David Foenkinos: "Souvenirs"
"Am Tag, als mein
Großvater starb, regnete es so stark, dass man
nahezu nichts mehr erkennen konnte."
Mit diesem Satz und dem kräftigen Bild beginnt der
französische Schriftsteller David Foenkinos sein Buch
"Souvenirs", das, ähnlich wie seine Vorgänger, in Frankreich
sofort nach seinem Erscheinen in die Listen der meistgekauften
Bücher schoss.
Wie kann man, angesichts des Todes überall, überhaupt
etwas in seinem eigenen Leben, seiner Vergangenheit erkennen? Wie kann
man angesichts der fast täglichen Begegnung mit dem Tod
und der Vergänglichkeit für sich selbst so etwas wie
Zukunft und Glück erhoffen?
Das sind Fragen, die sich mehr oder weniger deutlich durch das 332
Seiten starke Buch ziehen, in dem David Foenkinos durchaus die eine
oder andere selbst erlebte Erfahrung bearbeitet. So hat der
ich-erzählende Protagonist des Romans, wie Foenkinos selbst,
in der Kindheit eine schwere Herzoperation gehabt, und seine
zunächst erfolglosen Versuche, als Schriftsteller, der er sein
bzw. werden will, irgendetwas Sinnvolles zu Papier zu bringen, sind ihm
wohl aus seiner Anfangszeit als Autor nichts Unbekanntes.
Der junge Ich-Erzähler beginnt nach dem Tod des
Großvaters, der ihn sehr mitgenommen hat, eine
Tätigkeit als Nachtportier in einem Pariser Hotel. Diese
Arbeit, so hofft er, wird ihm neben dem Broterwerb auch die
nötige Muße geben und vielleicht auch Anregungen zum
ersten großen Romanstoff bieten.
Doch zunächst serviert ihm das Leben andere Themen. Themen wie
Krankheit, Verfall und Tod werden für die nächste
Zeit seine Gedanken beherrschen. Nachdem der Großvater
gestorben ist und der Erzähler noch um ihn trauert, muss er
zusammen mit seinem Vater die Großmutter gegen ihren Willen
in ein Altenheim bringen.
Der Vater ist gerade pensioniert worden, und sein Sohn spürt,
wie sehr es dem Vater etwas ausmacht, so schnell in Vergessenheit zu
geraten. Und da ist er schon bei seinem Thema, das ihn das ganze Buch
über nicht loslässt: die Erinnerung von Menschen, die
im jeweiligen Kapitel beschrieben oder auch nur kurz erwähnt
worden sind, hängt er in kursiver Schrift als
nächstes Kapitel an. Diese "Erinnerungen" bilden das
Kernstück des Romans. Viele von ihnen sind
Prosastücke von geradezu schmerzhafter Schönheit.
Sie führen den Erzähler und mit ihm den mehr und mehr
von diesem Roman gefangengenommenen Leser durch eine
tiefschürfende Thematik. Denn bei seinen zunächst
täglichen Besuchen im Altenheim seiner Großmutter
blickt er zunehmend in ein Wartezimmer des Todes, und er reflektiert
über die Vergänglichkeit, über das Tempo,
mit dem ein Mensch in Vergessenheit gerät, und über
seine eigene Zukunft. Nachdem in jenem Sommer, in dem Foenkinos diesen
Roman ansiedelt, Tausende alte Menschen in Frankreichs Altenheimen
gestorben sind, ist es wohl auch diese besondere Thematik, die den
Roman in Frankreich so erfolgreich sein lässt.
Doch schon hier, mitten in den düsteren Gedanken über
Tod und
Vergänglichkeit, (die aber wiederholt von den schon
erwähnten schmerzhaft schönen "Erinnerungen"
unterbrochen werden), schweifen die Gedanken des Erzählers
immer wieder ab; nicht nur in seine eigene Kindheit und Jugend, sondern
seine Fantasie richtet sich verstärkt auf ein Wesen, eine
Frau, die er herbeisehnt und mit der er die Kraft der Liebe
kennenlernen könnte.
Als seine Großmutter eines Tages auf eine wahnwitzige Idee
kommt, erfährt der Leser nicht nur viel über deren
früheres Leben, sondern ist der Erzähler mit einer
Begegnung, die sein Leben umkrempeln wird, konfrontiert.
