Wolf Haas: "Verteidigung der Missionarsstellung"
Lesegewohnheiten,
verführerisch auf dem Sprachprüfstand gespiegelt: Auf
die Stellung kommt es an!
Wie schreibt man ebenso unterhaltsam wie anspruchsvoll über
das Lieben entlang von Tierseuchen und die Konstruktion von
Wirklichkeiten?
Ein Lesebericht.
"Ausgebremst" ist und bleibt auch nach der Lektüre von
"Verteidigung der Missionarsstellung" mein Lieblingswerk des Autors,
das meiner Meinung nach viel zu wenig gewürdigt worden ist.
Daher noch einige Anmerkungen zu "Ausgebremst" vorweg: Ich bin kein
großer Sportfanatiker, und besonders die Formel 1 ist kein
Motiv für mich, den Fernsehapparat einzuschalten und mir die
Direktübertragungen anzusehen, aber nach dem "Brenner"-losen
Formel 1-Krimi konnte ich es gar nicht mehr erwarten, mir diese sich im
Kreis und in Ellipsen mit Höchstgeschwindigkeit bewegenden
benzinbetriebenen Vehikel im Fernsehen anzusehen. Der Reiz an der
Beobachtung dieser Höllenmaschinenduelle ging sehr schnell
wieder verloren, das Buch zur Inspiration meines kurzweiligen passiven
Motorsportexperiments verzückt mich allerdings jetzt noch, da
möchte man mitunter sogar ein Boxenluder von Wolf Haas sein!
Wolf Haas ist inzwischen so etwas wie ein Pop- und Rockstar
der Literaturszene. Er könnte ganze Stadien füllen,
bei den romantischen Textpassagen würden tausende Feuerzeuge
entzündet werden, bei den beschriebenen Liebesakten
würden tobender Applaus und ekstatisches Johlen, Jubeln und
Schreien einsetzen.
Verfolgt man dieser Tage, Wochen und Monate die elektronischen Medien
und Printmedien aufmerksam oder auch nur flüchtig,
wünscht man sich schon, es gäbe im politischen
Spektrum mehr skrupelkranke Personen. Zumindest Wolf Haas hat uns einen
skrupelkranken (nicht im politischen Umfeld angesiedelten, denn das
wäre dann doch zu fiktional),Protagonisten geschenkt; er hat
uns überhaupt wieder ein witziges, geistreiches und
verspieltes Werk geschenkt.
"Als ich mich das erste Mal verliebte, war ich in
England, und da ist die Rinderseuche ausgebrochen. Als ich mich das
zweite Mal verliebte, war ich in China,
und da ist die Vogelgrippe ausgebrochen. Und drei Jahre später
war ich das erste registrierte Opfer der Schweinegrippe. Sollte ich
je
wieder Symptome von Verliebtheit
zeigen, musst du sofort die
Gesundheitspolizei verständigen, versprich mir das."
(Aus dem Roman)
An vielen Stellen des Buches hat man als Leser das Gefühl,
dass der Autor, also Wolf Haas - der echte oder derjenige, der sich als
Schriftsteller im Buch (er)findet -, selbst entweder brünftig
ist oder an Potenzproblemen leidet oder mitten in der intensivsten
Phase der Mittlebenskrise steckt, denn lustvoll und ungehemmt exerziert
er alle möglichen Wortspiele für Paarungsszenarien
vor. Wolf Haas verzeiht man auch so billige Kalauer wie: "Ist
es einer Veganerin überhaupt erlaubt, durch Geschlechtsverkehr
männliches Eiweiß in sich aufzunehmen, oder greift
da auch schon der Tierschutz?"
Am wenigsten gefielen mir die Stellen, an denen der vermeintliche
Halbindianer Benjamin Lee Baumgartner seine Sicht der Dinge schildert;
dieser Erzählstil erinnert sehr an jenen der "Brenner"-Romane,
der mich zeitweise schon sehr genervt hat. Ich bin
möglicherweise einer der wenigen Haas-Leser, welche den
"Brenner" gerne für immer ad acta gelegt sehen
würden. Trotzdem kann man nicht bestreiten, dass Haas mit
seinen "Brenner"-Krimis
die Initialzündung für viele
andere Schriftsteller war; es gibt momentan eine richtige
österreichische Krimischwemme, teilweise mit originellen
Handlungsverläufen von begabten Schriftstellern, doch bei
vielen beschleicht einen das Gefühl, sie hätten zu
tief in die "Brenner"-Wühlkiste gegriffen und wären
sozusagen Haas-Klone mit einem großen Hang zum Plagiat.
"Verteidigung der Missionarsstellung" ist sicher Haas' bislang
verspieltestes, experimentierfreudigstes Buch; wenn man es
aufschlägt und durchblättert, fühlt man sich
mitunter rein optisch an moderne Lyrikbände erinnert. Man
merkt, dass der Autor vor vielen Jahren in der Werbebranche
tätig war, sein kreativer Fundus ist schier
unerschöpflich.
So darf man schon sehr gespannt auf das nächste Buch des
Autors sein, denn das einzige Kalkulierbare an Haas ist, dass er nicht
kalkulierbar ist. (Ist dieser Satz auch eine Antinomie, wie sie uns
sehr eindrucksvoll im Buch beschrieben wird?)
(Josef Huber; 09/2012)
Wolf
Haas: "Verteidigung der Missionarsstellung"
Hoffmann und Campe, 2012. 224 Seiten.
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Noch ein Buchtipp:
Hans-Martin Gauger: "Das Feuchte und das Schmutzige. Kleine Linguistik
der vulgären Sprache"
Es geht in diesem Buch um Sexualität im Sprachvergleich,
genauer: um Sexuelles
und Fäkalisches beim groben Sprechen. Wenn man im Deutschen
schimpft, beleidigt, flucht und überhaupt vulgär
wird, verwendet man normalerweise Ausdrücke, die sich auf
Exkrementelles beziehen, während viele Nachbarsprachen zu
diesem Zweck fast immer ins Sexuelle gehen. Gibt es Gründe
für diesen deutschsprachigen Sonderweg? Anhand einer
überwältigenden Fülle an Beispielen aus
über einem Dutzend Sprachen widmet sich Hans-Martin Gauger dem
Thema mit Witz und Scharfsinn. Der Leser wird gut unterhalten,
erfährt viel Wissenswertes über Europas Sprachen -
und darüber, wie man sprachlich korrekt plurilingual beleidigt
und flucht. (C.H. Beck)
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