Jörg Juretzka: "Sense"
Kristof
Kryszinskis erster Fall
"Ich bin Detektiv, und da im Auto zu hocken oder im Kaufhaus
herumzulungern furchtbar öde ist, habe ich mich weitgehend auf
das Aufspüren von Vermissten spezialisiert. Und weil Vermisste
für gewöhnlich in Schwierigkeiten stecken, kommt es
immer mal vor, dass Freund Hein schneller war."
Kristof Kryszinski wird von einem penetranten Telefonklingeln geweckt
und von seiner Lieblingsanwältin dringend in die Kanzlei
befohlen, um einen neuen Auftrag zu besprechen. Schon auf dem Weg dahin
schafft er es, die erste Katastrophe zu fabrizieren. Mit reichlich
Restalkohol im Blut und beschlagenen Scheiben mit unangemessener
Geschwindigkeit fahrend, streift er um eine Kurve rutschend einen dort
entgegenkommenden Polizeiwagen, begeht zur Sicherheit
unverzüglich Fahrerflucht und versteckt seinen Wagen
dann weit
unten in einer Parkgarage, weshalb er mit deutlicher
Verspätung bei seiner Anwältin eintrifft.
Kris soll den verschwundenen Ehemann einer sehr betuchten Klientin
finden, der seit Kurzem mit den Tageseinnahmen einiger Kasinos
abgängig ist. Für das Auffinden soll es DM 20.000
geben, einen Geldsegen, den der bis über beide Ohren
verschuldete Alkoholiker gut gebrauchen kann. Nachdem er sich einen
neuen fahrbaren Untersatz und einen Führer durch die
Spielerszene
beschafft hat, macht er sich in einer mehr oder minder
chaotischen Art und Weise auf die Suche. Dabei erfahren er und die
Leserschaft eine Menge über die illegale Spiellandschaft in
Ruhrstadt und über einige der Sitten und Gebräuche,
die damit zusammenhängen. Irgendwann ist Kris dabei so
frustriert - und so zugedröhnt -, dass er eine Pokerrunde
buchstäblich in wohltemperiertes Wasser fallen lässt,
was ihm und seinem Begleiter eine ordentliche Tracht Prügel
einbringt - und später noch weiterführenden
Ärger. Doch schließlich findet er durch einen
seltsamen Zufall den Gesuchten, und am nächsten Morgen findet
er ihn nochmals. In seiner eigenen Wohnung. Auf dem Boden. Mit
gebrochenem Genick. Somit ist er der Hauptverdächtige
für die Polizei.
Im ständigen Wechsel zwischen Verhörausschnitten und
Kristof Kryszinskis eigenen Darstellungen der Ereignisse folgt man dem
glück- und manchmal auch verstandlosen Privatdetektiv von
Fettnäpfchen zu Fettnäpfchen und von einer
Katastrophe in die andere, von denen nicht wenige selbstverschuldet
sind. So ist auch bald die Verdächtigung seitens der Polizei
eigentlich sein kleinstes Problem. Und auf dem Weg aus der Misere geht
er geradezu "Blues-Brothereske" Wege.
Voller Sprach- und Situationskomik ist "Sense" ein schneller und
überaus amüsanter Krimi über den ewigen
Selbstbehinderer, der durch Vorurteile, kleinere Laster und
Substanzmissbrauch immer wieder in Situationen gerät, die man
sich mit klarem Kopf manchmal gar nicht vorstellen mag. Gut
für Kristof Kryszinski-Anhänger und alle, die es noch
werden wollen.
Dieser Titel ist übrigens erstmals im Jahr 2000 erschienen,
weswegen sich die Leser nicht wundern dürfen, dass
Mobiltelefone eine sehr geringe Rolle spielen und noch in DM bezahlt
wird. Dies sollte man sich bei der Anschaffung des Titels zumindest
kurz vor Augen führen.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 03/2012)
Jörg
Juretzka: "Sense"
Unionsverlag, 2012. 280 Seiten.
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