In einer Welt, die sich immer schneller verändert, geht es
David Foenkinos darum, sich selbst und seinen Lesern die wesentlichen
Dinge des Lebens, die Empathie und die Kraft der Liebe, vor Augen zu
führen. Dinge, die sich nie ändern werden. Dass man
das so manches Mal erst im Nachhinein erkennt, ist bedauerlich, aber
dennoch wichtig für die kommenden Erfahrungen. Denn die
Erinnerung an das Wichtige, das Existenzielle, die Erfahrung von
gelebter Liebe und Empathie,
kann keinem Menschen genommen werden.
Fazit:
"Souvenirs" ist, wie bereits mehrfach betont, ein Roman mit Passagen
von schmerzhafter Schönheit und Poesie, der die Bedeutung der
Erinnerung für unser aktuelles und zukünftiges Leben
ebenso überzeugend wie bewegend in eine wunderbar frische
Sprache kleidet.
Er lädt dazu ein, der Liebe im eigenen Leben
nachzuspüren, der erfahrenen und gegebenen, und sie, falls sie
verlorengegangen scheint, wieder neu zu entdecken.
Nach Meinung des Rezensenten ist "Souvenirs" mit Sicherheit einer der
besten Romane des deutschsprachigen Bücherherbsts 2012.
(Winfried Stanzick; 08/2012)
David
Foenkinos: "Souvenirs"
(Originaltitel "Les souvenirs")
Aus dem Französischen von Christian Kolb.
Gebundene Ausgabe:
C.H. Beck, 2012. 332 Seiten.
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Digitalbuchausgabe:
C.H. Beck, 2012.
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Taschenbuchausgabe:
dtv, 2014.
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Ein weiteres Buch des
Autors:
"Zurück auf Los"
Sein Name, das hat Bernard immer gespürt, birgt eine Gefahr, bei aller
Nettigkeit, ja komödiantenhafter Harmlosigkeit. Und nun, Bernard ist 50
geworden und glaubt an ein ruhiges Leben bis ans Ende seiner Tage, da
passiert es: Eine Serie von Katastrophen fegt alle Gewissheiten fort. Es
beginnt mit Nathalie, Bernards Frau mit ihren schönen, langen, schwarzen
Haaren, die er so großartig findet, dass es ihm gereicht hätte, bloß mit
ihren Haaren verheiratet zu sein. Als Bernards und Nathalies Tochter
Alice mit 20 auszieht, bahnt sich in der eher harmonischen Ehe eine
Krise an, die sich zum Debakel ausweitet. Aber das ist noch nicht alles.
Was man guten Gewissens verraten kann ist, dass dieser im besten Sinne
gewöhnliche, im Übrigen sympathische Mensch für das, was ihm bevorsteht,
nicht gewappnet ist. Ob es die Arbeit ist oder das Verhalten der guten
Freunde - auf nichts ist mehr Verlass, vor allem nicht auf die Frauen.
Bernard muss sogar wieder bei seinen alten Eltern einziehen, die er auch
noch nie so richtig verstanden hat ...
In diesem so komischen wie melancholischen Roman folgen wir mitfühlend
und mit einem leichten Schauer der Angst Bernard, einem postmodernen
Buster Keaton, der seinen Michel Houllebecq unfreiwillig intus hat und
am Ende trotz allem seinen Platz in der von Krisen geschüttelten Welt
findet. (C.H. Beck)
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Weitere Buchtipps:
Günther Bittner: "'... von seiner Unsterblichkeit überzeugt'.
Unzeitgemäßes über Tod
und ewiges Leben"
Unser Verhältnis zum Tod, sagt Freud,
sei nie ein aufrichtiges gewesen: wir wissen, dass wir sterben werden,
sind aber insgeheim von unserer Unsterblichkeit
überzeugt -
wie schon der Urmensch, der angesichts des Todes naher Verwandter "die Seele"
erfand, die den Tod angeblich überleben soll. In diesem Buch
wird erörtert, wie Freuds in "Totem und Tabu" entwickelte
Spekulation über die Entstehung des Jenseitsglaubens
entsprechend dem aktuellen paläoanthropologischen Wissensstand
fortgeschrieben werden kann; was von den späteren
elaborierteren Jenseitsvorstellungen der Hochreligionen heute noch
übrig ist; wie der moderne säkulare Mensch mit einer
rein rationalen Einstellung zum Tod ohne Jenseitsglauben zurecht kommt.
