Margot Käßmann (Hrsg.): "Gott will Taten sehen. Christlicher Widerstand gegen Hitler"

Ein Lesebuch


Selten geschieht es, dass eine Herausgeberin vorab so bereitwillig darüber Auskunft gibt, wie ein Buch entstanden ist. Es sei also Margot Käßmann herzlich dafür gedankt, Einblick zu geben. Es ist nämlich ganz entscheidend, darauf hinzuweisen, warum es sich  hierbei um ein Lesebuch handelt. Ein Lesebuch ist gemeinhin ein Buch, in dem nach Lust und Laune hierhin und dorthin geblättert werden kann. Niemand schreibt vor, wie dieses Buch zu behandeln ist. Freilich schreibt das nie ein Verlag oder der Autor oder wer auch immer vor, doch für gewöhnlich werden Bücher von vorn nach hinten oder von hinten nach vorn gelesen. Nun also dieses Lesebuch, das den christlichen Widerstand gegen Hitler zum Gegenstand hat.

Zunächst zum Allgemeingültigen. Warum, so eine Frage, die auch das Buch bzw. Margot Käßmann aufwirft, warum ist der christliche Widerstand sozusagen nur vereinzelt anzutreffen? Warum gab es nicht generellen Widerstand? Warum haben nur so Wenige die Courage gehabt, christlichen Widerstand gegen Hitler zu leisten? Viele Warum und wohl nur eine Antwort darauf: Weil die christlichen Kirchen vom Nationalsozialismus infiltriert waren. Viele christliche Widerstandskämpfer traten der sogenannten bekennenden Kirche bei, die eine Oppositionsbewegung evangelischer Christen gegen Versuche der Gleichschaltung von Lehre und Organisation der Deutschen evangelischen Kirche darstellten. Hierbei ist festzuhalten, dass es tatsächlich um Lehre und Organisation ging, jedoch nicht darum, den Nationalsozialismus grundsätzlich in Frage zu stellen oder gar als unmenschlich zu bewerten. Nicht wenige Widerstandskämpfer taten sich also darin hervor, einerseits christliche Ideale hochzuhalten und darauf zu pochen, dass die Evangelien von staatlicher Seite (und also dem Nationalsozialismus) unangetastet bleiben mögen, andererseits arrangierten sie sich weitgehend mit dem System, was die Programmatik betrifft. Ihre Position lässt sich also so beschreiben, dass sie sich als Christen den Mund nicht verbieten lassen wollten, jedoch das System in keiner Weise attackierten.

Und nun zum Speziellen. Einzelne Widerstandskämpfer hervorzuheben, kommt nicht in Betracht, doch gilt es, exemplarisch vorzugehen. Jeder Leser wird den einzelnen Widerstandskämpfern auf ganz persönliche Art begegnen. Abgesehen davon, dass dieses Lesebuch nur einen Teil der Widerstandskämpfer zu Wort kommen lässt, während viele andere in das Lesebuch gar nicht aufgenommen wurden, (auch davon schreibt dankenswerterweise Margot Käßmann), gilt es also für mich, subjektiv Augenmerk auf jene Biografien zu nehmen, die mich besonders beeindruckt haben. Wenn ich nun also drei Beispiele anführe, so ist dies eine ganz persönliche Erfahrung, was den Eindruck anlangt.

Als Erstes sei Helene Kafka angeführt, die im Jahr 1894 in der Nähe von Brünn, also im damaligen Österreich-Ungarn, geboren wurde. Die Familie zog zwei Jahre später nach Wien. Helene Kafka arbeitete ab 1913 in einem von den Franziskanerinnen von der christlichen Liebe versorgten Krankenhaus als Köchin, Pflegehelferin und ab 1917 als Krankenschwester. Am 25. April 1914 trat sie gegen den Willen ihrer Eltern dem Orden, der bis heute als jener der Hartmannschwestern bekannt ist, bei und erhielt den Namen Maria Restituta. Sie weigerte sich, Kruzifixe in den Krankenzimmern abzuhängen, und sie wurde von einem SS-Arzt denunziert, der zwei von ihr zur Abschrift diktierte regimekritische Texte fand. Sie wurde am 18. Februar 1942 von der Gestapo im Krankenhaus verhaftet und acht Monate später wegen Feindbegünstigung und Vorbereitung zum Hochverrat zum Tode verurteilt. In der Nacht vom 29. auf den 30. März 1943 wurde sie im Landesgericht auf dem Schafott hingerichtet.

