Arthur Schnitzler: "Die großen Erzählungen"
Vier
Glanzstücke deutschsprachiger Novellistik
"Schnitzlers vier berühmteste Novellen - 'Lieutenant
Gustl', 'Fräulein Else', 'Traumnovelle' und 'Spiel im
Morgengrauen' - markieren Höhepunkte der deutschsprachigen
Literatur zu Beginn des 20. Jahrhunderts: realistisch, spannend und
zeitlos." So steht es im Verlagstext auf der
Rückseite dieser Taschenbuchausgabe, und damit wäre
das Wichtigste und Entscheidende auch bereits gesagt: realistisch,
spannend und zeitlos sind Arthur Schnitzlers Novellen ganz
unbestritten, und wer sie noch nicht kennen sollte, dem bietet diese
preiswerte Taschenbuchausgabe Gelegenheit, das Versäumte
nachzuholen.
Dem Lieutenant Gustl (das Wort Lieutenant wurde erst um 1900 in
Leutnant umgewandelt) obliegt es, den Reigen der Geschichten zu
eröffnen. Und der Erfolg dieser Novelle war mit
ausschlaggebend für den späteren Ruhm Arthur
Schnitzlers, nicht zuletzt wegen des nachfolgenden Skandals, den diese
Erzählung nach ihrem erstmaligen Erscheinen (Dezember 1900 in
der "Neuen Freien Presse") ausgelöst hat. Schnitzler, der beim
Militär den Rang eines k. u. k. Oberarztes bekleidete, wurde
daraufhin sogar die Offizierswürde aberkannt, und die
Obrigkeit degradierte ihn zum gemeinen Sanitätssoldaten. Denn
Schnitzlers Erzählung vom Leutnant Gustl nimmt die
Missstände beim damaligen österreichischen
Militär ins Visier, die Langeweile und Eintönigkeit
des Dienstes in Friedenszeiten, die in der Regel kompensiert werden
mussten durch Duelle, Glücksspiel oder sexuelle
Ausschweifungen. "Lieutenant Gustl" besteht fast vollständig
aus einem inneren Monolog des Helden, eine Pionierleistung in der deutschsprachigen
Literatur, doch auf diese monologisierende Weise
erhält der Leser einen tiefen Einblick in Leutnant Gustls
Innenleben. Fetzenhaft jagt dabei ein Gedanke den anderen. Gustls
Gedankengänge zerbröseln oft in erratische Klumpen,
denen jedoch ein hoher psychologischer Aussagewert zu eigen ist.
Auch bei "Fräulein Else" wird die Handlung von einem inneren
Monolog diktiert, diesmal allerdings aus der Perspektive einer Frau
gesehen, trotzdem Elses Monolog vom Autor nicht weniger
überzeugend gestaltet wurde als der des Leutnant Gustl, denn
auch auf dem Terrain der weiblichen Psyche bewegt sich Arthur
Schnitzler mit erstaunlicher Trittsicherheit. Die Herausforderung bei
"Fräulein Else" war zudem für den Autor eine ungleich
größere als bei "Lieutenant Gustl", nicht nur wegen
der weiblichen Sichtweise, sondern auch, weil das Fräulein
Else dem Leutnant Gustl intellektuell weit voraus ist, vor allem aber
wegen des unvorhergesehenen Endes. Der innere Monolog Elses endet
nämlich mit dem Tod der aus der Ich-Perspektive berichtenden
Protagonistin, eine scheinbar unlösbare Aufgabe, die von
Schnitzler jedoch bravourös gemeistert wurde.
Das sowohl bei "Fräulein Else" als auch bei "Lieutenant
Gustl" anklingende Todesmotiv kann allgemein als ein
Leitmotiv aller vier Geschichten angesehen werden, das Scheitern und
der Tod sind immer präsent in diesen vier
Meistererzählungen. Ein Hauch von Optimismus geht immerhin von
der "Traumnovelle" aus, eine der bekanntesten Novellen Arthur
Schnitzlers. Die Dialektik von Bewusstem und dem aus tieferen Schichten
wirkenden Unbewussten spielt hier die tragende Rolle. In "Spiel im
Morgengrauen" tritt wieder ein junger Leutnant als Hauptprotagonist
auf. Mit dem "Spiel im Morgengrauen" erhält der Leser eine
interessante, nachdenkenswerte und ungemein spannende Studie zur
Psychologie des Spielers.
