Felix Salten: "Bambi"
Eine
Lebensgeschichte aus dem Walde
"Er kam mitten im Dickicht zu Welt, in einer jener kleinen,
verborgenen Stuben des Waldes, die scheinbar nach allen Seiten offen
stehen, die aber doch von allen Seiten umschirmt sind."
Der anno 1923 erstmals erschienene Roman des 1869 in
Budapest
als Siegmund Salzmann geborenen Autors über die Entwicklung
des Kitzes Bambi, das bei einer Treibjagd seine Mutter verliert und
zahlreiche Abenteuer erlebt, bevor es mit seiner Jugendfreundin eine
Familie gründet und selbst zum "Alten des Waldes" reift, meint
man vielleicht ohnedies mehr oder minder gut zu kennen.
Schließlich haben wir alle irgendwann einmal den kommerziell
höchst erfolgreichen, kitschigen Zeichentrickfilm aus dem Jahr
1942 gesehen, der allerdings mit der zu Unrecht kaum bekannten und
nicht selten unterschätzten Romanvorlage nicht mehr viele
Gemeinsamkeiten aufweist, denn im Film sind alle Tiere des Waldes nett
zueinander, nur die Menschen und ihre Hunde böse.
Übrigens erwarb der us-amerikanische Filmproduzent Walt Disney
seinerzeit die Rechte an "Bambi" für die lächerliche
Summe von eintausend Dollar.
Bambis Mutter versucht, zumindest am Anfang, die Zusammenhänge
zwischen Raubtieren und deren Beute von ihrem Sohn fernzuhalten, der
als einer der Prinzen des Waldes aufwächst, wie alle
Rehböcke und auch Hirsche, wobei das Verhältnis
zwischen Rehen und Hirschen hier ein eher problematisches ist, was mit
Kommunikationsschranken zu tun hat, die eines
Loriot
würdig wären. Und auch sonst sind die
Gespräche offensichtlich auf der Grundlage von sehr genauen
Beobachtungen in Saltens Wiener Nachbarschaft entstanden, denn bei all
ihrer Tierhaftigkeit sind die Waldbewohner doch sehr in diese Richtung
anthropomorphisiert.
Eigentlich müssen sich die Rehe und
Hirsche
im Wald keine Sorgen machen, denn es gibt dort anscheinend keine
Raubtiere, die ihnen nachstellen - außer Ihm.
Dem Menschen, hier in biblischer Tradition groß geschrieben.
Dieser verschafft Bambi und seinen Altersgenossen sehr verwirrende
Erfahrungen; aber in erster Linie tödliche. Doch mit Hilfe
eines alten Rehbocks, der zurückgezogen von den anderen Tieren
lebt, lernt Bambi den wirklichen Stellenwert der Menschen kennen.
Der Unionsverlag hat diesen bedauerlicherweise eher in Vergessenheit
geratenen Klassiker in einer schönen gebundenen Ausgabe neu
aufgelegt und mit einer informativen Kurzbiografie Felix Saltens
ergänzt, der in diesem Buch nicht nur seine Beobachtungen in
der direkten Nachbarschaft, sondern auch die damalige Wiener
Gesellschaft darstellt, die er aufgrund journalistischer
Hofberichterstattung recht gut kannte.
"Bambi" ist in der Originalversion ein ernsthafter Roman, der die
Grundfragen des (menschlichen) Lebens thematisiert, in dem es viele
lesenswerte Details zu entdecken gibt.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 08/2012)
Felix
Salten: "Bambi"
Unionsverlag, 2012. 191 Seiten.
Buch
bei amazon.de bestellen
Felix
Salten wurde am 6. September 1869 in Budapest geboren. Kurz nach seiner
Geburt übersiedelte die Familie nach Wien. Er arbeitete als
Journalist in Wien und Berlin und verfasste Prosa,
Theaterstücke, Operettenlibretti und Drehbücher.
Neben seinen erfolgreichen Tiergeschichten schrieb er
Gesellschaftsromane, Reportagen und Enthüllungsbücher
über das österreichische Kaiserhaus.
Zudem wird Felix Salten die von ihm stets abgestrittene Autorschaft des
anonym erschienenen Romans "Josefine Mutzenbacher oder Die Geschichte
einer Wienerischen Dirne, von ihr selbst erzählt"
zugeschrieben.
Felix Salten starb am 8. Oktober 1945 in Zürich.
Weitere Buchtipps:
Michael Gottstein: "Felix Salten (1869-1945). Ein Schriftsteller der
Wiener Moderne"
Felix Salten gehörte dem Dichterkreis des Jungen Wien an und
zählte als Journalist und Theaterkritiker zu den prominenten
Persönlichkeiten des Wiener Kulturlebens. Obwohl der
mutmaßlich von ihm verfasste Skandalroman "Josefine
Mutzenbacher" sowie sein "Bambi"-Roman weithin bekannt sind, ist sein
sonstiges literarisches Schaffen in Vergessenheit geraten. Diese Arbeit
versucht, den Entwicklungsgang Felix Saltens vom Avantgardisten des
Jungen Wien zum routinierten Verfasser von Tiergeschichten
nachzuzeichnen. Zwischen 1890 und 1900 orientierte sich Salten stark am
Ästhetizismus sowie der Literatur der Décadence und
entwickelte literarische Techniken zur Subjektivierung des
Erzählens. Nach der Jahrhundertwende nahm er eine zunehmend
kritische Haltung zum Dandyismus, zur Décadence und zum
l’art-pour-l’art-Prinzip ein und propagierte statt
dessen eine Kunst, die das Leben feiert und überhöht,
anstatt sich selbstverliebt von ihm abzukapseln. In ähnlicher
Weise drückte Salten seine Bewunderung für die
zivilisatorischen und kulturellen Errungenschaften der Doppelmonarchie
und ihre Fähigkeit zur ästhetischen
Selbstinszenierung aus. Andererseits kritisierte er das Festhalten
am
habsburgischen Mythos immer dann, wenn dies zur
Wirklichkeitsverkennung führt. Wegen der Erfahrung des
Nationalsozialismus und des Weltkrieges bezog Salten in seinem
Spätwerk eine kulturpessimistische Position. In seinen im
Zürcher Exil entstandenen Tiergeschichten zeichnete er die
Natur als Kontrast zu einer nur noch als destruktiv empfundenen
Zivilisation. Seine Hinwendung zum Zionismus wird hier als Versuch
Saltens gewertet, die im Zuge der Moderne brüchig gewordenen
Gewissheiten, Bindungen und Identitäten zu rekonstruieren.
