Jesús Carrasco: "Die Flucht"
Ein starkes Debüt
Jesús Carrascos Debütroman "Die Flucht", der erst im Januar 2013 in
Spanien erschienen ist, liegt bereits einen Monat später in der
deutschen Übersetzung vor. Weitere neun Übersetzungen sind derzeit in
Vorbereitung.
Der 1972 in Badajoz geborene und heute in Sevilla lebende Jesús Carrasco
hat bereit hier starke Figuren geschaffen, die seinen extrem
eigenwilligen Erstling zu einem starken Stück Literatur werden lassen.
Ein Junge flieht. Versteckt in einer lehmigen Höhle, unter Gebüsch, hört
er seine Verfolger, unter denen sich auch sein Vater befindet. Gleich
von Anfang an macht der Autor klar, dass es hier keine bzw. keine
aufgelegten Erklärungen geben kann. Der Grund für die von extremen
Strapazen begleitete Flucht wird nicht näher erläutert. Man weiß als
Leser auch nicht, in welcher Zeit diese Verfolgung stattfinden soll. Die
Angabe, dass der Polizeiwachtmeister das einzige motorisierte Fahrzeug
besitzt, hilft da nicht besonders weiter. Dadurch entsteht ein
eigentümlich starker Sog, der zeitunabhängig und ortsunabhängig zupackt
und sich auf das Wesentliche konzentriert, nämlich auf die Flucht des
Jungen.
Über ein steppenartiges, abgebranntes Gelände quält sich der Junge
voran: Hunger, Durst, Angst
und Schmerzen sind seine ständigen Begleiter. Die Angst davor, wieder
eingefangen und in sein Elternhaus zurückgeworfen zu werden, ist immens
und somit auch der Motivationsschub für die Flucht des Jungen. Man wird
als Leser Zeuge und Begleiter in diesem spannenden Überlebenskampf, der
den Jungen an seine Grenzen führt.
Als der Junge einen alten Ziegenhirten trifft, spürt er, dass er sich an
diesen halten muss, auch wenn er sich lange nicht sicher über Loyalität
und Sinn der angebotenen Hilfe des Alten ist. Erst in einer prekären
Situation kann er sich von der Ehrlichkeit des alten Ziegenhirten
überzeugen.
Die unglaubliche Brutalität der Verfolger wird deutlich, als der
Polizeiwachtmeister den Ziegenhirten aufspürt und ihn, der das Versteck
des Jungen nicht verrät, seine Wut und Macht spüren lässt, indem er
seine Schergen wild wüten lässt. Wütende Gesetzlosigkeit, die hier Rache
fordernd über den Alten und den Jungen hereinbricht.
Es sind sehr starke Szenen, die Jesús Carrasco hier zeichnet. Besonders
stark vor allem dank der Tatsache, dass der Autor sich hier wirklich
allen Erklärungsmomenten entzieht und sich nur auf die aus der Zeit und
Geografie losgelöste Flucht per se konzentriert.
An dieser Stelle beginnt der Schlussteil dieses Romans, über den der
Rezensent hier nicht mehr verraten will, bis auf die Tatsache, dass er
die krönende Coda dieses dichten, spannenden Textes ist. In diesem
Schlussteil schimmern sehr bald auch die Hintergründe der Flucht durch.
Jesús Carrascos Roman "Die Flucht" erinnert mitunter, obwohl stilistisch
und intentionell doch weit von diesem Roman entfernt, ein wenig an Cormac
McCarthys Roman "Die Straße". Sehr dichte, teilweise etwas
repetitive Prosa, die sich wie fein in Stein gemeißelt liest, komplex
und äußerst präzise, macht diesen Roman zu einem wirklichen Lesegenuss.
Absolute Empfehlung.
(Roland Freisitzer; 03/2013)
Jesús Carrasco: "Die Flucht"
(Originaltitel "Intemperie")
Aus dem Spanischen von Petra Strien.
Klett-Cotta, 2013. 207 Seiten.
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