Mit einem ausführlichen, interpretierenden und die
historischen Hintergründe erhellenden Nachwort von Elsbeth
Dangel-Pelloquin, das wirklich nichts zu wünschen
übrig lässt, sowie einer tabellarischen
Übersicht über Leben und Werk des Autors wird dieser
durchweg überzeugende Erzählband perfekt abgerundet.
(Werner Fletcher; 05/2012)
Arthur
Schnitzler: "Die großen Erzählungen"
Mit einem Nachwort von Elsbeth Dangel-Pelloquin.
dtv, 2012. 360 Seiten.
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Digitalbuchausgabe:
dtv, 2012.
Digitalbuch
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Weitere Bücher des Autors (Auswahl):
"Träume. Das Traumtagebuch 1875-1931"
Herausgegeben von Peter Michael Braunwarth und Leo A. Lensing.
Arthur Schnitzlers gesammelte Traumnotate aus dem Nachlass.
Dass der Dichter von "Fräulein Else", "Traumnovelle"
und anderen Meisterwerken, in denen die Figuren kunst- und sinnvoll
träumen, auch selbst ein reges Traumleben führte,
fällt bei der Lektüre seines großen
Tagebuchwerks sofort auf: Arthur Schnitzlers Aufzeichnungen der
eigenen
Träume gehören zu den erzählerisch
reizvollsten Eintragungen seines Diariums.
Schnitzler hat zwischen 1921 und 1931 seine Traumnotate exzerpiert,
stilistisch überarbeitet und drei substanzielle Traumtexte,
die nicht im Tagebuch stehen, hinzugefügt. Das Ergebnis ist
eine faszinierende Chronik seines Innenlebens, ein Werk, das zur
Konfrontation mit Freuds "Traumdeutung" herausfordert. Obwohl die
Traumtexte natürlich Schnitzlers ureigene Leiden und
Leidenschaften widerspiegeln, enthalten sie auch seltsame Szenarien,
in
denen berühmte Zeitgenossen auftreten: neben Freud
auch Herzl,
Klimt,
Hofmannsthal,
Mahler
und viele Andere. Schnitzlers "Träume" sind das tiefste
"Nachtbuch" der Epoche, sowohl eine "unbewusste" Autobiografie des
Autors als auch ein dunkles Spiegelbild seiner Zeit.
Dieses Typoskript aus dem Nachlass wird nun erstmals als Einheit
veröffentlicht und mit einem umfassenden Kommentar versehen.
(Wallstein)
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"Therese"
Die Geschichte der jungen Therese Fabiani begeisterte bereits bei
Erscheinen 1928 die Zeitgenossen. Erst kurz
vor seinem Tod verfasste
der Schriftsteller die "Chronik eines Frauenlebens", die zu seinen
reifsten und besten Werken zählt. (dtv)
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Weitere Buchtipps:
Peter Gay: "Das Zeitalter des Doktor Arthur Schnitzler.
Innenansichten
des 19. Jahrhunderts"
Das 19. Jahrhundert war ein Jahrhundert der Gegensätze,
zwischen der Welt von gestern und der Welt von heute: Revolution und
Reaktion, Wissenschaft und Aberglaube, freie Sexualität und
Prüderie. Anhand der Stationen in Schnitzlers Leben zeichnet
Peter Gay die Biografie dieser Epoche. Das Leben des Dr. Arthur
Schnitzlers ist exemplarisch für diese Zeit der
Umbrüche, denn nur wenige Autoren haben so penibel
über ihr Innenleben Buch geführt wie er. Zu Lebzeiten
publikumsscheu in privaten Dingen, vertraute Schnitzler seinen
Tagebüchern intimste Details seiner Seelenzustände
an. Das opulente und sinnliche Porträt einer vergangenen
Epoche, die unsere Gegenwart wesentlich mitgeprägt hat - das
Fin de siècle. (Fischer)
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Jutta Jacobi: "Die Schnitzlers" zur Rezension ...