Simone Regina Adams: "Die Halbruhigen"


Von großen und kleinen Veränderungen
Die Geschichte einer Anstalt


Deutschland Ende der 1970er-Jahre: Eine Heil- und Irrenanstalt, liebevoll von Christian Neumann "die alte Dame" genannt, beherbergt nicht nur psychisch Kranke und geistig Behinderte, (also nicht nur "Gebildete Kranke", "Ruhige", "Halbruhige" und "Tobsüchtige"), sondern ist auch ein Teil von Familie Neumanns Leben. Die alte Dame beeinflusst die Menschen, hält die einen oder anderen gefangen und bedeutet für viele Heimat. Familie Neumann und die Bewohner der Anstalt finden sich in einer Zeit der Veränderungen wieder. Nicht jeder findet sich in den kleinen oder großen Veränderungen zurecht. Auch die alte Dame steht vor den Veränderungen der Zeit und wird nicht verschont.

Simone Regina Adams liefert nicht nur ein Bild von einer faszinierenden unbekannten Psychiatrie der 1970er-Jahre, sondern schildert mit unglaublicher Einfühlsamkeit die Geschichten vieler unterschiedlicher Menschen. In einem Buch, das die Rezensentin als Kind geschenkt bekommen hat, schrieb jemand: "Lesen ist wie Fernsehen im Kopf." Tatsächlich schafft es die Autorin, ein vielfältiges, dicht gewebtes Bild eines Zeitabschnitts zu erschaffen, das klar und deutlich wie ein Film vor dem inneren Auge abläuft. Die Ausschnitte, die aus den verschiedensten Perspektiven geschildert werden, erlauben dem Leser, die Figuren und ihre Zeit zu verstehen, ihre Handlungen nachzuvollziehen und die Veränderungen zu erahnen. Es entsteht der Eindruck, dass hier einzig und allein die Geschichte der alten Dame erzählt wird, die schützend ihre Hand über alle Bewohner, wie es auch die "Halbruhigen" sind, hält.

Die Autorin berichtet dem Leser von einer schwierigen Zeit der Psychiatrie, die nach Reformen und Veränderungen ruft. Sie erzählt aber auch die Geschichte des Chefarztes und seiner Familie, die den Veränderungen teilweise schweren Herzens entgegentreten. In einem dichten Netz verstrickt, gehören sie zusammen - die Neumanns und die Anstalt und die Veränderungen.

Wortgewandt und bildhaft erzählt Simone Regina Adams die Geschichte der alten Dame, von den Halbruhigen Jakob, Bertha und Siggi und vom Leben der Familie Neumann. Absolut empfehlenswert.

(Sabrina Brugner; 05/2013)


Simone Regina Adams: "Die Halbruhigen"
Aufbau Verlag, 2013. 271 Seiten.
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Simone Regina Adams, geboren 1967 im Saarland nahe der deutsch-französischen Grenze, lebt in Freiburg im Breisgau. Nach fünfzehnjähriger Praxis als Psychotherapeutin entschied sie sich, hauptberuflich als Autorin zu arbeiten und Literaturwissenschaft zu studieren. Für den Roman "Die Halbruhigen" erhielt sie im Jahr 2011 den "Werner-Bräunig-Preis". In der Begründung der Jury heißt es, dass es sich um einen "sehr dicht gewebten Text aus der Endphase der siebziger Jahre handelt, der uns die fremde Welt der Psychiatrie auf beeindruckende, bildhafte Weise nahebringt".