Klaus Seibel: "Zehntausend Augen"


Ellen Faber hat sich trotz ihrer eher zierlichen Figur und geringen Größe zu einer führenden Position bei den SEKs im LKA hochgearbeitet, indem sie ein geregeltes Privatleben weitestgehend hintangestellt hat. Nun ist die immer noch ehrgeizige Kriminalhauptkommissarin auf einem wichtigen Zwischenziel ihres Lebens angelangt und verfolgt das Weitere mit einem gewissen Tunnelblick.
Da holt sie eine explodierende Litfasssäule auf dem Weg zur Arbeit von ihrem Fahrrad, und in einem am Schauplatz der Explosion deponierten Paket befinden sich neben vier Web-Kameras und Kabeln auch eine CD mit einem speziellen Internetprogramm sowie ein Brief an Ellen selbst. Die Kameras sollen nach genauen Vorgaben im Ermittlungsraum des LKA angebracht und angeschlossen werden und sodann mit Hilfe der aufgespielten Programme eine offene Verbindung ins Internet ermöglichen. So wird der Ermittlungsraum zum unfreiwilligen Überwachungsbereich, und die Mitglieder des Ermittlungsteams entwickeln sich zu unwilligen Internet- und später auch Fernsehberühmtheiten.

Als zunächst die Kameras nicht aufgehängt sind, explodiert in einem nahe gelegenen Parkhaus eine Bombe - glücklicherweise, ohne dass dabei Menschen zu Schaden kommen. Beim nächsten Mal, als die Kameras eingeschaltet sind, befindet sich eine Bombe unterhalb eines Busses, und die Polizei hat 300 Sekunden Zeit, den Bus zu stoppen und zu evakuieren. Es sei denn, Ellen kauft mehr Zeit. Doch das zwingt sie, der Öffentlichkeit mehr und mehr von sich selbst zu offenbaren.

Während sie so ungewollt zur Medienbekanntheit avanciert, hetzt das Spiel die Ermittler und ihre Helferinnen und Helfer durch die ganze Stadt, angetrieben durch die Vorgesetzten, die Zuschauer und den Erpresser gleichermaßen. Was das eigentliche Ziel des Spiels sein soll, wird allerdings nicht klar.
Zur selben Zeit beginnt sich an anderer Stelle Ellens privates und professionelles Leben zunehmend in Wohlgefallen aufzulösen, ohne dass sie etwas dagegen tun kann ...

Immer noch gibt es Menschen, die glauben, dass das Internet ein anonymer und geschützter Raum ist, in dem ihnen mit einem netten Pseudonym nicht sonderlich viel passieren kann. Ellen und ihre Kolleginnen und Kollegen lernen in diesem Krimi, dass dem überhaupt nicht so ist und dass die Sünden unserer Vergangenheit - besonders solche, die ein Anderer ohne unser Wissen ins Netz gestellt hat - uns immer wieder einholen können. Und, wie es so schön heißt "bevor die Wahrheit die Schuhe angezogen hat, ist die Lüge schon dreimal um die Welt gerannt." Das trifft im Zeitalter des weltweiten Netzes mehr als je zuvor zu.

Diesen Umstand macht der erste gedruckte Roman von Klaus Seibel, der bereits einige "e-Buch"-Preise gewonnen hat, nur allzu deutlich - und auch die Gier, mit der heute nach Skandalen wie auch Sensationen gejagt wird in einer Zeit, wo auf entsprechenden Plattformen im Netz selbst die sonderbarsten Aufnahmen einige Millionen Zugriffe aufweisen können.
"Zehntausend Augen" ist ein spannender und absolut aktueller Kriminalroman, der sozusagen nach einer Fortsetzung schreit.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 03/2012)


Klaus Seibel: "Zehntausend Augen"
Emons, 2012. 271 Seiten.
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Klaus Seibel, geboren 1959, studierte Theologie, arbeitete als Pastor, bildete sich in Betriebswirtschaft weiter und leitet den Vertrieb einer Programmerstellungsfirma. Er erhielt den ersten Preis im Krimiwettbewerb der "Frankfurter Neuen Presse" und belegte Platz eins in "Amazon-eBook, Kategorie: deutscher Krimi".

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