deutschen
Gegenwartsautoren. Bereits vielfach ausgezeichnet, erhielt Delius
zuletzt den "Walter-Hasenclever-Literaturpreis", den "Fontane-Preis",
den "Joseph-Breitbach-Preis" sowie den "Georg-Büchner-Preis
2011".
Weitere Bücher des Autors (Auswahl):
"Der Spaziergang
von Rostock nach Syrakus"
"In der Mitte seines Lebens, im
Sommer 1981, beschließt der Kellner Paul Gompitz
aus Rostock, nach Syrakus auf der Insel Sizilien
zu reisen. Der Weg nach Italien ist versperrt durch die
höchste und ärgerlichste Grenze der Welt, und Gompitz
ahnt noch keine List, sie zu durchbrechen. Er weiß nur, dass
er die Mauern und Drähte zweimal zu überwinden hat,
denn er will, wenn das Abenteuer gelingen sollte, auf jeden Fall nach
Rostock zurückkehren." So beginnt F. C. Delius'
Chronik einer modernen Schwejkiade.
Im Juni 1988 gelingt es Gompitz, mit einer Jolle von Hiddensee nach
Dänemark zu segeln. Delius erzählt von der
Mühsal der Vorbereitungen, von der Hartnäckigkeit,
wie Gompitz das Segeln lernte, sein Boot tarnte, Geld in den Westen
schaffte, wie er gegen jede Gefahr eine List fand, immer etwas schlauer
als die Staatssicherheit. Einfach auf sein Recht auf eine Bildungs- und
Pilgerreise pochend, auf den Spuren Johann Gottfried Seumes, dessen
"Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802" er seit Jugendzeiten im Kopf
hat. Doch zunehmend irritiert ihn die Frage: "Wie kommst du
am besten wieder zurück?" (rororo)
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"Der
Sonntag,
an dem ich Weltmeister wurde"
Am berühmtesten Tag der deutschen Nachkriegsgeschichte, dem
Tag, an dem der krasse Außenseiter Deutschland
Fußballweltmeister wird, am 4. Juli 1954, wird ein
elfjähriger Pastorensohn in dem hessischen Dorf Wehrda wie an
jedem Sonntag geweckt: vom Lärm der Kirchenglocken, die eine
Viertelstunde lang nur eine Botschaft einläuten: Du sollst den
Feiertag heiligen!
Am Nachmittag dieses Sonntags hört er jedoch einem "unerhörten
Gottesdienst" zu: Herbert Zimmermanns Radioreportage wird
für den schüchternen, stotternden
Elfjährigen zu einer Art Damaskus-Erlebnis. Das
religiöse Vokabular des Reporters, das in der Huldigung an den
"Fußballgott" Toni Turek gipfelt, schockiert den Jungen zwar.
Für zwei Stunden dem "Vaterkäfig"
entronnen, erlangt er aber eine Ahnung von Freiheit - "ich
war der glücklichste von allen, glücklicher
vielleicht als Werner Liebrich oder Fritz Walter". (rororo)
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"Adenauerplatz"
Der Deutsch-Chilene Felipe Gerlach lebt als politischer
Flüchtling in einer bundesdeutschen Großstadt. Er
hat eine Anstellung als Hilfswachmann bei der Firma "Secura":
Unverdrossen geht er rund um den tristen Adenauerplatz, prüft
verschlossene Ladentüren und hält Ausschau nach
verdächtigen Personen. So auch in dieser Nacht, in der der
Roman spielt. Felipe versucht nach vorn zu blicken. Die Chancen der
Rückkehr, die Möglichkeiten einer
Einbürgerung im "ewigen Manövergebiet
Deutschland", die Tragfähigkeit der Liebe zu seiner
deutschen Freundin und der kleine Kampf gegen den
Südamerika-Spekulanten Ellerbrock werden vom Autor in immer
überraschenderen Wendungen durchgespielt. So wird aus dem
vielschichtigen, suggestiven Großstadtroman, aus dem
Nachtbuch "Adenauerplatz", unversehens eine verhaltene Liebesgeschichte
und ein diskreter Kriminalroman. (rororo)
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"Mein
Jahr als Mörder"
Am Nikolaustag 1968 hört ein Berliner Student im Radio, dass
Hans-Joachim Rehse, Richter an Freislers Volksgerichtshof,
freigesprochen wurde. Noch während die Nachrichten laufen,
beschließt er ein Zeichen zu setzen: Er wird diesen Mann
umbringen. Auch aus persönlichen Gründen, denn Rehse
hat den Vater seines besten Freundes zum
Tode
verurteilt, Georg Groscurth - Arzt von Rudolf
Heß und zugleich als Widerstandskämpfer aktiv.
Die Tatbereitschaft des jungen Mannes wächst, je mehr er sich
mit der Familiengeschichte beschäftigt. Besonders
empört ihn das Schicksal von Groscurths Witwe Anneliese, die
nach 1945 zwischen die Fronten des Kalten Krieges geriet. Dass ein
ehemaliger Nazi ungeschoren davonkommt, während die Witwe
seines Opfers als kommunistische Hexe juristisch verfolgt wird, ruft
nach Vergeltung. Ohne Rücksicht mehr auf Studium, auf
pazifistische Ideale oder seine Freundin Catherine setzt er Schritt
für Schritt einen ausgeklügelten Plan um ... (rororo)
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"Die
Liebesgeschichtenerzählerin"
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