(Ergon)
Buch
bei amazon.de bestellen
Kristina
Schulz: "Die Schweiz und die literarischen Flüchtlinge
(1933-1945)"
1933-1945: Tausende von Kulturschaffenden verlassen Nazi-Deutschland,
ein Teil von ihnen geht in die Schweiz. Warum haben sie es schwer, dort
Fuß zu fassen? Wie kommt es, dass das Verhältnis
zwischen schweizerischen und deutschen Autoren trotz ihrer kulturellen
Nähe belastet ist?
Das Buch eröffnet eine neue Perspektive auf alte Fragen, denn
es betrachtet das literarische Exil in der Schweiz aus der Sicht des
Ankunftslandes. Die schweizerischen Schriftsteller befanden sich in
Bezug auf die deutschsprachigen Autoren, die in der Schweiz Zuflucht
suchten, in einer Struktur der Doppelbindung: Sie orientierten sich
einerseits an den literarischen Zentren des deutschsprachigen
literarischen Feldes und waren andererseits auf die Anerkennung der
Entscheidungsträger der nationalen schweizerischen
Literaturproduktion angewiesen. (Oldenbourg Akademieverlag)
Buch
bei amazon.de bestellen
Dieter
Wrobel: "Vergessene Texte der Moderne. Wiederentdeckungen für
den Literaturunterricht"
Auch Literatur unterliegt dem fortwährenden Prozess des
Vergessens. Hierfür sind nicht nur Mechanismen der
Kanonbildung verantwortlich, auch Umstände der
Rezeptionsgeschichte und ihrer gesellschaftlichen Kontexte
führen dazu, dass Texte und Autoren bzw. Autorinnen teils
vollständig aus der Wahrnehmung verschwinden. Doch lassen sich
lohnende Entdeckungen gerade unter diesen vergessenen Texten machen,
die für den Literaturunterricht reizvoll sind. Nach einem
Einführungskapitel zur Kanonbildung werden 14 dieser
vergessenen Texte vorgestellt. Die Rekonstruktion von Lebens- und
Werkgeschichten sowie didaktische Kommentare zeigen Anschlussstellen
für einen zeitgemäßen Unterricht auf. Neben
den Unterrichtsvorschlägen für alle Schulformen und
Schulstufen verdeutlichen die Kommentare auch, unter welchen
Bedingungen die Texte zu vergessenen Texten geworden sind. Diese
Dimension eröffnet zusätzliche wie ertragreiche
Zugänge zu literarischem und historischem Lernen an und mit
Texten, die zu Unrecht vergessen worden sind.
Vorgestellt werden: Waldemar
Bonsels:
"Die Biene Maja", Carl Sternheim: "Der Snob", Gustav
Meyrink: "Der Golem", Felix Salten: "Bambi", Rahel Sanzara:
"Das verlorene Kind", Leonhard Frank: "Karl und Anna", Alex Wedding:
"Ede und Unku", Gabriele Tergit: "Käsebier erobert den
Kurfürstendamm", Marieluise Fleißer: "Eine Zierde
für den Verein", Friedrich Wolf: "Professor Mamlock", Lisa
Tetzner: "Die Kinder aus Nr. 6", Ernst Kreuder: "Die Gesellschaft vom
Dachboden", Anna Maria Jokl: "Die Perlmutterfarbe",
Veza
Canetti: "Die Gelbe Straße". (Wvt
Wissenschaftlicher Verlag Trier)
Buch
bei amazon.de bestellen
Nike
Wagner: "Geist und Geschlecht.
Karl Kraus und die Erotik der Wiener Moderne"
Mit ihrer grundlegenden Untersuchung zu Karl Kraus und seiner Zeit
gelang Nike Wagner ein Buch mit dauerhafter Wirkung. Sie hat darin die
Sicht auf das Fin de Siècle verändert, jene Epoche
vor dem Ersten Weltkrieg, in der viele bis heute gültige
Grundlagen von Kunst, Ästhetik und Diskussion in Politik und
Gesellschaft gelegt worden sind. Die Verknüpfung zwischen
privatem Verhalten und öffentlichem Bewusstsein, das Bild der
Frau und ihre Stellung im Leben sind zuvor kaum so brillant wie
schonungslos dargestellt worden.
Ein spannendes Buch über eine spannende Zeit, endlich wieder
greifbar in einer sorgfältigen Edition mit zahlreichen
Dokumenten. (Styria)
Buch
bei amazon.de bestellen