Andrea Camilleri: "Der Hirtenjunge"
Dieser Roman des
italienischen Schriftstellers Andrea Camilleri, der sich im
deutschsprachigen Raum vor allen Dingen aufgrund seiner
"Montalbano"-Kriminalromane einen Namen gemacht hat, zeigt zum
wiederholten Mal einen Autor, dem es in seinen Büchern um seine
sizilianischen Heimat, ihre Schönheit und ihre Naturgewalt, die Kultur
ihrer Menschen und ihre ganz besondere Geschichte geht.
In einer kurzen Nachbemerkung zu "Der Hirtenjunge" schreibt Camilleri:
"Dieser Roman schließt einen Zyklus ab, der mit 'Die
Frau aus dem Meer' begann und mit 'Der
Bahnwärter' fortgesetzt wurde. Es sind drei Geschichten, die
drei mehr oder weniger gelungene Metamorphosen erzählen. In der Antike
ließen sich Metamorphosen leichter erzählen und auch leichter
durchführen."
Der Roman beginnt mit der Schilderung eines Ereignisses in dem
sizilianischen Dorf Alagona, irgendwann zu Beginn des zwanzigsten
Jahrhunderts. Bei verschiedenen Unglücken in den Minen rund um das Dorf
kommen innerhalb kürzester Zeit 250 junge Minenarbeiter, die meisten von
ihnen Kinder unter zehn Jahren, ums Leben. Schnell ist es nötig, in den
umliegenden Küstenorten neue Kinderarbeiter für die engen Stollen der
Bergwerke zu rekrutieren.
Das bekommt auch der Fischer Adelio Savatteri in Vigàta mit, und er
erfährt auch, unter welchen Bedingungen die Kinder dort arbeiten müssen.
Deshalb behält er, obwohl er seine Familie mit den Fischen, die er
fängt, kaum ernähren kann, seinen Sohn Giurlà zu Hause.
Doch schon bald ergibt sich zur Freude seines Vaters, der von einem
eigenen Boot und der damit verbundenen Selbstständigkeit und
bescheidenem Wohlstand für seine Familie träumt, für Giurlà eine andere
Gelegenheit, Geld zu verdienen und zum Einkommen seiner Familie
beizutragen. Er wird in die Berge geschickt, um dort auf den großen
Flächen eines Adligen Ziegen zu hüten.
Diese Arbeit in der freien Natur gefällt dem Jungen, und er versteht
sich gut mit seinem direkten Vorgesetzten Damianu. Bald schon ist das
Meer vergessen, und Guirla lernt nicht nur die Welt der Hirten kennen,
sondern auch die Welt der Sexualität. Denn jeden Abend kommen Mädchen,
um die Ziegen zu melken, und eines, Rosa, das ganz besonders gern
vögelt, weiht ihn in die Geheimnisse der körperlichen Liebe ein.
Sehr zum Unwillen einer Ziege namens Beba, die sich dem Hirtenjungen
schon bald nach seiner Ankunft in der Hirtenhütte genähert hat und
seitdem nicht her von seiner Seite gewichen ist. Zwischen den beiden
entwickelt sich über die Zeit eine außergewöhnliche und für heutige
Ohren vielleicht befremdliche Liebesgeschichte, die beide auch an der
körperlichen Seite dieser Liebe einen immer größeren Gefallen finden
lässt.
Damianu verwaltet Giurlàs Lohn und fördert den Jungen nach
Kräften, weil er seine Klugheit und sein Talent schätzt. Schon nach
kurzer Zeit hat Giurlàs Geld seinem Vater den Kauf eines neuen Bootes
ermöglicht, und weil er Hilfe braucht, bittet er seinen Sohn, wieder
nach Hause zu kommen. An die Ruhe in den Bergen und sein neues Leben
gewöhnt, hält es der Hirtenjunge nicht lange in Vigàta aus und kehrt zu
seinen Ziegen zurück. Er findet Beba in einem dem Tod nahen Zustand
wieder. Sie hat ihn vermisst und nichts mehr gefressen.
So geht die Zeit dahin. Giurlà lernt Menschen kennen, die ihn zum Betrug
verführen wollen, doch er zeigt sich standhaft. Alles zur Freude nicht
nur Damianus, sondern die Kunde vom Hirtenjungen geht bis ins mondäne
Haus des adligen Großgrundbesitzers.
Was Giurlà als Nachfolger Damianus nach dessen Tod in seinem neuen Haus
erlebt, wie er der Tochter des Landbesitzers begegnet, und was sich
daraus alles noch ergibt - er hätte es sich nicht träumen lassen, als er
vom Meer in die Berge zog, um nicht in den Bergwerken zu sterben.
