László Darvasi: "Blumenfresser"
Klara und die Männer
Seit seinem großen Roman "Die Legende von den Tränengauklern" (Suhrkamp
2001) hat der ungarische Schriftsteller László Darvasi einige Bände mit
Kurzprosa (oder Novellen) veröffentlicht ("Herr
Stern", "Eine Frau besorgen", "Die Hundejäger von Loyang" - alle
bei Suhrkamp). "Blumenfresser" ist sein erster längerer Prosatext seit
zwölf Jahren. Und dieser Roman hat gleich 860 dicht bedruckte Seiten.
Vorweg, "Blumenfresser" ist ein großartiger Roman. Ein Meisterwerk, das
höchst bedauerlicherweise aus vielen Gründen wahrscheinlich kein
Verkaufsschlager werden wird. Dabei gibt es, wenn man einmal im
Zauberreich von László Darvasi gefangen ist, in dem das Schreckliche (es
wird viel gestorben in diesem Roman) und das Schöne koexistieren, kein
Entkommen mehr.
"Viele Leute glauben, der Doktor habe zwei Menschen auf dem Gewissen,
der wunderliche Pflanzenforscher und seine Frau seien vor ein paar
Tagen seinetwegen zugrunde gegangen ... In dem verfluchten Zimmer...
hatten sie einander umarmt, einander verschlungen. Kein Wunder, dass
die Leute redeten. Das Sterbezimmer war ein Blumenzimmer gewesen,
vollgestopft mit allen möglichen Pflanzen, sich rankenden Gewächsen
und Trieben! Ein mörderisches Gewächshaus!"
Der Roman beginnt furios mit dem Ende, bei dem der als roter Faden über
das ganze Buch präsente Dr. Gustav Schütz wegen Beihilfe zum
Doppelselbstmord verhaftet werden soll. Bereits auf den ersten Seiten
wird klar, dass sich der Autor, auch wenn wir uns vermeintlich im 19.
Jahrhundert befinden, genau genommen sogar zur Zeit der Ungarischen
Revolution 1848/1849, über die Fesseln der realistischen Erzählung
hinwegsetzt. Man befindet sich in einer Art surrealen Parallelwelt, die
zwar in groben Zügen jener des 19.
Jahrhunderts entspricht, die aber trotzdem davon weit entfernt
ist. Somit ist "Blumenfresser" auch weit von einer Klassifizierung als
"historischer Roman" entfernt.
Immens spannend ist es, die Symbolik in diesem Roman zu verfolgen.
Wurden bereits im frühen Roman "Die Hundejäger von Lojang" alle Blumen
des Landes verbannt, so wird Klaras Mann, Imre Schön, hier wegen eines
Vortrags über Blumenfresser inhaftiert. Nur durch eine
Amnestie-Verkündung des Kaisers wird er befreit und darf heimkehren.
Die Beziehung von Klara und Imre wird bereichert durch das Vorhandensein
weiterer Kavaliere, oder genauer, Liebhaber, nämlich Peter Schön und
Adam Pallagi. Zwei Figuren, die unterschiedlicher nicht sein könnten,
der eine Rebell und Unternehmer, der andere scheu, unscheinbar und dem
Tode geweiht.
In den vier Hauptkapiteln wird Klaras Leben und ihre Beziehung zu den
drei Männern erzählt, verblüffend originell die Figur ihres so
unglücklich benachteiligten Mannes Imre.
Die rätselhafte Figur des Dr. Schütz, der zu den meisten Protagonisten
in irgendeiner undurchsichtigen Art und Weise eine Verbindung genießt,
ist so etwas wie ein Motor, oder auch Magnet, der diesen vor Fantasie
und genialen Einfällen nur so strotzenden Riesenroman diskret
zusammenhält. Verblüffend originell die Form dieses Romans, der
irgendwann ins Reich der Zigeuner abdriftet, was Darvasi dazu verleitet,
verschiedene Tote auferstehen zu lassen, sowie Tulpenfische und
verschiedene monsterartige Wesen einzuführen. Ein Säugling, der in
Wahrheit uralt ist, spricht immer denselben Satz: "Gebt mir Geld".
Auch wenn das möglicherweise nach einer mit allen Mitteln gespickten
Wahn-Arie klingt, so ist "Blumenfresser" ein perfekt organisiertes
literarisches Meisterwerk, das allerdings vom Leser fordert, zwischen
den Zeilen zu lesen, da man sonst neben der bereits äußerst spannenden
Geschichte die wahre Essenz dieses Romans verpasst.
So handelt dieser, ebenso wie die beschriebenen Pflanzen, wuchernde
Roman von den ewigen Fragen der Literatur: Liebe, Schuld und Verrat. Von
der Vergeblichkeit der Existenz und der Trughaftigkeit des Glücks.
All das verpackt in László Darvasis wunderbarer Erzählung, rast man
schnell süchtig von Zeile zu Zeile, immer wieder einbremsend, um nichts
zu verpassen. Man verfolgt Klaras Leben und das ihrer Männer begeistert
und schließt sich einem grotesken Zigeunerklan, dessen Platz in der
Geschichte auch bald klar wird, an. Viel zu schnell ist man auf der
letzten der 860 Seiten angelangt, und das, obwohl "Blumenfresser" kein
leicht genießbarer Lesestoff ist. Zusätzlich sollte erwähnt werden, dass
die Übersetzung von Heinrich Eisterer großartig gelungen ist, sie liest
sich flüssig und stilistisch überzeugend.
Mit "Blumenfresser" ist László Darvasi ein großer, origineller Wurf
gelungen, ein Meisterwerk von einem Roman, dem der Rezensent einen
großen Erfolg wünscht.
Absolute Empfehlung.
(Roland Freisitzer; 09/2013)
László Darvasi: "Blumenfresser"
Aus dem Ungarischen von Heinrich Eisterer.
Suhrkamp, 2013. 860 Seiten.
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