Masako Togawa: "Trübe Wasser in Tokio"
Der
junge Psychiater Dr. Uemura hat in Gestalt des Studenten und
Versandhausboten Aiko Tanno einen Patienten mit einer sehr seltsamen
Wahrnehmungsstörung: Er glaubt nämlich, einer
älteren Frau nachgestellt zu haben, um sie
schließlich mit einer "langen Waffe" zu töten.
Zu diesem Thema hat er dem Mann der Betreffenden anscheinend einen
Brief geschrieben, in dem er seine Tat gesteht. Er kann sich nur nicht
mehr an das Verfassen dieses Briefs erinnern. Um alle Unklarheiten zu
beseitigen, beschließt Dr. Uemura, die Wohnung der
Getöteten aufzusuchen und nach dem Rechten zu sehen.
Dort findet er eine attraktive und sexuell auch ziemlich aggressive
Frau, die auf jeden Fall einen überaus lebendigen Eindruck auf
ihn macht die Aussagen Aikos für den fraglichen Tag
überhaupt nicht bestätigen kann.
Wieder im Krankenhaus angekommen, bemerkt der Psychiater, dass der ihm
von der Polizei anvertraute Patient entwischt ist, wobei er die
Aufsicht führende Krankenschwester mit sehr offensichtlichem
Masturbieren aus dem Raum getrieben hatte. Diese wendet sich in ihrer
Verwirrtheit ähnlich gierig dem guten Doktor zu, wie zuvor die
vermeintlich Ermordete.
In dieser Tonart geht es fröhlich weiter: Jede, aber auch
wirklich jede, Frau, welcher der Doktor im Rahmen seiner Ermittlungen
begegnet, versucht, ihn ins Bett zu bekommen - und zumindest zu Beginn
bleiben sie alle erfolglos. Es scheint, als wäre der Doktor
der einzige Mensch in diesem fiktionalen Tokio, der nicht
ständig versucht, Geschlechtsverkehr zu haben; er denkt jedoch
häufig darüber nach. Ein wenig erinnert das an den
männlichen Hauptprotagonisten in Schnitzlers "Traumnovelle",
abgesehen
davon, dass der Psychiater im letzten Drittel des Romans
tatsächlich auf die Avancen der Damen, die allesamt ein
wahrlich gestörtes Verhältnis zu Beziehungen sowie zu
Sexualität zu haben scheinen, eingeht. Da kann man schon
verstehen, dass Aiko Tanno selbst sexuell ziemlich verwirrt reagiert.
Im Endeffekt hat die ganze Sache dann mit - wer errät es?
Richtig: Sex! - zu tun. Und dafür werden mehr oder weniger
gekonnt Bezüge zum
Freud-Schüler
Adler
eingeflochten.
Die starke Konzentration auf das Motiv der Sexualität und die
wirre Handlungsführung werden, wenn man so will, dadurch
ausgeglichen, dass dieses Stück Trivialliteratur
verhältnismäßig kurz und somit schnell
gelesen ist.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 07/2012)
Masako
Togawa: "Trübe Wasser in Tokio"
(Originaltitel "Fukai Shissoku")
Aus dem Englischen von Bettina Thienhaus.
Unionsverlag, 2012. 153 Seiten.
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Einige Buchtipps:
Ogai
Mori: "Die Wildgans"
Otama ist ein anmutiges, intelligentes Mädchen mit
kühnen Träumen. Das Leben als Nebenfrau eines
Wucherers in einer Seitenstraße von Tokio gehört
nicht zu diesen Traumvorstellungen. Eher schon der attraktive
Medizinstudent Okada, der jeden Tag an ihrer Tür
vorbeispaziert und mit seinen Blicken ihre Sehnsucht weckt. In aller
Stille plant Otama ein Zusammentreffen mit dem sympathischen
Unbekannten, doch das Schicksal durchkreuzt ihre Pläne.
Mori Ogais atmosphärisch dichter Roman ist das wichtigste Werk
des japanischen Großklassikers. Er erzählt von
geheimen und enttäuschten Liebeswünschen, von
Freundschaft und der Macht alltäglicher Lebenszwänge.
In seiner Modernität besticht das raffiniert aufgebaute Werk
nicht nur die Freunde japanischer Kultur. (Manesse)
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Aleksandr
Sokurov: "Die japanische Reise"
Aleksandr Sokurov, einer der bedeutendsten Autorenfilmer der Gegenwart,
entwickelt in seinen Texten eine völlig eigenständige
Art zu schreiben. Er umkreist, beleuchtet und durchdringt mit Worten,
was er beim Filmen mit der Kamera einfängt. "Wortfilm"
wäre vielleicht der richtige Ausdruck für Sokurovs
Texte. Wort- und Satzsequenzen speisen sich aus Träumen und
Erinnerungen, der Erzähler fliegt, oder es fliegen die Bilder,
die er notiert.
