Salman Rushdie: "Joseph Anton"

Die Autobiografie


Wie Literatur von fundamentalen Mächten missbraucht werden kann ...

"Wie fühlt man sich", fragte sie, "wenn man weiß, dass man gerade von Ayatollah Khomeini zum Tode verurteilt wurde?" Es war ein sonniger Tag in London, aber ihre Frage verschattete das Licht. Ohne recht zu wissen, was er redete, hat er Folgendes geantwortet: "Man fühlt sich nicht gut." Und Folgendes hat er gedacht: ich bin ein toter Mann. Er fragte sich, wie viele Tage er noch zu leben hatte, und dachte, die Antwort wäre vermutlich eine einstellige Zahl. (Aus dem Buch)

Aus dieser Initialzündung entwickelt Salman Rushdie, der aus Indien stammende große britische Schriftsteller, den Roman seines Lebens, der sich spannender als jeder Krimi liest.

Joseph für Joseph Conrad und Anton für Anton Tschechow. Die Kombination der beiden Vornamen ist der Name, den sich Salman Rushdie als Deckname für die Zeit des Versteckens, der permanenten Wohnungswechsel zulegt.

Salman Rushdie entscheidet sich bewusst gegen die Ich-Erzähler Perspektive, um aus der Perspektive des allwissenden Erzählers möglichst emotionslos und unbeteiligt erzählen zu können. Interessanterweise ist gerade das der Punkt, der diese Autobiografie so spannend wie einen Roman macht und dementsprechend von vielen Autobiografien deutlich abhebt.

Rückblickend wird erzählt, wie er, (also Salman Rushdie), vom Vater nach England geschickt wurde, wie der junge Salman sich in der betont britischen Schule zurechtfand, wie er mit dem latenten Rassismus umzugehen lernt, der an diesem Institut an der Tagesordnung stand. Dann folgen die Jugendjahre und das frühe Erwachsenenstadium, Studium und der Knacks in der Beziehung zu seinem Vater, der dadurch entsteht, dass der Sohn, nach einem Studium in England, "nur Schriftsteller" werden will. Die Mitteilung wird vom Vater mit den Worten "Was soll ich denn nun unseren Bekannten sagen?" quittiert.

Lange ist zwischen den beiden Eiszeit, bis der Vater knapp vor seinem Tod dem Sohn einen Brief schickt, indem er ihm ehrlich zu seinen Büchern gratuliert und mit einigen analytischen Kommentaren beweist, wie sehr er die Welt seines Sohnes auch verstanden hat.

Man erfährt weiters sehr viel über das Privatleben Salman Rushdies, über seine Vaterrolle, über seine Beziehungen zu den verschiedenen Frauen in seinem Leben, entweder vor dem Spruch Khomeinis, oder bereits im Schatten dieses doch nicht aus dem Leben wegzudenkenden Ereignisses.

Schonungslos geht der Erzähler mit dem Protagonisten Salman Rushdie um, er durchleuchtet freundschaftliche Treffen mit Kollegen wie Bruce Chatwin, Martin Amis, der wunderbaren, bei uns fast unbekannten Angela Carter, Thomas Pynchon und vielen Anderen.

Natürlich geht es, wie nicht anders zu erwarten, um die Bücher von Salman Rushdie, um die Beziehungen zu Agenten, Lektoren und Freunden, die durch einige dieser Bücher zu Bruch gehen. Wie zum Beispiel seine Beziehung zu Sonni Mehta, der "Haroun und das Meer der Geschichten" nur unter der Bedingung nehmen will, dass einige wichtige Eckpunkte radikal umgeschrieben werden, was Salman Rushdie natürlich nicht akzeptieren kann. Viele Jahr später dann die Versöhnung.

Im Zentrum dieses wahren Lebensromans steht aber ein Buch, nämlich "Die satanischen Verse". Ein Buch, das in Wahrheit, ohne das zu sein, was ihm viele Fundamentalisten aus Unwissenheit vorwerfen, Salman Rushdie in eine fragwürdige Position hievt. Unwissenheit über den Ursprung der "Satanischen Verse" im Koran selbst. Die Meinungen zu diesem Roman gehen komplett auseinander, gute Bekannte beziehen Stellung gegen Rushdie und das Buch, die britisch-moslemische Vereinigung schließt sich den Protesten gegen Rushdie an, Tötungskommandos werden auf Rushdie angesetzt.

Von einer Wohnung zur nächsten wird er gehetzt, kaum dass er sich mit den neuen Umständen zurecht gefunden hat, der Kontakt zu seinem Sohn ist vorerst nur via Telefon möglich, Reisen sowieso unmöglich, offizielle Auftritte ebenso. Nur langsam kann sich Salman Rushdie die verlorenen Wichtigkeiten des Lebens zurückerkämpfen.

Dieses Buch ist ein wichtiger literarischer Text über den Kampf eines Mannes um die ihm zustehenden Freiheiten und Werte, die durch ein weder moralisch noch juristisch akzeptables Urteil eines fundamentalistischen Religionsoberhauptes von einem Moment auf den anderen beschnitten und vehement eingeschränkt sind.

Es ist aber auch eine wunderbare Einführung in die Welt des Autors solch grandioser Romane wie z.B. "Mitternachtskinder", "Des Mauren letzter Seufzer", "Der Boden unter ihren Füßen" und "Shalimar der Narr", die alle ebenso wichtig sind wie der Stein des Anstoßes, "Die satanischen Verse".

(Roland Freisitzer; 10/2012)


Salman Rushdie: "Joseph Anton. Die Autobiografie"
(Originaltitel "Joseph Anton")
Übersetzt von Bernhard Robben, Verena v. Koskull.
Gebundene Ausgabe:
C. Bertelsmann, 2012. 720 Seiten.
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Digitalbuchausgabe:
C. Bertelsmann, 2012.
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