Sandra Hoffmann: "Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist"
Er heißt Janek Bilinski. Er
ist alt und krank, wird bald sterben. Er liegt, ohne verbliebene
Verwandtschaft, die ihn besuchen könnte, in einem Hospiz und wartet auf
den Tod. Neben seinem Bett nimmt jede Nacht als Sitzwache eine junge
Frau Platz. Er nennt sie „die kleine Schwester“, und sie hört ihm zu.
Denn er hat viel zu erzählen aus seinem Leben. Voller Schmerzen, die
auch von den starken Schmerzmitteln kaum noch im Zaum gehalten werden
können, erinnert er sich.
Die Autorin Sandra Hoffmann lässt dabei wache Phasen des Nachts, wenn
die kleine Schwester mit dem wippenden Pferdeschwanz ihm zuhört und ihm
manchmal auch Fragen stellt, sich abwechseln mit Träumen und Wachträumen
Janeks. Beides zusammen formt sich zu einem Leben, das in Polen begann.
Als Sechzehnjähriger wird er von den Nazis nach Deutschland verschleppt
und muss dort Zwangsarbeit leisten. Er hat Glück, denn der Bauer, dem er
zugeteilt wird, ist ein guter Mensch und lässt ihn an seinem Tisch
essen. Mit dessen Tochter Paula hat er die ersten schönen sexuellen
Erfahrungen; mit Folgen, wie sich viele Jahre später herausstellt.
Als Janeks Onkel Stani ihn nach dem Krieg auf dem Bauernhof in der Nähe
des Bodensees findet, will Janek, dass Paula mit ihm kommt. Doch sie
weigert sich. Obwohl Janek später mit Agota, die ihm schon in den Tod
vorausgegangen ist, ein schönes Leben führt, kann er Paula nicht
vergessen. Immer wieder erzählt er der kleinen Schwester von ihr und
auch von seinem Hund Izy, den die Nazis damals erschlagen haben und von
dem ihm nur ein Halsband geblieben ist.
Die kleine Schwester, die Janek jede Nacht aufmerksam zuhört, das
Einzige, was sie noch für ihn tun kann, erinnert Janek an eine damals
ebenfalls noch junge Frau, die seine Augen hat und nichts von ihm weiß.
Hannah heißt die Frau, nach der er sich sehnt, weil sie wohl die Frucht
der gemeinsamen Nächte mit Paula ist.
Sandra Hoffmann erzählt in diesem schmalen Roman eine sehr einfühlsame
Geschichte, die Geschichte einer Lebensbilanz und einer große Liebe. Die
Geschichte eines Lebens voller Bewahrung und voller schmerzhafter
Verluste. Und der Roman ist eine stille Hommage an die unzähligen
unbekannten Menschen, die in Hospizen und Heimen sterbende Frauen und
Männer begleiten, indem sie ihnen zuhören, ihre Hand halten und es
ertragen, sonst nichts mehr tun zu können. Jedes Leben ist wertvoll, und
es ist wert erzählt zu werden, das ist die leise Botschaft dieses
zärtlichen Buches.
(Winfried Stanzick; 10/2012)
Sandra Hoffmann: "Was ihm fehlen wird,
wenn er tot ist"
Hanser Berlin, 2012. 176 Seiten.
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Sandra Hoffmann, 1967 in
Oberschwaben geboren, lebt als freie Schriftstellerin in Tübingen und
München. Sie studierte Literaturwissenschaft, Italianistik und
Mediävistik. Im Jahr 2009 erhielt sie für den Roman "Liebesgut" den
"Mörike-Förderpreis". Für "Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist" wurde
sie mit dem "Thaddäus-Troll-Preis 2012" ausgezeichnet.
Ein weiteres Buch der Autorin:
"Liebesgut"
"Schreib es auf! Ich schreibe doch nicht die Wirklichkeit auf! Dann
mach eine Geschichte daraus, unsere Geschichte; tu es für uns!"
Es ist die große Liebe. Dabei keine auf den ersten Blick, erst
allmählich verliebt sich Anja in den wesentlich älteren Andraš, einen
Maler und Zeichner, der entschlossen um sie wirbt. Aber dann wird, was
zwischen den beiden geschieht, zur einzigen, alles umfassenden
Erfahrung. Nur: Andraš ist verheiratet, hat eine Familie,
und anders als Anja meint er, überhaupt eine Entscheidung treffen zu
müssen. Anja selbst hat ihn nie vor solch eine Entscheidung gestellt.
Warum nicht? In immer neuen Anläufen versuchen die Liebenden, sich zu
trennen, Andraš rettet sich in die vertraute Normalität der Ehe und
Familie und in die Malerei, Anja zieht sich in das Haus von Freunden in
Frankreich zurück, um einen Reiseführer zu schreiben.