"Die japanische Reise" veröffentlicht erstmals in deutscher
Sprache ausgewählte Impressionen, Erinnerungen und Reflexionen
aus den Japanreisen des russischen Filmemachers, der 2011 von der
japanischen Kaiserfamilie mit dem "Orden der aufgehenden Sonne mit
goldenen Strahlen" ausgezeichnet wurde.
Im Spätsommer 1990 reiste Aleksandr Sokurov von Sankt
Petersburg über Helsinki und Tokio auf die kleine japanische
Insel Amami shima, um dort mit der Witwe des Schriftstellers Toshio
Shimao, der sein Leben als Kamikaze beendete, einen Film zu drehen.
Über die Insel, einen drohenden Taifun, die Witwe Mihosan und
die Entstehung seines Films berichtet er in "Japanische
Tagebücher".
"Elegie der Reise" greift eine Gattung auf, die Sokurov in zahlreichen
Filmen verwendet. "Es begann mit einem Baum, einem
herbstlichen Baum - der keine Blätter mehr hatte, aber kleine
gelbe Früchte für die Vögel im Winter. Und
schon schneite es& ..."
"Östliche Elegie" fängt die Bilder und auch die
Düfte eines japanischen Storchs, Sokurovs Lieblingsvogel, ein,
einmal spricht der Mensch, dann wieder der Storch.
"Die Briefe von Zuhause" sind an Sokurovs Vertraute in
Japan gerichtet
und erzählen u.A. von einer alten Frau, die einen Kimono
näht und von Bettelmönchen Besuch bekommt. Aus allen
Texten spricht die Faszination, die Japan auf Sokurov ausübt.
Als Sohn eines Berufsoffiziers, der in diversen russischen und
innerasiatischen Gegenden der Sowjetunion aufgewachsen ist, gewinnt er
für sich die überraschende Erkenntnis, Japan sei
nicht asiatisch. (Schirmer/Mosel)
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Yoko
Ogawa: "Das Geheimnis der Eulerschen Formel"
Eine Frau wird als Haushälterin für einen
verschrobenen Professor eingestellt, der jeden Tag aufs Neue vergisst,
wer er ist. In ihrer zarten, eindringlichen Sprache erzählt
Yoko Ogawa eine berührende Geschichte über
Freundschaft und Verlust - und über die Schönheit der
Mathematik.
(Liebeskind)
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João
Paulo Cuenca: "Das einzig glückliche Ende einer
Liebesgeschichte ist ein Unfall"
Shunsuke, junger Angestellter einer untergehenden multinationalen Firma
in Tokio, hat zahlreiche belanglose Affären, bis er sich in
einem Nachtclub Hals über Kopf in die
polnisch-rumänische Kellnerin Iulana verliebt. Doch
für Iulana ist alles nur ein Spiel, denn sie ist entflammt
für die schöne Tänzerin Kazumi.
Sie alle werden von einem alten Dichter
beobachtet, der jeden ihrer
Schritte durch heimliche Aufnahmen überwacht: Es ist Shunsukes
eigener Vater Atsuo Okuda. Mit seinem privaten Spionagenetz, U-Boot
genannt, scheint es Herr Okuda besonders auf das Glück seines
Sohnes abgesehen zu haben, während er seiner neuen
Gefährtin Yoshiko, einer ultrarealistischen, nach seinen
genauen Anweisungen gefertigten, sprechenden Gummipuppe Gedichte
vorliest. Sein perfider Kontrollwahn steigert sich zu einem
plötzlichen und äußerst
gefährlichen Interesse für Iulana. Shunsuke sieht
seine Hoffnung auf Liebe durch die dunklen Schatten seines Vaters
bedroht. Doch wen sollen Atsuos teuflische Obsessionen
tatsächlich treffen?
João Paulo Cuencas dritter Roman ist eine moderne
Liebesgeschichte,
in der er mit wechselnden Erzählern
meisterhafte futuristische Szenerien entstehen lässt:
lebendige Figuren im zersplitterten Leben einer Megalopolis, in der
allgegenwärtiger Voyeurismus und menschliche Perversion zu
Gegenspielern jeglichen Gefühls werden. Verstört und
gebannt stellt sich der Leser die Frage, ob die wahren Opfer von
Unfällen nicht oft die Überlebenden sind. (A 1)
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