António Lobo Antunes: "Der Archipel der Schlaflosigkeit"


Eine verstörend beeindruckende Variation des "Antunes-Abgesangs"

António Lobo Antunes hat seinen einundzwanzigsten Roman "Der Archipel der Schlaflosigkeit" zeitgleich mit seinem autobiografischen Roman "An den Flüssen, die strömen" konzipiert und geschrieben. Eine Zeitspanne, die mit der Krebserkrankung und einem Krankenhausaufenthalt 2007 zusammenfällt.

Mit zunehmender Kenntnis der Romane des großen portugiesischen Autors kommt man nicht an der Wahrnehmung vorbei, dass António Lobo Antunes die vor mittlerweile einundzwanzig Romanen begonnene Idee konsequent weiterspinnt, konsequenter vielleicht als irgendein anderer dem Rezensenten bekannter Autor. Fast möchte man meinen, dass die endgültige Zusammenfassung der Romane des Autors ein Gesamtroman sein wird, ein "Opus Magnum" der Superlative, ein alles umfassender Text über Portugal, die Zeit der Diktatur, Angola und die Identität der Portugiesen. Jeder neue Text eine Erforschung einer weiteren Verästelung, das Erforschen einer weiteren Abzweigung, um am Ende doch geradlinig am gleichen Weg zu bleiben. Da der Autor in einem Interview 2008 erklärt hat, dass ihm der Literaturbetrieb und das Schreiben bereits zu mühsam sind, ist zu befürchten, dass "Der Archipel der Schlaflosigkeit" möglicherweise der letzte Teil des großen literarischen Mosaiks des Autors ist.

Trafaria, an der Mündung des Tejo, ein Landgut, direkt gegenüber am anderen Ufer Lissabon. Pendeluhren und Truhen, Schränke und Familienfotos, Vögel und andere Tiere; konsequent bedient sich António Lobo Antunes seiner persönlichen Farbpalette und lässt diesen Roman trotzdem zu einem berauschenden Erlebnis werden.

Was vorerst nach einer Idylle klingt, entpuppt sich als das absolute Gegenteil. Das Landgut, altmodisch und weltfremd, wird von der Familie bewirtschaftet, geht aber an den durch die Plünderung von Rebellen und Landarbeitern während der Nelkenrevolution zugefügten Wunden zugrunde, während die Nachkommen unfähig sind, sich der neuen Zeit anzupassen. Auf diesem Landgut herrscht der Patriarch und Familientyrann, der seine Familie unterdrückt, seine Frau betrügt und schlechter als einen Hund behandelt, der seine Bediensteten knechtet und die Dienstmagd vergewaltigt. Alles in allem, übertragen betrachtet, könnte man im Untergang des patriarchalischen Landguts den Untergang des autoritären Staates und in der Figur des Großgrundbesitzers ohne moralische Skrupel und Ethik eine literarische Abwandlung des diktatorischen Regimes sehen. Wenn diese Schilderung auch sehr nach einem typischen Themenkomplex des Autors klingt, so ist ihm hier dennoch ein Roman gelungen, der sich von den großartigen Vorgängern in mehreren Punkten unterscheidet.

Auffallend ist, dass António Lobo Antunes bei der Gestaltung seiner Erzählstruktur die Weichen auf eine dem Leser entgegenkommende Auflockerung der Vielstimmigkeit gestellt hat. Das wirkt sich äußerst positiv auf das Erfassen und das Zuordnen der Ereignisse und der Handlung zu den jeweiligen Protagonisten aus. Der dadurch entstandene Lesefluss stellt die Poetik der Prosa des Portugiesen noch mehr in den Vordergrund, als das bisher der Fall war, dadurch erreicht er auch eine viel höhere Ebene der Sensualität.

Zusätzlich ist der Text durch ein durchgehendes Wechseln zwischen Tagträumen, Fantasien und der fiktiv-reellen Handlung bereichert, eine komplette Aufweichung der Grenzen zwischen den Ebenen, was so weit geht, dass man sich immer wieder in diesem vom Autor bewusst verwirrten Komplott zu verlieren meint.

Das Personal des Romans reicht vom despotischen Großgrundbesitzer, der auch der Großvater ist, bis zum debilen und rückgratlosen Sohn, dem ebensolchen Enkelsohn, bis hin zu den unfassbar eigenartigen Frauenfiguren, die, und das klärt der Autor nie ganz auf, möglicherweise nur eine Fantasie der männlichen Protagonisten, oder gar des Lesers, sind; ebenso wie die im Raum stehende Frage, wer die jeweiligen Väter der verschiedenen jüngeren Generationen sind ...

Ein großartiger Roman, der hoffentlich, entgegen der Behauptung des Autors, doch nicht sein letzter sein wird.
Absolute Empfehlung.

(Roland Freisitzer; 01/2013)


António Lobo Antunes: "Der Archipel der Schlaflosigkeit"
(Originaltitel "O Arquipélago da Insónia")
Aus dem Portugiesischen von Maralde Meyer-Minnemann.
Luchterhand Literaturverlag, 2012. 317 Seiten.
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