Gioconda Belli: "Die Republik der Frauen"
Was passiert, wenn ein
Vulkan für das männliche
Geschlecht ungünstige Gase absondert ...
Ein Land, in dem alle Männer von staatlichen Positionen
ausgeschlossen sind, sogar vom Sicherheitsdienst der
Präsidentin, ist der Schauplatz des Romans der
nicaraguanischen Lyrikerin und Autorin Gioconda Belli.
Ausgelöst durch einen Vulkanausbruch, der gewisse giftige Gase
freigesetzt hat, die bei Männern einen Rückgang des
Testosterons bewirken und sie harmlos und träge machen, hat
die "Partei der erotischen Linken (PIE)" die Wahl gewonnen und die
Macht im fiktiven drei Millionen Einwohner Staat Farges in
Südamerika übernommen.
Im Zuge der Veränderungen im Land übernehmen die
Frauen alle Positionen, Männer verschwinden völlig
aus der Verwaltung des Landes, sogar die Polizei und der
Sicherheitsdienst werden von Frauen geführt und geleitet. Die
entlassenen Männer dürfen sich eine Zeit lang bei
vollem Bezug als Hausmänner betätigen. Eine ebenso
große Herausforderung also für die Frauen und die
Männer.
Durch diese Verdrehung der Realität schafft Gioconda Belli
einen idealen Ausgangspunkt für einen pfiffigen und klugen
Roman über die möglichen Auswirkungen einer solchen
Situation. Eine Situation, auf die die meisten Männer,
überzeugt durch die positiven Veränderungen,
wohlwollend und unterstützend reagieren. Da das giftige Gas
mit der Zeit nachlässt, gibt es bald aber auch Gegner der
Präsidentin und ihrer Partei.
Mit einem Attentat auf die Präsidentin, das sie ins
Koma versetzt, beginnt der Roman.
Aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet Gioconda Belli gekonnt und
überzeugend, wie es zu dieser politischen Lage gekommen ist,
welche Vorteile dieses System mit sich gebracht hat, aber auch, welche
Nachteile diese Politik des Ausschließens gezeitigt hat.
Gioconda Belli lässt den Leser an den Gedanken der sich im
Koma befindenden Präsidentin teilhaben, die sich in einem Raum
mit Dingen wähnt, die sie im Laufe ihres Lebens verloren hat.
Das ist ein besonderer Kunstgriff, welcher der Autorin eine wirkliche
interessante Möglichkeit gibt, das Leben Vivianas aus immer
dichter werdenden Puzzlefeldern zusammenzusetzen.
Die männlichen Figuren kommen leider etwas unausgereift und
etwas holzschnittartig daher, eindeutig auf persönliche
Vorteile pochend, ich-bezogen, aggressiv und fordernd, was aber, wie
sich bald herausstellt, von der Autorin bewusst so gewählt
ist, um die Erkenntnisse der Männer besser darstellen zu
können, die nun elementare tägliche Erledigungen der
Frauen als einschneidende Veränderung erleben.
Die Autorin spielt durchgehend auch mit symbolischen Situationen, wie
der lesbischen Ministerin, die das Ministerium für unbegrenzte
Freiheiten leitet.
Während sich die unverbesserlichen Männer
darüber echauffieren, wie mühsam es ist,
täglich über das Familienmenü zu entscheiden
und dieses auch noch zu kochen, Wäsche zu waschen und andere
Tätigkeiten zu verrichten, die bisher ohne wirkliche
Anerkennung von den Frauen verrichtet wurde, beginnen einige
einsichtige Exemplare der Gattung
Mann zu verstehen, dass das Problem in der täglichen Routine zu
finden ist, welche die Energie
nimmt, etwas für sich selbst zu tun.
Da Gioconda Belli aber eine wirklich große Schriftstellerin
ist, gelingt ihr diese Satire um veränderte Macht- und
Familien- und Sozialverhältnisse ausgezeichnet.
Machtverhältnisse, die doch darauf hinauszielen, dass am Ende
das Gemeinsame, das Freie und von Vorurteilen losgelöste
Gemeinschaftliche im Mittelpunkt steht. Sie sucht für ihre
Protagonisten eigene Stimmen, zeichnet kluge Charakterstudien und
fügt am Ende alle funkelnden Ideen in ein sehr
überzeugendes Ganzes zusammen.
Auch wenn die Maßnahmen drastisch erscheinen, also quasi
Vergeltung der Unterdrückung mit einer gespiegelten
Unterdrückung, zeigt Gioconda Belli Möglichkeiten
auf, die, auch wenn sie bewusst utopisch erscheinen, unter
geringfügigen Veränderungen und Auslegungen
für eine Verbesserung gewisser politischer Strukturen tauglich
sein könnten.
Gioconda Bellis Roman "Die Republik der Frauen" stellt ein perfektes
Beispiel für Literatur aus
Lateinamerika dar, funkelnde
Gedanken und eine sehr überzeugende Variante des "Magischen
Realismus".
Absolute Empfehlung, speziell auch, aber nicht nur, für jene
Männer, die noch immer der Meinung sind, dass Windeln
wechseln, Wäschewaschen und Kochen Tätigkeiten sind,
die aus der Tradition heraus einfach von ihren Frauen verrichtet werden
sollen.
(Roland Freisitzer; 06/2012)
Gioconda
Belli: "Die Republik der Frauen"
(Originaltitel "El país de las mujeres")
Aus dem nicaraguanischen Spanisch von Lutz Kliche.
Droemer, 2012. 300 Seiten.
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Noch ein Buchtipp:
Sergio Ramírez (Hrsg.): "Zwischen Süd und Nord. Neue Erzähler aus
Mittelamerika"
Die Literatur Mittelamerikas ist uns durch Autoren wie Ernesto Cardenal
und Gioconda Belli bekannt. Mit dem großen Dichter Rubén Darío und dem
Nobelpreisträger Miguel Ángel Asturias hat sie aber auch schon früher
zur Weltliteratur beigetragen. Nun meldet sich eine neue Generation zu
Wort. Nach Jahrzehnten der Befreiungskämpfe und Revolutionen ist
Mittelamerika geprägt durch die Suche nach Arbeit in den USA, den
Drogenhandel, die damit zusammenhängende Gewalt, eine neue Armut und den
Zerfall traditioneller Strukturen, denen sich neue, globalisierte
Verhältnisse überstülpen.
Sergio Ramírez, der Herausgeber dieser Anthologie, spricht von einer
"Landstraße, auf der noch wie früher die Ochsenkarren ziehen, an der
aber gleichzeitig die Mobilfunkmasten stehen".
Die 26 Kurzgeschichten bieten ein Kaleidoskop der in diesen Umbrüchen
entstehenden Literatur. Die Vielfalt der Formen und Themen spiegelt
dabei wider, wie sich die Menschen den dramatischen Veränderungen
stellen - facettenreich, humorvoll und überraschend. (Unionsverlag)
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