Hernach wurde sie anonym in der Gruppe 40 des Wiener Zentralfriedhofes verscharrt, wie es zwischen 1938 und 1945 mit hunderten Widerstandskämpfern und Deserteuren der Wehrmacht geschah. Helene Kafka wurde am 21. Juni 1998 von Papst Johannes Paul II. selig gesprochen und gilt als erste Märtyrerin der Erzdiözese Wien.

Besonders beeindruckt hat mich die Lebensgeschichte von Edith Stein, mit deren Biografie ich angesichts des Gedenkjahres 2012, in welchem sich ihr 70. Todestag jährte und mehrere Gedenkveranstaltungen und Festmessen stattfanden, erstmals intensiv konfrontiert wurde. Edith Stein wurde am 12. Oktober 1891 als jüngstes von elf Kindern in Breslau geboren. Ihr Vater starb, als sie drei Jahre alt war, ihre Mutter war Jüdin. Sie brach im Alter von 14 Jahren den Besuch des Breslauer Gymnasiums ab und wandte sich gleichzeitig von der jüdisch-orthodoxen Tradition ihres Elternhauses ab. Selbst bezeichnete sie sich ab diesem Zeitpunkt als Atheistin. Nach dem Abitur studierte sie ab 1911 wiederum in Breslau Philosophie, Psychologie, Geschichte und Germanistik. Später wechselte sie nach Göttingen und studierte bei dem jüdischen Philosophen Edmund Husserl Phänomenologie. Schließlich folgte sie Husserl nach Freiburg, wurde von ihm 1916 promoviert und als erste Frau wissenschaftliche Assistentin am Lehrstuhl ihres Doktorvaters. Eines Tages fiel ihr anlässlich eines Besuches ihrer Freundin Hedwig Conrad-Martius zufällig die Autobiografie der spanischen Mystikerin und Karmelitin Teresa von Avila in die Hand. Sie las das Buch während einer Nacht und war hernach davon überzeugt, die "Wahrheit" für sich gefunden zu haben. Am 1. Januar 1922 ließ sie sich in Bad Bergzabern auf den Namen Teresia Hedwig katholisch taufen. Ihre evangelische Freundin fungierte als Taufpatin. Edith Stein erhielt, nachdem die Nationalsozialisten am 1. April 1933 zum Boykott jüdischer Geschäfte aufriefen, als gebürtige Jüdin Lehrverbot und verlor ihre Stelle in Münster. Angesichts der wachsenden Pogromstimmung schrieb sie noch im April direkt an Papst Pius XI. Nunmehr sei ein Ausschnitt aus diesem Brief zitiert, zu dem sich der Papst im Übrigen nie äußerte.
"Alles, was geschehen ist und noch täglich geschieht, geht von einer Regierung aus, die sich 'christlich' nennt. Seit Wochen warten und hoffen nicht nur die Juden, sondern Tausende treuer Katholiken in Deutschland - und ich denke, in der ganzen Welt - darauf, dass die Kirche Christi ihre Stimme erhebe, um diesem Missbrauch des Namens Christi Einhalt zu tun. Ist nicht diese Vergötzung der Rasse und der Staatsgewalt, die täglich durch Rundfunk den Massen eingehämmert wird, eine offene Häresie?"

