Roberto Bolaño: "Die Nöte des wahren Polizisten"


Unvollendeter Roman aus dem Nachlass

Für einen eingefleischten Roberto Bolaño-Leser gibt es wohl kaum eine größere Freude als die Neuigkeit über einen weiteren literarischen Fund im Nachlass des großen chilenischen Autors.

Offensichtlich hat Roberto Bolaño zwanzig Jahre an diesem in fünf Teile gegliederten und leider Fragment gebliebenen Roman gearbeitet, der nun als vermutlich letzter aus seiner Feder das Licht der Welt erblickt. So scheinen einige Ideen andernorts bereits teilweise vollständigere Verarbeitung oder rasantere Entwicklung gefunden zu haben. Nichtsdestotrotz zeigen die fünf Teile, welch schiere Begabung dem chilenischen Autor eigen war.

Trotz seiner fragmentarischen Natur hat der Text doch eine sehr vollständige Aura. Man meint fast, die Form dieses Romans sei bewusst von Bolaño so gewählt worden, dass sich der Leser die Verbindungen zwischen den fünf Teilen selbst sucht und findet, bzw. dort die Suche beendet, wo die Verbindung entweder nicht gefunden werden kann und sich mit dem Nebeneinander von selbstständigen Geschehnissen abfindet.

Der Literaturprofessor Amalfitano verliert wegen einer Affäre seine Professur an der Universität Barcelona. Das einzige Stellenangebot, das er daraufhin erhält, führt ihn nach Mexiko. In die im Norden gelegene Stadt Santa Teresa, die als Universitätsstadt zwar unwichtig, dafür aber wegen einer Serie von Frauenmorden berüchtigt ist. Zusammen mit seiner Tochter beginnt der verwitwete Professor Amalfitano ein neues Leben. Mit seinem an Aids erkrankten Ex-Liebhaber und Exstudenten Padilla in Barcelona hält er Briefkontakt und findet sich im skurrilen Kunstfälscher Castillo einen neuen Liebhaber in Santa Teresa. Briefe bestimmen auch das Leben der Tochter Rosa, die mit ihrem Verflossenen ebenfalls so den  Kontakt sucht. Der neu in Santa Teresa angekommene Gelehrte weckt allerdings rasch bei der örtlichen Polizei Verdacht und wird unter Beobachtung gesetzt. Mit einer gehörigen Portion Ironie zeichnet der Autor die städtische Polizei, die, in diverse dubiose kriminelle Geschäfte verwickelt, alles Andere als sauber ist.

Wie bereits im beeindruckenden Roman "Die Naziliteratur in Amerika" beschäftigt sich Roberto Bolaño auch hier mit der fast enzyklopädisch genauen Auflistung des imaginären Romanschaffens eines natürlich ebenso imaginären Autors. J. M. G. Arcimboldi ist der Autor, dessen Schaffen vom in Ungnade gefallenen Professor beleuchtet wird. Arcimboldi, der in etwas veränderter Form, (dort hat ihn Roberto Bolaño J. M. G. Archimboldi genannt), bereits großer unbekannter Protagonist im "opus magnum" des chilenischen Autors "2666" war. Und während hier bemerkt wird, dass des (imaginären) Autors Geschichten, "ungeachtet ihres jeweiligen Stils", doch immer Kriminalgeschichten wären, deren Auflösung nur durch die Flucht, durch eingebildetes oder wirkliches Blutvergießen und durch daran anschließende Fluchten möglich wäre, so "als würden Arcimboldis Figuren am Ende des Buches im wahrsten Sinne von der letzten Seite springen und weiterfliehen", stehen diese Worte doch wohl in erster Linie in selbstreflexiver Weise für das Schaffen des viel zu früh verstorbenen großen Chilenen.

Interessant auch der Abschnitt, in dem Bolaño detailliert und ebenso fast archivarisch die Fäden einer der Nebengeschichten zusammenführt. Die der Herkunft und des Aufstiegs des den Professor beschattenden Detektivs.

Gewalt, sexuelle Detailliertheit, Zynismus und eine den Außenseitern gewidmete Zuneigung bestimmen diesen Text, der, auch wenn er unvollständig geblieben ist, ein besonders erfreuliches Leseerlebnis ist, weil, wie bei Roberto Bolaño eigentlich immer, unter dieser Schicht der Aggression und sexuellen Ausschweifungen eine wundersam zarte, feine und humoristische Seite entdeckt werden kann.

Absolute Empfehlung.

(Roland Freisitzer; 04/2013)


Roberto Bolaño: "Die Nöte des wahren Polizisten"
(Originaltitel "Los sinsabores del verdadero policía")
Übersetzt aus dem Spanischen von Christian Hansen.
Carl Hanser Verlag, 2013. 270 Seiten.
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Ein weiteres Buch des Autors:

"Mörderische Huren"

Melancholische Pornostars, durchgedrehte Dichter, mystische Zahnärzte und Fußballer mit einem Hang zum Übersinnlichen - Roberto Bolaño, der große Erzähler aus Chile, bleibt unnachahmlich. In dreizehn unwiderstehlich komischen, abgründigen Erzählungen zeichnet er die Lebenslinien von Menschen nach, die auf der Flucht sind: vor Armut und Gewalt, vor allem aber vor sich selbst. Es sind dreizehn Treffer ins finstere Herz der Gegenwart. Wo auch immer Bolaños Figuren landen auf der Welt, sie tragen die Zeichen ihrer Verstörung mit sich. Doch ohne die Verstörung wäre nichts Menschliches, denn "die Welt ist lebendig und nichts Lebendiges hat eine Lösung und das ist unser Glück." (Hanser)
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