Mit großer erzählerischer Freiheit und mit viel Liebe zu Sizilien,
seiner Geschichte, seinen Menschen und seiner Kultur hat Andrea
Camilleri einen wunderschönen Roman über eine wundersame Verwandlung
sowie über die Macht und Kraft der Liebe geschrieben.
(Winfried Stanzick; 01/2013)
Andrea Camilleri: "Der Hirtenjunge"
(Originaltitel "Il Sonaglio")
Aus dem Italienischen von Moshe Kahn.
Kindler, 2013. 208 Seiten.
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Weitere Lektüretipps:
Andrea Camilleri:
"Die Sekte der Engel"
Ein gottloser Skandal im Italien der Jahrhundertwende: In einem
sizilianischen Dorf werden plötzlich viele unverheiratete Frauen schwanger.
Zunächst kursiert das Gerücht, die Cholera sei ausgebrochen.
Nachforschungen fördern allerdings bald die Wahrheit zutage - was der
Panik in der Bevölkerung kaum abhilft. Jeder verdächtigt jeden, und so
gerät der linke, idealistische Anwalt Teresi, der auf der Suche nach den
Ursachen Beweise für die Existenz einer geheimen Priestersekte findet,
bald in die Schusslinie von Kirche, Adel und Mafia.
Camilleri schuf mit diesem Roman nicht nur eine temporeiche Komödie,
sondern auch einen veritablen Reißer über Unschuld, Macht
und skrupelloses Verbrechen. (Nagel & Kimche)
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Andrea
Camilleri, Giancarlo De Cataldo, Carlo Lucarelli: "Richter"
Drei herausragende Schriftsteller, drei glänzende Erzählungen, drei
mutige Richter im Kampf gegen das Verbrechen.
"Wenn ein Richter zu viel weiß, aber nichts in der Hand hat, kommt es
vor, dass sie ihn abknallen."
Die Kriminalität blüht in Bella Italia. Camilleris sizilianische Mafiosi
haben mit einem gebäckliebenden Richter zu kämpfen. Lucarellis
begehrenswerte Ermittlungsrichterin mit den Terroristen in Bologna um
1980. Und De Cataldo lässt einen Staatsanwalt von Recht und
Gerechtigkeit träumen.
Richter Surra wird aus Piemont nach Sizilien versetzt. Dort soll er die
Rechtsprechung des eben vereinten Italiens durchsetzen. Keine leichte
Aufgabe, wenn man es mit der gerade entstehenden Mafia zu tun bekommt.
Camilleri erzählt über den Mut eines Mannes, von dem dieser selbst noch
nichts weiß.
Lucarelli führt uns in die bleierne Zeit Bolognas der 1980er-Jahre. Als
eine junge Staatsanwältin, die glaubte, mit dem Terrorismus nichts zu
tun zu haben, angeschossen wird, muss sie untertauchen. Ausgerechnet ein
linksradikaler Aktivist rettet sie und bringt sie in Sicherheit - in die
Illegalität.
In den 1990ern findet sich die üble Verbindung von Rechtssprechung und
korrupter Politik nicht mehr nur im Süden des Landes. Davon und von dem
unerbittlichen Kampf zwischen einem verbissenen Mailänder Staatsanwalt
und einem korrupten, aber beliebten Bürgermeister erzählt De Cataldo.
(Klett-Cotta)
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Andrea Camilleri, Carlo
Lucarelli: "Das süße Antlitz des Todes. Ein Fall für Commissario
Montalbano und Grazia Negro"
Die junge Bologneser Kommissarin Grazia Negro hat es mit einem höchst
seltsamen Fall zu tun: Ein Mann wurde in seiner Wohnung mit einem
Plastikbeutel erstickt, die Leiche liegt in einer Wasserlache, in der
Kehle des Toten steckt ein Zierfisch. Da das Opfer aus Vigàta, der
Heimat Salvo Montalbanos, stammt, bittet Grazia ihren sizilianischen
Kollegen um Mithilfe. Und so beginnt ein spannender und amüsanter
Briefwechsel zwischen Italiens wohl berühmtesten Kommissaren.
Montalbano hat eine hoch attraktive Blondine mit
Auftragsmördervergangenheit im Visier. Hat sie etwas mit dem Mord zu
tun? Als die Ermittler schließlich bei einer Ausstellung exotischer
Fische in Milano Marittima erstmals persönlich aufeinandertreffen,
wird ihnen klar, dass der Mörder bereit ist, weiter zu töten - und sie
selbst stehen ganz oben auf seiner Todesliste. (Kindler)
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