In einem zentralen Punkt wird Freud widersprochen: Er verkennt den
Wunsch, ewig zu leben, als überwindungsbedürftige
narzisstische Illusion: Viel eher scheint dieser Wunsch (nach
Metzinger) einem biologischen Imperativ geschuldet zu sein, der "im
Verlauf von Jahrtausenden in unsere Gehirne eingebrannt"
worden ist. Insofern ist Freuds Rat: "Wenn du das Leben
aushalten willst, richte dich auf den Tod ein" kaum zu
befolgen: Er ist wider die menschliche Natur. (Königshausen
& Neumann)
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Gunther Klosinski,
Karl-Josef Kuschel: "Auf Tod und Leben.
Begegnungen mit der Endlichkeit in Bildern und Texten"
Leben und Tod sind eine komplexe Einheit, sie sind nicht ohne einander
zu denken und schließen sich dennoch gegenseitig aus. Solange
es Leben gibt, gibt es keinen Tod. Und wo der Tod herrscht, gibt es
kein Leben mehr. Die 15 Fotomontagen von Gunther Klosinski und deren
meditative Erschließungen von Karl-Josef
Kuschel machen dieses Zugleich von Präsenz und
Entzug auf einfühlsame Weise sichtbar und verstehbar.
Ein außergewöhnliches, künstlerisch
wertvolles Buch, das zur intensiven Auseinandersetzung mit dem
Lebensthema Tod anregt. (Patmos)
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Georg Pieper: "Überleben
oder Scheitern. Die Kunst,
in Krisen zu bestehen und daran zu wachsen"
Dass Menschen Schlimmes zustößt, ist nicht zu
ändern. Doch wir selbst haben Einfluss darauf, ob wir
unsichere und extreme Lebenssituationen bestehen oder an ihnen
scheitern. Der erfahrene Krisenpsychologe Georg Pieper berichtet von
seiner Arbeit mit Katastrophenopfern und vermittelt, wie wir die
beeindruckende Stärke unserer Psyche für uns nutzen
können.
Jeden kann es treffen, aus heiterem Himmel: Eine Kündigung,
ein Unfall, der Verlust eines geliebten Menschen, eine schwere
Krankheit. Wie geht das Leben nach einem solchen Schicksalsschlag
weiter? Wir sind keine Marionetten unseres Schicksals, davon ist der
Psychologe und Experte für Krisenintervention, Georg Pieper,
überzeugt. Der Mensch ist zum Überleben geboren, wir
haben gleichsam eine Art Überlebensfaktor in uns, eine Reihe
von ureigenen Schutzmechanismen, die uns helfen, sogar das Schlimmste
zu überstehen. Pieper, der seit 20 Jahren Angehörige
und Opfer von Katastrophen wie dem Grubenunglück in Borken,
dem ICE-Unglück in Eschede oder dem Amoklauf in Erfurt
therapiert, zeigt anhand seiner eindringlichsten Fälle, welche
physischen und psychischen Überlebensmechanismen in und nach
Extremsituationen greifen und wie wir besser mit persönlichen
Krisen und Lebensängsten umgehen können. (Knaus)
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Reiner
Sörries: "Herzliches Beileid. Eine Kulturgeschichte
der Trauer"
Die Fähigkeit zu trauern ist eine menschliche Grundkonstante.
Doch die Art zu Trauern unterliegt kulturellen Einflüssen und
hat sich im Lauf der Zeit immer wieder gewandelt. In jeder Kultur gibt
es spezielle Rituale, und jede Epoche bringt neue Formen der Trauer
hervor.
In seiner Geschichte der Trauer geht Reiner Sörries dem
Phänomen der Trauer in unserer Gesellschaft nach. Er fragt,
wie wir trauern und welche äußeren Zeichen wir der
Trauer geben. Wie hat sich beides gewandelt und welche individuelle
Bedeutung und gesellschaftliche Funktion haben sie inne? Welche Rolle
spielt das Geschlecht bei der Trauer, welche Berufsgruppen haben sich
rund um die Trauer gebildet, und wie wird sie in der Kunst dargestellt?
Dies und vieles mehr bietet Reiner Sörries in dieser
einzigartigen Kulturgeschichte der Trauer. (Primus)
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