Edith Stein fühlte sich immer bedroht, was auch ihr Testament vom 9. Juni 1939 zeigt.
Als Reaktion auf einen Brief des römisch-katholischen Erzbischofs von Utrecht, der am 26. Juli 1942 das Vorgehen der Nationalsozialisten gegen die Juden brandmarkte, wurden daraufhin am 2. August 244 zum römisch-katholischen Glauben konvertierte Juden, unter ihnen auch Edith Stein und ihre Schwester Rosa, von der Gestapo verhaftet und in das Durchgangslager Westerbork gebracht. Am 7. August 1942 wurden die Schwestern in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Edith und Rosa Stein wurden am 9. August 1942 in einer Gaskammer des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau ermordet.

Als drittes Beispiel sei an Paul Robert Schneider erinnert, der im Jahr 1897 in Pferdsfeld in Rheinland-Pfalz als zweiter von drei Söhnen eines reformierten Pfarrers geboren wurde. Seine Mutter starb, als er 17 Jahre alt war. Er meldete sich im Alter von knapp 18 Jahren freiwillig zum Kriegsdienst und wurde Ende 1915 als Soldat an der Ostfront eingesetzt. Wenig später verwundet und mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet, wurde Paul Robert Schneider an die Westfront geschickt und war am Angriff deutscher Truppen auf die französische Festung Verdun beteiligt. 1918 wurde er zum Leutnant der Reserve ernannt. Schließlich begann er ein Studium der evangelischen Theologie. Er war Mitglied in unterschiedlichen nichtschlagenden Studentenverbindungen und nahm an der Niederschlagung kommunistischer Aufstände in Thüringen teil. Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1926 übernahm er auf Wunsch der Gemeinden dessen Pfarrstelle in Hochheim und Dornholzhausen in Mittelhessen. Er heiratete die Pfarrerstochter Margarete Dieterich, aus der Ehe gingen sechs Kinder hervor. Als Paul Robert Schneider mit dem Nationalsozialismus konfrontiert wurde, kam er schnell zu der Erkenntnis, dass die Bibel nicht mit der nationalsozialistischen Ideologie zu vereinbaren ist. Er hielt nichts vom Glockengeläut angesichts des neu gewählten Reichstages im Jahre 1933 und bezweifelte die Aussage eines NSDAP-Kreisleiters, der bei einer Beerdigung eines Hitlerjungen meinte, dieser sei nun im "himmlischen Sturm Horst Wessel". Paul Robert Schneider bestand darauf, dass das "Wort Gottes unverfälscht verkündet wird", woraufhin er am folgenden Tag, dem 13. Juni 1934, für eine Woche in sogenannte Schutzhaft genommen wurde. Er ließ sich nicht davon abbringen, seine kritische Stimme zu erheben, was letztlich dazu führte, dass er Ende November 1937 im Konzentrationslager Buchenwald landete. Er galt bald als "Prediger von Buchenwald", konnte die Zwangsarbeit aufgrund seines guten körperlichen Zustands ertragen. Am 20. April 1938, anlässlich des Geburtstages des "Führers", verweigerte er den Fahnenappell und begründet dies damit, nicht bereit zu sein, ein solches "Verbrechersymbol" zu grüßen. Die Folge waren öffentliche Stockschläge und Einzelhaft. Er wurde während einer einjährigen Einzelhaft im Bunker fast zu Tode gefoltert. Die besondere Tragik daran war, dass es ihm leicht möglich gewesen wäre, das KZ Buchenwald zu verlassen. Hierfür hätte er nur seine Ausweisung aus der Rheinprovinz akzeptieren müssen. Da er sich aber im Sinn der Apostelgeschichte (5,29) seinen Gemeinden in Dickenschied und Womrath verpflichtet fühlte, blieb er in Haft. Mehrmals kam er als Folge der Folterungen auf die Krankenstation. Am 18. Juli 1939 ermordete der Lagerarzt Erwin Ding-Schuler Paul Robert Schneider mit einer Überdosis Strophantin.

