Karl Ove Knausgård: "Lieben"


Familienleben im Hause Knausgård

Karl Ove Knausgårds zweiter Roman aus seinem groß angelegten, sechsteiligen autobiografischen Romanzyklus beschäftigt sich nun mit dem Autor als Ehemann und zutiefst verunsicherten Familienvater. Der Originaltitel des Romanzyklus "Min Kamp" wird (dankenswerterweise) in der deutschen Übersetzung aus verständlichen Gründen nicht übernommen.

Allerdings ist der Originaltitel essenziell wichtig für das Verständnis der Frage, warum der Autor eine derart schonungslose private Offenlegung wagt, dem Leser eine fast exhibitionistische Beschauung seines Privatlebens erlaubt. Karl Ove Knausgård kämpft mit sich selbst, gegen das Gefühl, durch den Alltag in seiner Freiheit und künstlerischen Entwicklung eingeschränkt zu sein, gegen das Gefühl, fliehen zu wollen, nur weg, schreiben, arbeiten, weit weg.

"Das alltägliche Leben mit seinen Pflichten und wiederkehrenden Abläufen war etwas, das ich ertrug, nichts, worüber ich mich freute, nichts, was mir einen Sinn gab und mich glücklich machte. Es ging nicht darum, dass ich keine Lust hatte, den Fußboden zu putzen oder Windeln zu wechseln, sondern um etwas Fundamentaleres, dass ich in dem mir nahen Leben keinen Wert erblickte, mich stattdessen unablässig fortsehnte und dies schon immer getan hatte. Das Leben, das ich führte, war folglich nicht mein eigenes. Ich versuchte es zu meinem zu machen. Das war mein Kampf, den ich ausfocht, denn das wollte ich doch."

Gleich zu Beginn eine Szene des Paares Knausgård, das mit den drei Kindern einen Ausflug macht, der in einer Situation endet, die von den beiden Partnern mehr Empathie abverlangt, als beide geben können. Zu hoch sind die Erwartungen gesteckt, und die Enttäuschung über den doch nicht so idyllischen Ausflug ist daher umso stärker.

Der Autor liebt seine Kinder und seine Frau, ist aber mit der Alltagssituation in der Ehe überfordert. Er erledigt zwar die von ihm verlangten Aufgaben, fühlt sich aber in seiner Persönlichkeit eingeschränkt.

Seinen inneren Kampf lebt er im Schreiben aus, er schreibt und beschreibt Alltagssituationen, Situationen, die ganz ohne Sensation und Skandal auskommen. Minuziös geht er ins Detail und lässt in seine Beschreibungen philosophische Betrachtungen einfließen, unter Anderem über die Sinnhaftigkeit des Lebens oder Gedanken zu einer Filmszene von Charlie Chaplin ebenso wie Hitlers Ideologie.

Letztendlich ist es aber der Alltag, die Kinder John, Heidi und Vanja, die hier neben dem selbstreflexiven Autor und Erzähler im Mittelpunkt stehen. Im Mittelpunkt von Momenten und Szenen, die jedem, der Familie hat, nicht unbekannt sind. Fast achthundert Seiten lang.

Da das alles auch noch wie in akribisch konzentrierter Zeitlupe daherkommt, dauert es eine Weile, bis man vom Text wirklich aufgesogen und gefesselt ist. Dann allerdings kommt man nicht mehr los von diesem ruhig dahinströmenden Text.
Hart geht Karl Ove Knausgård mit sich zu Werke. Schonungslos gibt er seine Wutanfälle preis, seine Unsicherheit, seine Aufregung darüber, die Hausarbeit mitmachen zu müssen, die Unsicherheit darüber, ob er dem Bild, dem er meint (als Mann) entsprechen zu müssen, auch tatsächlich entspricht.

Aus einer Schaffenskrise heraus, die in Karl Ove Knausgård die Fähigkeit, Fiktion zu schaffen, vorerst einmal unterbunden hat, entsteht hier ein großes literarisches Werk. Nachdem der Autor in "Sterben" seine Beziehung zum Vater erforscht hat, wagt er sich nun, das Geheimnis und die Hintergründe einer Familie schonungslos und genau zu erforschen.

Viel Geduld wird vom Leser verlangt, da sich Karl Ove Knausgård offensichtlich nicht bemüht hat, ausführliche Beschreibungen einzelner Szenen zu straffen oder kürzen. Darin liegt aber genau die Qualität dieses Textes, der eine wunderbare Fortsetzung des ersten Teils des Zyklus "Sterben" ist.

(Roland Freisitzer; 05/2012)


Karl Ove Knausgård: "Lieben"
(Originaltitel "Min Kamp 2")
Aus dem Norwegischen übersetzt von Paul Berf.
Luchterhand Literaturverlag, 2012. 763 Seiten.
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