Markus Heitz: "Oneiros"

Tödlicher Fluch


In Leipzig hütet ein Bestatter ein grausames Geheimnis, in Minsk führt eine skrupellose Wissenschaftlerin tödliche Experimente durch, in Paris rast ein Flugzeug ungebremst in ein Flughafengebäude ...

Konstantin Korff ist Inhaber eines weltweit bekannten Bestattungsunternehmens und Spezialist der Thanatologie, der Lehre des Herrichtens Verstorbener für eine Aufbahrung im offenen Sarg. Seine Fähigkeiten in diesem Bereich verschaffen ihm überall in der Welt Aufträge, und sein eigenes Haus wird überaus gewissenhaft geführt.
Als bei einem Unglück, ein Flugzeug rast nach der Landung in die Halle des Flughafens Charles de Gaulle hinein, unter Anderem auch die am Anfang einer Fotomodellkarriere stehende Tochter eines einflussreichen Mannes getötet und verunstaltet wird, bekommt sein Unternehmen den Auftrag, sich darum zu kümmern. Obwohl Konstantin bereits am nächsten Tag wegen eines sehr heiklen Auftrags in Moskau sein muss, willigt er ob der Herausforderung des Falles ein.
Schließlich geht er ganz in seiner Arbeit auf, denn aufgrund eines Fluchs, der auf ihm liegt, kann er sich ein reguläres Privatleben nicht leisten. Er ist ein sogenannter Todesschläfer, und wenn er in der Nähe von anderen Menschen einschläft, dann lockt er den Tod an, der alle Menschen in einem bestimmten Radius oder im selben Raum mit ihm befällt. Deswegen lebt er auch in der Regel auf einem Boot - und zwar allein.

Konstantin ist nicht der einzige Todesschläfer auf der Welt, und tatsächlich sind einige von ihnen sogar gut organisiert: in Gruppen, zu denen Konstantin auch einmal gehört hat, bevor ihm das Töten und Sterben zu viel wurde. Der Umgang mit Verstorbenen erscheint ihm da wesentlich angenehmer.
Abgelenkt durch seine Aufträge und die gegen alle Vernunft beginnende Beziehung mit einer jungen Cellistin, denkt er über das Unglück am Flughafen Charles de Gaulle nicht weiter nach, bis sich ein alter Freund und Kampfgefährte, der eine hohe Stellung beim MI6 innehat, mit ihm in Verbindung setzt. Anscheinend geht das Unglück in dem Flughafen auf einen Todesschläfer zurück, der an Bord des havarierten Flugzeugs eingeschlafen war. Diesen suchen der MI6 und andere Gruppen jetzt dringend. Und da Konstantin in seinem alten Leben einer der fähigsten Aufspürer von  Todesschläfern war, möchte man sich nun seiner Hilfe versichern. Doch Konstantin ist eigentlich nicht daran interessiert und hat auch ganz anderen Dingen nachzuforschen.

Gleichzeitig ist ein älterer Todesschläfer, der eine höchst eigene und für ihn sehr ungesunde Umgangsweise mit seinem Problem gefunden hat, dabei, durch die Welt zu reisen, seine Leidensgenossen zu beobachten und sie je nach Verhalten und Einstellung zu einer ähnlichen Prozedur einzuladen, sie in Ruhe zu lassen oder sie aus der Welt zu schaffen.
Korffs erste Begegnung mit ihm wird zu einer überaus schmerzhaften Erfahrung. Außerdem gibt es da noch eine Dame, die in Minsk ein seltsames Forschungsinstitut betreibt, in dem Todesschläfer als Versuchskaninchen eingesetzt werden. Dort ereignet sich plötzlich ein unglaubliches Unglück.

Aus vier Richtungen wird ein neuer, unkontrollierbarer und überaus mächtiger Todesschläfer verfolgt, wobei alle beteiligten Jägerinnen und Jäger eine Menge über sich selbst lernen können und ebenso über zahlreiche andere Dinge. An jedem Punkt der Welt, wo der Todesschläfer auftaucht, sterben jedes Mal mehr Menschen als zuvor.

Keine Vampire, Dämonen oder Werwölfe hatte der Autor im Rahmen mehrerer Lesungen versprochen, und er hat sich in diesem Buch daran gehalten.
Die Vorstellung einer Konversation mit dem Tod in Märchen und Legenden verschiedener Völker, bei anderen zeitgenössischen Schriftstellern eher humoristisch-philosophisch dargestellt, wird in "Oneiros" wieder zu ihren eher beängstigenden Ursprüngen zurückgeführt. Dabei stoßen die Suchenden wiederholt auf Geschichten über das Verhältnis der Menschen zum Tod und ihre Versuche, mit dem grimmen Schnitter Geschäfte zu machen; und so erfahren auch wir davon.
Wie gewohnt hat der Autor zu diesem Kernthema seines Buchs, (aber auch zu vielen anderen, beispielsweise Edelsteine, Hindernisläufe in der Stadt, Thanatologie, Neurochirurgie etc.), viel recherchiert und seine Ergebnisse, natürlich in die Handlung eingepasst, an seine Leserschaft weitergegeben. So entsteht ein überaus dichter, schneller und informativer Roman, der bei aller Grimmigkeit auch einiges an Humor beinhaltet.
Sehr lesenswert.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 05/2012)


Markus Heitz: "Oneiros. Tödlicher Fluch"
Knaur, 2012. 624 Seiten.
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