Jean-Jacques Schuhl: "Auftritt der Geister"
Ein
Zusammentreffen von Literatur, bildender Kunst und der Welt des Films
Der 1941 in Marseille geborene französische Schriftsteller
Jean-Jacques Schuhl ist ein bisher im deutschsprachigen Raum mehr oder
weniger unbeschriebenes Blatt. Seine bisher einzige und mittlerweile
auch vergriffene Veröffentlichung in deutscher Sprache ist
sein mit dem "Prix Goncourt" ausgezeichneter Roman "Ingrid Caven", der
sich, Jean-Jacques Schuhl ist mit der deutschen Schauspielerin Ingrid
Caven verheiratet, offensichtlich der Gattin des Autors widmet.
Ein Schriftsteller versucht, einen Roman zu schreiben. In diesem Roman
steht ein ungreifbares Mannequin im Mittelpunkt, ebenso wie ein
Kardinal und der eigentlich nicht mehr zurechnungsfähige
Ex-Freund des beliebten Fotomodells.
Der fiktive Schriftsteller kommt mit seinem Roman (im Roman) aber nicht
weiter und verstrickt sich immer heftiger in Widersprüchen,
Ungereimtheiten und vermeintlich sinnlosen Verknüpfungen von
Ideen, bis er bemerkt, dass die von ihm erfundenen Gestalten und
Handlungen offenbar in sein wirkliches Leben eingreifen bzw. dabei
sind, das zu tun. Was hier alles auf den
verhältnismäßig wenigen Seiten vorkommt,
das ist eigentlich schon fast auf gewisse Art und Weise berauschend.
Ist der sich in Andeutungen erschöpfende Beginn noch im Stil
einer Art "aventure noire" gehalten, geht es bald um eine dubiose
Einladung, einen noch geheimnisvolleren Klub.
Fast jeder Versuch, eine Erzählung wirklich in Gang zu
bringen, endet in einer wahren Orgie der Beschreibungswut, die nicht
ganz zum knappen Umfang dieses Romans passt, der sich doch
anstrengender liest, als man anfänglich annimmt.
"Die gewellte Form der dünnen Sohle kontrastierte mit
der Strenge des hohen Absatzes. Es war eine Form, die den Fuß
sorgsam einhüllt und ihn zugleich verdreht und aufrichtet, der
Schuh schwebte in der Luft, in der leeren Transparenz der Glasvitrine.
Am Boden der Vitrine lag ausgerollt ein feines Lederstück,
Chevreauleder, und daneben, beinahe vergessen, ein Blatt knittriges
Papier, aus einem Bestellungsheft ausgerissen ..."
Die Einnahme von Drogen, Gespräche über vermeintlich
geplanten Organhandel, ein immer wieder penetrant läutendes
Mobiltelefon, Weihnachtskugeln und die ehemalige Nummer 9 Brasiliens,
"Sócrates", wechseln sich in weiterer Folge in diesem
wahnhaften Romanversuch ab, bis sich der doch immer wieder Fahrt
aufnehmende Impetus dieses ersten Teils im spannendsten
Moment erschöpft.
Im zweiten Teil begegnet der Autor des Romans des ersten Teils eines
Abends einem bekannten Filmemacher, der ihm für eine
Neuverfilmung eines Horrorstreifens aus den 1920er-Jahren, "Orlacs
Hände", die Rolle des Chirurgen anbietet, der einem Pianisten,
der seine Hände nicht mehr verwenden kann, die Hände
eines Mörders annähen soll.
Während in diesem zweiten Teil, der die Verwirrung
weitertreibt, weil darin alle Ebenen der Wahrnehmung endgültig
verschwimmen, immer wieder großartige Passagen auftauchen,
die stilistisch überzeugend und erzählerisch ganz
fein sind, schweift das Passierende immer wieder ab, was den
Erzählfluss doch sehr stört.
Nun spricht ja nichts dagegen, den Erzählfluss immer wieder
vehement zu stören, wenn dieser Aspekt der formalen Struktur
des Texts erkennbare Gründe hat und einen dem Leser
verständlichen Sinn ergibt. Leider ist das in diesem kurzen
Roman von Jean-Jacques Schuhl nicht der Fall.
Dazu kommt eine Verschmelzung mit der Filmwelt, die durch konstantes
Suhlen in bekannter Gesellschaft, oder mit Namenserwähnungen
dargestellt wird. Von Isabelle
Huppert, Malcolm Lowry, John Malkovich,
William Dafoe,
Gabriel
García
Márquez, Ingrid Caven bis
Marlene Dietrich geht das bunte Treiben, das sich oft wie eine
Anekdotensammlung eines mittlerweile alten Schauspielers liest, der
seine Gäste auf einem Stehempfang mit Ereignissen aus der
Vergangenheit unterhält: Damals, mit Marlene Dietrich ... oder
als wir damals mit John (Malkovitch) und Jim
(Jarmusch) den Strand von
St. Tropez unsicher gemacht haben ... Bald mischen sich die fiktiven
Figuren des Autors des erstens Teils in die Geschichte ein und erheben
Anspruch auf Realität.
So treibt die Erzählung rasch dem Ende zu, was man zufrieden
zu Kenntnis nimmt, auch wenn man unbefriedigt akzeptieren muss, dass
einem vieles unklar geblieben ist.
Die Übersetzung von Christiane Landgrebe ist, wie immer,
ausgezeichnet und stilistisch perfekt.
So ergibt sich am Ende eine etwas durchwachsene Lektüre, die
von wirklich starken Passagen und schwachen Episoden geprägt
ist, eine Lektüre, die man viel lieber loben als
rügen würde, und ein Roman, der
möglicherweise von einer zweiten Lesung stark profitieren
würde ...
(Roland Freisitzer; 10/2012)
Jean-Jacques
Schuhl: "Auftritt der
Geister"
(Originaltitel "Entrée des fantômes")
Aus dem Französischen von Christiane Landgrebe.
Suhrkamp, 2012. 149 Seiten.
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