Seine an seine Frau adressierten Briefe aus der Arrestzelle in Buchenwald sind herzzerreißend. Er ist von unerschütterlichem Glauben durchdrungen und glaubt an eine Zukunft mit seiner Familie.

Diese drei Beispiele belegen eindrucksvoll, wie vielschichtig der christliche Widerstand gegen Hitler war und wie verschieden die Persönlichkeiten, die sich zum Widerstand aufgerufen fühlten. Das Lesebuch enthält gut 50 solcher Beispiele. Jedes einzelne Beispiel kann uns Nachgeborenen ein Zeichen sein, hellhörig zu sein und der inneren Stimme der Vernunft zu folgen, wenn es hart auf hart geht. Oder, wie es Margot Käßmann so ausdrucksstark formuliert:
"'Erinnere dich!', 'Gedenke!' sind immer wieder Mahnungen der Bibel. So hoffe ich, dieses Buch lädt ein zum Lesen, zum Erinnern und Gedenken, auf dass es Menschen heute stärke, sich zu fragen, wo ihre Widerstandskraft gefordert ist."

Dieses Buch verdeutlicht, wie wichtig es ist, dem eigenen Gewissen zu folgen. Die christliche Komponente ist umso bemerkenswerter, wo es doch historisch erwiesen ist, wie häufig insbesondere Katholiken zu Zeiten des Nationalsozialismus antisemitische Anschauungen hatten, und dieser Antisemitismus bis heute auch in Deutschland und Österreich als Gespenst umgeht. Jenen Christen, die sich wie Edith Stein vehement für die Gleichberechtigung der Juden eingesetzt haben, ist dies sehr hoch anzurechnen. Die Vergötzung des Nationalsozialismus war eine Ersatzreligion, und damit Blasphemie übelster Sorte. Die im Namen des Nationalsozialismus begangenen unzähligen Gräueltaten implizieren in sich also auch die Abstufung Gottes unter die nationalsozialistischen Ideale. Dass sich Christen diesem Irrsinn entgegenstellten, um damit die Rangordnung wiederherzustellen, hat dazu geführt, dass dieses Lesebuch auch ein Zeugnis dafür ist, jede Form von Götzendienst abzulehnen. Für den Götzen des Nationalsozialismus gibt es wohl keine Steigerung hinsichtlich der schrecklichen Auswirkungen, die der Glaube an diesen Götzen verursacht hat.

Der Verlag C.H. Beck hat mit der verwirklichten Idee eines Buches im Sinn des christlichen Widerstands gegen Hitler wichtige Aufklärungsarbeit geleistet. Schön, dass Margot Käßmann dem Ruf gefolgt ist, dabei tatkräftig zu helfen, dieses Lesebuch zu verwirklichen.

(Jürgen Heimlich; 02/2013)


Margot Käßmann (Hrsg.): "Gott will Taten sehen.
Christlicher Widerstand gegen Hitler. Ein Lesebuch"

C.H. Beck, 2013. 479 Seiten.
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Nirgendwo kam der Zynismus der Nationalsozialisten deutlicher zum Ausdruck als in Theresienstadt. Die Weltöffentlichkeit und die zur Deportation bestimmten Juden wurden planmäßig über den Zweck der Einrichtung getäuscht. Bis heute hält sich das Bild des privilegierten "Altersghetto", in dem vor allem musiziert und gemalt wurde. Wolfgang Benz zeichnet in diesem Buch ein Bild von Theresienstadt, das der Realität zwischen Hoffnung und Vernichtung, zwischen Illusion und Untergang nahe kommt.
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Agata Tuszyńska: "Die Sängerin aus dem Ghetto. Das Leben der Wiera Gran"
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Agata Tuszynska konnte das Vertrauen der Sängerin gewinnen und mit ihr sprechen. Geschrieben hat sie ein Buch über den Lebenskampf einer Frau, ein hartes und gleichsam warmherziges Plädoyer gegen die Grausamkeit des Schicksals. (Insel)
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