Sandra Hoffmanns Roman "Liebesgut" erzählt in zwei Teilen dicht,
poetisch, konzentriert von der Liebe zwischen Anja und Andraš und davon,
was nach ihrem Ende bleibt. Er beschreibt die erste Sitzung Anjas bei
einer Psychoanalytikerin zwischen Annäherung und Abwehr und erzählt von
der Wirkung eines Delfin-Freskos an der Wand des Praxisraumes, einer
Kopie des kretischen Originals. Wie in konzentrischen Kreisen
bohrt sich Sandra Hoffmanns Text in die Erlebnisse und Empfindungen der
Liebenden hinein, erzählt von Glück und Enttäuschung, Verheißung und
Angst, von der Einmischung durch Dritte und dem Gefühl der Bedrohung.
Eindringlich, emphatisch, manchmal auch komisch erzählt der Roman von
Verlust und Befreiung. (C.H. Beck, Piper)
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Weitere Lektüretipps:
Gian Domenico Borasio: "Über das Sterben. Was wir wissen. Was wir tun
können. Wie wir uns darauf einstellen"
Am Anfang des Buches steht ein ungewohnter Gedanke: Geburt und Tod haben
viel gemeinsam, beides sind Ereignisse, für die die Natur bestimmte
Programme vorgesehen hat. Sie laufen dann am besten ab, wenn sie
möglichst wenig gestört werden. Palliativbetreuung und Sterbebegleitung,
wie Borasio sie versteht, sind deshalb viel mehr als medizinische
Symptomkontrolle. Vor allem leben sie von der Kommunikation, dem
Gespräch zwischen allen Beteiligten, das die medizinische, psychosoziale
und spirituelle Betreuung erst möglich macht.
Sachlich informierend und argumentierend, setzt sich Borasio aber auch
mit dem schwierigen Thema "Sterbehilfe"
und mit Mythos und Realität der Palliativ- und Hospizarbeit auseinander.
Ungeschminkt benennt er zudem die schlimmsten Fehler am Lebensende und
sagt, wie man sich am besten davor schützt - einschließlich konkreter
Hinweise zu Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung. Aus der Sicht des
Arztes, der sich auch für die Seelennöte der Menschen zuständig weiß,
leistet dieses Buch dringend notwendige Aufklärung über ein Lebensthema,
das wir zu unserem eigenen Schaden mit zahlreichen Tabus belegen. (C.H.
Beck)
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H. Christof Müller-Busch:
"Abschied braucht Zeit - Palliativmedizin und Ethik des Sterbens"
Herausgegeben von Bernd Hontschik.
Gibt es einen guten Tod?
Abends friedlich einschlummern und im Schlaf sanft hinübergleiten. So
stellen sich viele von uns einen guten Tod vor. Für schwerkranke
Menschen, deren Lebenszeit begrenzt ist, sind dagegen oft andere Dinge
wichtig: ausreichend Zeit für den Abschied, keine Schmerzen zu spüren
und dem Tod ohne Furcht begegnen zu können.
Die Palliativmedizin hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Lebensqualität
ihrer Patienten in ihrer letzten Lebenszeit zu fördern und ihnen so die
Möglichkeit zu geben, in Würde zu sterben. Dabei geht es ihr nicht nur
um Schmerztherapie und Angstlinderung, um Trost und Beistand für die
Sterbenden und ihre Angehörigen, sondern auch darum, dem Tod
Raum und Zeit zu geben, seinen Moment zuzulassen.
Kann man trotz schwerer Krankheit in Würde sterben? H. Christof
Müller-Busch, einer der bekanntesten Palliativmediziner Deutschlands,
ist davon überzeugt: Man kann. Sein Buch ist ein hochreflektierter und
sehr persönlicher Bericht über den Umgang mit Krankheit und Sterben, ein
Plädoyer für einen guten, einen würdigen Tod. (Suhrkamp)
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Monika Specht-Tomann,
Doris Tropper: "Zeit des Abschieds. Sterbe- und Trauerbegleitung"
Dieses Buch befasst sich mit den
vielen Facetten des letzten Lebensabschnitts von Menschen. Es spannt
einen weiten Bogen von der Sterbebegleitung über die Auseinandersetzung
mit zentralen Lebensthemen Schwerstkranker, die schwierige Kommunikation
am Sterbebett bis hin zur Trauerbegleitung. Die Leserinnen und Leser
erhalten viele Anregungen für die individuelle Gestaltung der
Begleitung, die an den Bedürfnissen der Patienten orientiert ist.
Fallbeispiele und meditative Bilder tragen zu einer ganzheitlichen
Sichtweise bei, die in der Sterbe- und Trauerbegleitung notwendig ist.
(Patmos)
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