Edgar Hilsenrath: "Sie trommelten mit den Fäusten den Takt"
Erzählungen
Kurzprosa
eines großen Autors
"Ich bin gebürtiger Deutscher, Jude, Kosmopolit,
wehrhafter-Pazifist, Zigeuner, Österreicher, K.u.K-Mensch,
Ukrainer, Pole - da meine Eltern aus diesen Gegenden stammen - bin ich
angeblich ein bißchen verrückt, aus meiner
persönlichen Perspektive gesehen allerdings völlig
normal ..."
Dieser bei DTV im Taschenbuch erschienene Band mit 29 Texten des 1926
geborenen deutsch-jüdischen Autors Edgar Hilsenrath ist,
sicherlich in Ermangelung einer passenderen Bezeichnung, mit
"Erzählungen" überschrieben.
In Wahrheit sind es gesammelte Texte, die von Selbstauskünften
über Satiren bis hin zu teilweise sehr kurzen
Erzählungen führen. Die meisten Texte entziehen sich
allerdings der Einordnung in eine spezifische Gattung.
Edgar Hilsenrath musste 1938 mit seinem Bruder und der Mutter
flüchten. Sie flüchteten in die Bukowina,
zu den Großeltern. Trotzdem kam die Familie 1941 in ein Getto
in der
Ukraine.
Edgar Hilsenrath konnte glücklicherweise überleben
und gelangte schließlich 1951 über die
Türkei und Syrien in die Vereinigten Staaten von Amerika, wo
er sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser hielt. Er begann
zu schreiben, aber Erfolge blieben vorerst aus. Erst mit dem Roman "Der
Nazi
& der Friseur" konnte er den Durchbruch
schaffen, auch wenn der Roman in Deutschland angefeindet wurde. Erst
1975 kehrte er nach Deutschland zurück.
Die Texte sind zwischen 1978 und 2008 entstanden und
beschäftigen sich mit unterschiedlichsten Themen.
Interessante Betrachtungen über
Erich
Maria
Remarques großartigen Roman "Arc de Triomphe"
wechseln sich mit Dialogen ab, die der Autor entweder mit seinem Ego,
mit seinem Spiegelbild, mit einem Fremden oder mit einem Journalisten
führt. Oder als fiktiver Briefverkehr mit dem
Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika.
Auch kritische
Beobachtungen über den Staat Israel finden sich in
diesem Buch.
Ein ganz starker Dialog setzt dem Erzähler ein Kind
gegenüber und den Leser in eine Art Absurdistan, in dem sechs
Millionen Juden mit tausend Kilometern Autobahn aufgewogen werden.
Die größte Wirkung erzielen die Texte, wenn man sie
nicht hintereinander, sondern mit einer guten Portion Abstand liest.
Möglicherweise auch nicht chronologisch, sondern in
persönlicher Reihung.
Den stärksten Eindruck aber haben die in diesem Band
inkludierten kurzen erzählerischen Prosatexte hinterlassen,
die eindringlich beweisen, welches Können der Autor besitzt.
Fazit:
Starke Texte, die Lust auf einer Wiederbeschäftigung mit dem
Schaffen dieses Autors machen.
Absolute Empfehlung.
(Roland Freisitzer; 08/2012)
Edgar
Hilsenrath: "Sie trommelten mit den
Fäusten den Takt. Erzählungen"
dtv, 2012. 199 Seiten.
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